Kolumne: Der Altpapier-Jahresrückblick am 30. Dezember 2024 Wir gegen uns
Hauptinhalt
31. Dezember 2024, 10:30 Uhr
Die Medien müssen sich bei ihrer Klimaberichterstattung endlich von ihren Routinen verabschieden. Lange genug Zeit, auf die durch die Klimakrise fundamental veränderte Wirklichkeit zu reagieren, hatten sie ja. Vor allem die ARD wurde in ihren Programmen 2024 der Bedeutung der Klimakrise nicht gerecht. René Martens widmet sich in seinem Jahresrückblick dem relevantesten Thema unserer Zeit.
Inhalt des Artikels:
- Mindestens noch 100.000 Jahre Meeresspiegel-Anstieg
- Klima ist kein "Tagesschau"-Thema
- Klima ist kein Talkshowthema
- Good News und lösungsorientierter Journalismus
- Wer gibt den Opfern eine Stimme?
- Das fatale Normengefüge des Journalismus
- Unwissen ist Macht
- Wenn Politiker nicht auf Experten hören, sind nicht die Experten Schuld
- Medien müssen "ihrer Verantwortung endlich gerecht werden"
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Mindestens noch 100.000 Jahre Meeresspiegel-Anstieg
"How do you tell the biggest story in the world?" - Diese nahe liegende, aber nicht leicht zu beantwortende Frage stellte kürzlich das britische "Prospect"-Magazin in der Ankündigung eines Podcasts. Wie also findet man in Zeiten, in denen es auch viele andere große Themen gibt, den richtigen Ton für das Thema, das "an journalistischer Relevanz nicht zu überbieten" ist. So beschreibt Ellen Heinrichs, die Geschäftsführerin des Bonn Institute, das sich dem konstruktiven Journalismus verschrieben hat, den großen Rahmen.
Wie sind Medien diese Frage in 2024 angegangen? Welche Medien haben sich damit offenbar kaum beschäftigt? Diese Fragen umkreist dieser Altpapier-Jahresrückblick. Auf eine Chronologie der Extremwetter-Ereignisse auf mehreren Kontinenten (die ja nur ausschnitthaften Charakter haben kann) verzichten wir übrigens, die haben die Kollegen von "Monitor" in ihrer Jahresabschluss-Sendung bereits geliefert.
Warum das größte Thema der Welt in diesem Jahr noch ein bisschen größer geworden ist, sei im Folgenden kurz anhand von drei wissenschaftlichen Äußerungen dargestellt, deren Bezüge in die Geschichte und in die Zukunft etwas weiter reichen, als es in Altpapier-Kolumnen normalerweise der Fall ist.
Bill McGuire ist emeritierter Professor für geophysikalische und klimatische Risiken am University College London und Autor des Buchs "Hothouse Earth: An Inhabitant’s Guide." In einem Gastkommentar für CNN schreibt er:
"Wir erleben zu unseren Lebzeiten eine Erwärmung, die in den letzten 4,6 Milliarden Jahren wahrscheinlich einzigartig ist. Während diejenigen von uns, die in der Klimawissenschaft arbeiten, das wahre Bild kennen und die Auswirkungen auf unsere Welt verstehen, wissen die meisten anderen das nicht. Und das ist ein Problem."
Im Wissenschaftsjournal "BioScience" erschien im Oktober eine Übersichtsstudie eines 14-köpfigen Teams von Forschern (darunter der in hiesigen Medien häufig als Experte zu Wort kommende Stefan Rahmstorf). Anlass war die COP29, also die Weltklimakonferenz des zu Ende gehenden Jahres. Das Team schreibt:
"Wir haben den Planeten in klimatische Verhältnisse gebracht, die weder wir noch unsere prähistorischen Verwandten innerhalb unserer Gattung (…) jemals erlebt haben."
Der Beitrag sei teilweise "in einem Telegrammstil" verfasst, "der so gar nicht nach nüchterner Wissenschaft klingt", wie Christian Schwägerl in einem COP29-Nachbericht bei riffreporter.de bemerkt:
"Wir befinden uns am Rande einer unumkehrbaren Klimakatastrophe. Es handelt sich zweifellos um einen globalen Notfall. Ein Großteil der Lebensgrundlagen auf der Erde ist gefährdet. Wir treten in eine kritische und unvorhersehbare neue Phase der Klimakrise ein."
Schwägerl greift in dem Kontext auch ein Zitat aus dem Journal "Global and Planetary Change" auf. Demnach werde selbst dann, wenn die Menschheit ihre CO₂-Emissionen auf null bringe, "die Erwärmung, die Eisschmelze und der Anstieg des Meeresspiegels für mindestens 100.000 Jahre anhalten".
Klima ist kein "Tagesschau"-Thema
Die Institutsgründerin Heinrichs betont:
"Aufgabe öffentlich finanzierter Sender ist es, zur besten Sendezeit allgemein verständlich über Ursachen, Folgen und mögliche Lösungen zu informieren. Für ARD und ZDF ist in der Klimakrise die Orientierung auf das Gemeinwohl keine Möglichkeit, sondern Pflicht."
Verbreitet hat diese Aussage der Verein Klima vor acht e. V., der seit Jahren ein tägliches Kurzformat im ARD-Hauptprogramm fordert.
Als der Verein im Dezember auf einer Pressekonferenz eine neue Kampagne für die Schaffung eines solchen Formats präsentierte (siehe Altpapier), stellte der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Michael Brüggemann von der Universität Hamburg die Ergebnisse einer Datenanalyse vor, die Aufschluss darüber gibt, wie es in Sachen Klimaberichterstattung um den Gemeinwohl-Charakter der 20-Uhr-"Tagesschau" bestellt ist. Demnach sei in der Hauptausgabe der Nachrichtensendung das Wort Klima 2024 "in 4,5 Prozent der Sendeminuten" vorgekommen.
Eine qualitative Aussage ist damit nicht getroffen. Die Zahl besage nicht, wie "intensiv über den Klimawandel berichtet" werde, betont Brüggemann, gemessen worden sei die "bloße Erwähnung". Außerdem betonte Brüggemann:
"Die Aufmerksamkeit für den Klimawandel steigt nicht an."
Im Gegenteil: 2023 sei der Klimawandel in der Hauptausgabe der "Tagesschau" noch in 7,5 Prozent der Sendeminuten erwähnt worden. In den Jahren 2012 bis 2018 sei die Aufmerksamkeit aber noch geringer gewesen. Brüggemanns Zwischenbilanz:
"Selbst die Flutkatastrophe im Ahrtal hat nicht zu einer dauerhaft erhöhten Aufmerksamkeit geführt."
Was für mich sinnbildlich steht für den Umgang mit dem Thema Klima in der 20-Uhr "Tagesschau": die Ausgabe vom 10. Oktober, in der eine erste Bilanz des Hurrikans Milton gezogen wird. Sprecherin der Sendung ist Susanne Daubner, und der allererste Satz, den sie sagt, lautet: "Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten." Und der dritte dann: "Mindestens vier Menschen kamen durch Tornados ums Leben, die der Sturm ausgelöst hatte." Ist angesichts dessen der erste Satz wirklich angemessen? Zumal er auf einem von Ron DeSantis, dem rechtsradikalen Gouverneur von Florida, vorgegebenen Narrativ fußte. Warum spielt Daubner die Ereignisse herunter? Bereits im Laufe der Sendung wird ihre "nicht so schlimm wie befürchtet"-Botschaft durch die Information einer Reporterin konterkariert, dass die Zahl der Toten auf zehn gestiegen sei. Zwei Tage später war im DLF von "mindestens 16 Toten" die Rede.
Klima ist kein Talkshowthema
Eine Bilanz, die ähnlich deprimierend ist wie die von Medienwissenschaftler Brüggemann, ergibt sich bei einer kursorischen Betrachtung der Themen, die 2024 in öffentlich-rechtlichen Gesprächssendungen diskutiert wurden. Der "Presseclub", "Caren Miosga" und "Maybrit Illner" waren klimafrei - zumindest gemessen an den Titeln der jeweiligen Sendungen. Bei "Hart aber fair" war zumindest in einer Sendung ein sehr peripherer Aspekt der Klimakrise Titelthema ("Berge ohne Schnee – ist Alpen-Tourismus noch okay?"). Hier ging es auch um die Frage, ob "der Massentourismus in Zeiten der Klimakrise noch eine Zukunft" habe.
Bei "Markus Lanz" und "Maischberger" werden in der Regel pro Sendung mehrere Themen abgehandelt, die jeweiligen Ausgaben der Shows haben keinen Extra-Titel, der darauf schließen lässt, worüber in der Sendung geredet wurde. Nimmt man diese Gäste- und Inhaltsübersicht des ZDF, in der die Äußerungen der Gäste in einem Satz zusammengefasst werden, als Maßstab, kam das Thema Klima bei Lanz bis zum 5. Dezember viermal vor. Viermal - das wäre so gut wie nichts angesichts von 137 Sendungen pro Jahr.
Die Zahl kann aber nur eine Tendenz beschreiben. Denn: Wie oft in den unzähligen Sendungen über das Herzeleid bald am Hungertuch nagender deutscher Autoindustriemanager der Begriff "Klimawandel" zumindest am Rande fiel, lässt sich nicht sagen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass es zum Beispiel in all den Irgendwas-mit-Ampel-Talks – allein bei Maybritt Illner gab es davon acht ("Blockierte Republik – verhindert die Ampel den Aufschwung?" etc. pp) – irgendwann mal um die Klimakrise ging. Was sich aber sicher sagen lässt: Keine dieser Talk-Sendungen hat auf eines der zahlreichen "Jahrhunderthochwasser" des Jahres 2024 reagiert.
Wie man auf haarsträubende Weise das Thema Klima streifen kann, zeigt ein Ausschnitt aus einer "Maischberger"-Sendung in diesem Monat, der es verdient hätte, in Bewegtbild-Jahresrückblicken aufzutauchen (ab ca. 28:12): Maischberger stellte hier Beatrix von Storch und Philipp Amthor eine ihrer "Ja oder Nein?"-Fragen, unter anderem: "Ist der Klimawandel menschgemacht"? Von Storch sagt dazu: "Es hat ihn immer schon gegeben, auch schon vor den Menschen." Maischberger fällt dazu nur ein gedehntes "Okaay" ein, aber das reicht als Reaktion natürlich bei weitem nicht. Allerdings ist das beinahe das kleinere Problem. Schon die Frage zu stellen, ist bizarr. Man muss sich wirklich fragen, ob der Zeitpunkt, an dem Maischberger Gäste fragen wird, ob die Erde rund sei, noch allzu weit entfernt ist.
Ich glaube zwar keineswegs, dass Talkshows die optimale Plattform für die Vermittlung von Klimawissen sind. Aber darüber, dass diese Sendungen der Bedeutung des Themas nicht einmal ansatzweise gerecht werden, darf man sich durchaus empören.
Ähnlich mau ist die Lage in den dokumentarischen Genres. Bei 3sat gab es einen positiven Rausreißer: einen Schwerpunkt zum Thema Wind mit dem ZDF-Wettermann Özden Terli in teilweise Presenter-ähnlichen Rollen.
Stichproben im Programm der ARD lassen aber den Schluss zu, dass der Senderverbund beim Thema Klimakrise den öffentlich-rechtlichen Auftrag eher untererfüllt. In der Reihe "ARD Wissen" hatte eine von 21 Folgen in 2024 einen deutlichen Klimabezug ("Tsunami-Alarm! – Gefahr auch an Europas Küsten") und einen eher peripheren ("Industrie in Gefahr – wo bleibt der Wasserstoff"). In den Reihen "ARD Story", "NDR Story", "BR Story" gab es null Filme zum Thema, in der "WDR Story" kam Klima einmal am Rande vor (in einer Wiederholung der "Weltspiegel"-Doku "Kanada – Leben mit dem Feuer"), und in der Reihe "SWR Story" lief "Kühlung für die Erde: Wie bekommen wir das CO2 aus der Luft?". "Panorama" produzierte zwei Halbstünder, einen für den Hauptsendeplatz im Ersten ("Das Klima im Kohleland"), einen für "Panorama 3" im NDR Fernsehen ("Klimakrise: Wie sicher ist die Küste?")
Und jenseits der Formate, Reihen und Marken? Durchaus symptomatisch ist, dass im BR Fernsehen auf dem Dokumentarfilmsendeplatz eine Wiederholung eines 2020 erstmals ausgestrahlten Films von 2017 lief ("Die Welt ist noch zu retten?!"). Symptomatisch auch, dass Sven Plöger mit "Wie extrem wird das Wetter, Sven Plöger? – Die Macht des El Niño" es zwar auf einen 20.15-Uhr-Sendeplatz schaffte, allerdings nicht auf eine attraktive Position in der ARD-Mediathek.
Good News und lösungsorientierter Journalismus
Im Oktober hat Ex-Altpapier-Autorin Johanna Bernklau für "Übermedien" mit dem Medienwissenschaftler Uwe Krüger darüber gesprochen, welche Rolle konstruktiver Journalismus in der Berichterstattung über die Klimakrise spielen sollte und müsste. Krüger nennt ein Beispiel, wo hiesige Medien die Chance, konstruktiv zu berichten, größtenteils nicht wahrgenommen haben:
"Als weltweit erste Stadt hat Den Haag kürzlich Werbung für Verbrennerautos, Kreuzfahrten oder Urlaubsflüge verboten. Außer 't-online' und 'Auto Bild' hat kein großes deutsches Medium darüber berichtet. Dabei könnte man das spannend und konstruktiv erzählen: Wie haben die Leute das in Den Haag durch den Stadtrat gebracht? Welche Widerstände gab es? Aber um solche Geschichten zu finden, muss man als Medium auch die Antennen dafür haben, weil sich das nicht so aufdrängt."
Im sozialdemokratischen Magazin "Kontrast" aus Österreich gibt es eine Rubrik mit dem Titel "Good news", und dort erschien Ende November ein Bericht über Pläne in Dänemark, das zehn Prozent seiner landwirtschaftlichen Fläche renaturieren will. In dem Text heißt es:
"Die geplante Renaturierung geht mit einer grundlegenden Neuausrichtung der dänischen Landwirtschaft einher. So soll es neue Richtlinien für Agrarsubventionen geben – um die landwirtschaftliche Produktion fairer, nachhaltiger und tierfreundlicher zu machen. Die Regierung plant, die Milch- und Fleischproduktion deutlich zu reduzieren. Eine Abgabe auf Methanemissionen aus der Tierhaltung sollte dazu führen, dass vor allem die klimaschädliche Fleischproduktion nachhaltiger wird. Auch der Einsatz von Stickstoffdünger soll künftig weiter reduziert werden."
Dazu zitiert "Kontrast" Tim Searchinger, Senior Fellow am World Resources Institute in Princeton:
"Dies scheint der erste ernsthafte Plan zu sein, dem jemand mit wirklicher Durchsetzungskraft zugestimmt hat, um die landwirtschaftlichen Emissionen zu reduzieren"
Warum sind solche positiven Nachrichten nicht präsent genug? In einer "Aspekte"-Sendung unter dem Titel "Geh' mir weg mit Klima! Wen kümmert noch die Erderwärmung?" fragt der Moderator Jo Schück den Buchautor Christian Stöcker ("Männer, die die Welt verbrennen"), inwiefern die von ihm in seinem Buch beschriebenen Männer mit ihrer Propaganda "auch das Durchdringen von guten Nachrichten" verhinderten (Altpapier). Stöcker sagt dazu:
"Das tut sie sehr effizient (…) Eine Information, die viele Leute in Deutschland nicht auf dem Zettel haben, ist: 86 Prozent der neu zugebauten Stromerzeugungskapazitäten auf dem Planeten Erde im Jahr 2023 war erneuerbar. 86 Prozent erneuerbarer Anteil am Wachstum. Erneuerbare Energien wachsen exponentiell, E-Mobilität wächst exponentiell, in Deutschland erzählen wir uns gerade ständig das Gegenteil. Das ist falsch (…) Es geht alles immer schneller in die richtige Richtung. Aber in Deutschland und insbesondere den USA dringt das gar nicht so richtig durch."
Laut anderen Berechnungen (siehe der bereits zitierte COP29-Nachbericht bei "Riffreporter") waren es zwar nicht 86, sondern 83 Prozent, aber das ändert nichts an der positiven Bewertung des Trends.
Im Gespräch mit dem Verdi-Magazin "M - Menschen machen Medien" sagt die Transformationsforscherin Maja Göpel:
"Konstruktiver Journalismus, der auch Lösungen aufzeigt, hat noch immer einen schweren Stand. Eine negative, skandalisierende und auf Emotionen anspielende Berichterstattung bindet noch immer mehr Aufmerksamkeit und wird durch die Algorithmisierung und Ökonomisierung im Online-Bereich zusätzlich befeuert."
Der bereits erwähnte Michael Brüggemann sagt in seinem kurzen Vortrag bei der Pressekonferenz von Klima vor acht: Der Fokus der Berichterstattung liege stark auf den Aspekten Risiko und Bedrohung, konstruktiven Journalismus gebe es nur "an den Rändern". "Die Debatte, wie man jetzt Emissionen reduziert und sich erfolgreich an den Klimawandel anpasst, steckt nach wie vor nicht im Zentrum."
Wer gibt den Opfern eine Stimme?
Die Betroffenen von durch die Klimakrise ausgelösten Katastrophen, Menschen, die oft alles verloren haben, außer ihrem Leben - sie sind als O-Ton-Geber in der tagesaktuellen Katastrophenberichterstattung sehr beliebt. Aber wer hört ihnen noch zu, wenn die Journalisten-Karawanen die Orte der Zerstörung verlassen haben?
Wie man den Opfern eine Stimme gibt, hat der "Guardian" im November beschrieben:
"Unsere Journalisten haben mit Forschern und humanitären Helfern des Climate Disaster Project (CDP) in Kanada und dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes zusammengearbeitet, um eine Reihe globaler Erfahrungsberichte von Überlebenden der jüngsten extremen Wetterereignisse zusammenzustellen (…)
Durch die Veröffentlichung dieser Zeugnisse und ihre Weitergabe an Sie konnten wir dazu beitragen, das Ziel des Projekts zu erreichen, eine "Geschichte des Klimawandels für die Menschen" zu schreiben, die die Würde der Überlebenden würdigt.
Sean Holman, der das Climate Disaster Project 2021 gegründet hat, erläutert:
"Wir treten in eine neue Ära der Katastrophen ein, in der unsere Jahreszeiten zunehmend von traumatischen Ereignissen bestimmt werden, und wir müssen lernen, wie der Journalismus uns helfen kann, diese Traumata gemeinsam zu überleben."
Ein kürzlich im Journal "Nature" publizierter Beitrag macht deutlich, woran es in der Berichterstattung über direkt Betroffene auch mangelt:
"Der Klimawandel (wirkt) als Risikomultiplikator für psychische Gesundheitsprobleme, indem er die für die Aufrechterhaltung einer guten psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens entscheidenden Bedingungen stört und potenziell belastende Symptome verstärkt. Einzelpersonen und Gemeinschaften erleben bereits jetzt klimawandelbedingte psychische Belastungen und ein erhöhtes Risiko für posttraumatische Belastungsstörungen, Angst- und Stimmungsstörungen (…) und Selbstmord."
Sogar in der Wissenschaft sei die Beschäftigung mit diesem Problem noch unterrepräsentiert, schreiben die Autoren des Beitrags.
Das fatale Normengefüge des Journalismus
Ende November sind wir im Altpapier auf eine Folge des Podcasts "Apokalypse und Filterkaffee" mit Markus Feldenkirchen ("Spiegel") und Veit Medick ("Stern") eingegangen. Medick konstatiert, "dass gerade wir Journalisten immer sehr im Moment leben (…) Klar verlieren wir da manchmal den Blick für die Perspektive und die langen Linien."
Die Feststellung, dass es im Journalismus an einem Blick für die "langen Linien" mangelt, findet sich so ähnlich auch im zweiten Beitrag von Bernhard Pörksens vierteljährlicher "Spiegel"-Kritik-Reihe, der der Berichterstattung des Magazins über die Erderhitzung gewidmet ist:
"Der Journalismus (steckt) in einem Normengefüge fest, das nicht wirklich zur Natur der Klimakrise passt. Journalisten, das wusste schon Albert Camus, sind ’Historiker des Augenblicks’, fixiert auf das Drama des Moments, den Konflikt des Tages. Die Klimakrise erfordert in ihrer mediendramaturgisch schwer fasslichen, dröge dahinschleichenden Allmählichkeit ein Denken in der langen Linie. Sie braucht die Orientierung an existenzieller Relevanz, nicht an der Echtzeithektik und einer rein zeitlich bestimmten Aktualität. Es gilt also, eben darin besteht die Jahrhundertherausforderung für den Journalismus, quer zu gängigen medialen Routinen und einer allgemein menschlichen Verdrängungssehnsucht, eine Geschichte zu erzählen, die niemand gern hören will."
Hier stellt sich, wie auch bei anderen Themen, die Frage: Warum hat es der Journalismus nicht geschafft, sein Normengefüge und seine Routinen der veränderten Wirklichkeit anzupassen? Im Fall der Klimakrise hatte er ja nun auch schon ein paar Jahrzehnte Zeit.
Unwissen ist Macht
Pörksen erwähnt auch die "ziemlich große Armee von skrupellosen PR-Söldnern, die alles daransetzen, eine entschiedene Klimapolitik zu hintertreiben", und etwas konkreter beschreibt dieses Milieu der weiter oben in diesem Rückblick bereits erwähnte Stefan Rahmstorf in einem Blogbeitrag für das Wissenschaftsmagazin "Spektrum".
"International hat sich Rupert Murdochs Medienimperium NewsCorp (Fox News, Wall Street Journal, The Times und viele mehr) seit Jahrzehnten in der Wissenschaftsleugnung zum Klima hervorgetan, in Deutschland die Springer-Medien. Teils weil sie Investoren gehören, die mit Öl, Gas oder Kohle Geld verdienen, oder weil sie der neoliberalen Ideologie verfallen und gegen jede staatliche Regulierung sind."
Rahmstorfs Fazit:
"Wir rutschen vom Zeitalter der Aufklärung in einen trügerischen Sumpf von Falschinformation, Desinformation, Mikrotargeting."
Das stimmt, und doch ist das Problem noch größer. Charlie Warzel hat dies im Oktober in der US-Monatszeitschrift "The Atlantic" skizziert. Seine Beobachtungen, veröffentlicht anlässlich der Verleumdungen und Morddrohungen gegen Meteorologen während des Hurrikans Milton, habe ich kürzlich bereits am Ende eines Textes für die Wochenzeitung "Kontext" referiert.
Das Problem, mit dem wir es zu tun haben, seien nicht mehr "Falschinformationen", sagt Warzel. Vielmehr müsse man von einem "kulturellen Angriff" sprechen:
"Wenn Sie ein Wettermann sind, sind Sie ein Ziel. Das Gleiche gilt für Journalisten, Wahlhelfer, Wissenschaftler, Ärzte und Rettungskräfte."
All diese unterschiedlichen Berufe hätten gemeinsam, "dass sie die Welt, wie sie ist, beobachten und beschreiben müssen". Das mache sie "gefährlich für Menschen, die sich nicht mit den quälenden Zwängen der Realität abfinden können, und für diejenigen, die ein finanzielles und politisches Interesse daran haben, die Scharade aufrechtzuerhalten".
Der Kampf gegen den Schutz des Klimas, der Kampf dafür, dass die Erde möglichst schnell unbewohnbar wird - er ist Teil eines Kulturkampfs gegen Wissen und Expertise im allgemeinen.
Einer der Dirigenten des von Warzel beschriebenen "kulturellen Angriffs" ist der von Donald Trump als personifizierte Staat-Abrissbirne auserkorene Elon Musk. Musk hat, wie CNN Ende November berichtete, kürzlich Namen von Regierungsangestellten, die er entlassen will, veröffentlicht:
"(Diese) zwei X-Posts (enthüllten) die Namen und Titel von Personen (…), die vier relativ obskure klimarelevante Regierungspositionen innehaben. Jeder Beitrag wurde mehrere zehn Millionen Mal aufgerufen, und die genannten Personen waren einer Flut von negativer Aufmerksamkeit ausgesetzt. Mindestens eine der vier genannten Frauen hat ihre Konten in den sozialen Medien gelöscht. Mehrere derzeitige Bundesbedienstete erklärten gegenüber CNN, sie befürchteten, dass sich ihr Leben für immer verändern würde - und dass sie sogar körperlich bedroht würden -, da Musk Bürokraten hinter den Kulissen zu persönlichen Zielscheiben mache."
Wenn Politiker nicht auf Experten hören, sind nicht die Experten Schuld
Da sich in der Klimapolitik nichts Maßgebliches bessert, liegt eine Frage natürlich nicht völlig fern: Ist diese missliche Lage zumindest zu einem Teil auf die mangelnde Vermittlungskompetenz von Experten zurückzuführen. Der Klimaexperte und frühere NDR-Wettermoderator Frank Böttcher hat diese Frage wohl in provokativer Absicht auf dem Hamburger Extremwetter-Kongress gestellt. Und zwar Özden Terli. Zu sehen ist das in dem Dokumentarfilm "Der Wind", der Teil des oben erwähnten 3sat-Schwerpunkts ist. Böttcher sagt, man habe erwartet, dass eine
"gut informierte Gesellschaft kluge Entscheidungen trifft. Das hat sie nicht gemacht. Die Politikerinnen und Politiker auch nicht. Also ist doch eigentlich ein ganz großer Teil der Klimakommunikation in den letzten Jahren gescheitert. Warum ist denn das so?"
"War die Kommunikation denn nicht richtig (…)? Sind wir gescheitert? Oder sind diejenigen, die hätten etwas verändern können in der Gesellschaft gescheitert? Was willst du denn machen? Man kann eigentlich nur die Fakten zeigen. Man kann Lösungswege zeigen, aber wenn diejenigen, die adressiert sind, nicht darauf reagieren oder nicht darauf reagieren wollen, dann kannst du deine Kommunikation hundertmal ändern, und das wird auch nichts ändern."
Die Quintessenz von Terlis Aussage: Man kann nicht aufhören, Fakten zu vermitteln, nur weil die, die auf die Fakten reagieren müssten, nicht reagieren wollen. Es ist aber auch nachvollziehbar, was Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik in Wien, sagt. In einem Thread erläutert er, warum er Medien derzeit keine Interviews mehr zur "Klima-Tagespolitik" gibt:
"Ich mache nicht mehr mit beim Erbsenzählen, während die Hütte brennt. Es gibt zum Glück genügend andere, die nach wie vor Hopium unter die Leute bringen können. Ich gehöre da nicht mehr dazu (und ich habe damit umzugehen gelernt)."
Welche Konsequenzen jemand daraus zieht, dass wir uns in einer "Es ist alles gesagt"-Situation befinden, ist letztlich auch eine Mentalitätsfrage.
Der Wissenschaftsjournalist und ARD-Moderator Eckart von Hirschhausen gehört allemal zu jenen, die, um es mit Steurer zu sagen, "Hopium unter die Leute bringen" wollen. In einem "Riffreporter"-Interview sagt er:
"Wir müssen nicht die Erde oder das Klima retten, sondern uns. In der Geschichte sind Arten ausgestorben, wenn sich das Klima änderte, wenn neue Infektionskrankheiten kamen und wenn die Art unfähig war, sich anzupassen. Alle drei Bedingungen sind für uns Menschen erfüllt. Und ich halte jeden Morgen kurz inne und sage mir: Wir sind doch nicht zu doof, unser eigenes Aussterben zu verhindern! Lass uns Menschen finden, die mit an dieser positiven Vision arbeiten."
Samira El Ouassil äußert sich ebenfalls in einem Gespräch mit "Riffreporter" ähnlich:
"Wir haben im Grunde zwei Krisen: die Klimakrise und die Krise, den Schmerz darüber nachvollziehen zu müssen, dass wir bis dato falsch gelebt haben (…) Und dennoch brauchen wir (…) vor allem Hoffnungserzählungen und Mobilisierungserzählungen, damit wir nicht in eine Apathie verfallen. Wir brauchen Erzählungen des Gelingens, von Menschen, die sich aufraffen und trotz Widerständen an etwas festhalten."
Medien müssen "ihrer Verantwortung endlich gerecht werden"
Des weiteren beschreibt El Ouassil unsere Situation unter Rückgriff auf Sigmund Freud:
"Ich denke, hier haben wir es vielleicht mit einer ähnlichen Kränkung zu tun, wie sie von (…) Freud beschrieben wurden. Freud identifizierte drei große 'Kränkungen der Menschheit', die das menschliche Selbstverständnis erschütterten."
In diesem Sinne erleben wir jetzt die vierte Kränkung:
"Eine gegenwärtige Kränkung im Angesicht der Klimakrise ist, dass wir verstehen müssen, dass wir unser eigener Antagonist sind. Wir sehen uns als Held:innen unserer eigenen Geschichte und müssen nun feststellen, dass wir nicht nur gegen äußere Bösewichte kämpfen, sondern auch gegen uns selbst, wenn wir versuchen wollen, die Klimakrise zu bekämpfen."
Einer der eindrucksvollsten Texte des Jahres zum Thema Klimakrise ist ein Kommentar von Georges Monbiot, der anlässlich der COP29 im "Guardian" erschienen ist. Er schreibt:
"Stellen Sie sich (wie viele Menschen es tun) ein allsehendes Auge am Himmel vor, das auf den Planeten Erde herabschaut."
In seinem Szenario beschreibt Monbiot dann, wie dieses "Auge" auf die Konferenz schaut:
"Es stellt fest, dass die dort versammelten Regierungen bereit sind, jede Politik in Betracht zu ziehen, außer derjenigen, die tatsächlich erfolgreich sein könnte: die fossilen Brennstoffe im Boden zu lassen und den Großteil der Viehwirtschaft einzustellen. Das Auge kommt zu dem Schluss, dass es sich um eine Spezies handelt, die von einer tödlichen Kombination aus Konformität, Ablenkung und der Angst, mächtige Interessen zu verletzen, geplagt wird und aktiv an ihrer eigenen Auslöschung mitwirkt. Es sieht eine Spezies, die von den Herren der Wüste beherrscht wird: Menschen, die bereit sind, alles zu zerstören, solange sie die Ruinen beherrschen können. Er fragt sich, ob die Spezies überhaupt einen Überlebensinstinkt hat, oder ob sie stattdessen nur den Instinkt hat, zu gehorchen."
"Konformität" und "die Angst, mächtige Interessen zu verletzen" - das sind ja nun leider auch ungute Markenzeichen jenes Teils der beschriebenen Spezies, der journalistisch tätig ist.
Christian Stöcker schreibt in seiner "Spiegel"-Kolumne:
"Insgesamt scheint auch hierzulande der Diskurs fest in der Hand derer, die die Interessen der Öl- und Gasbranche und ihrer Finanziers höher bewerten als die Zukunft der Menschheit, ihrer Kinder und Enkel."
Stöcker fordert, dass
"Menschen mit Verantwortung in Politik und Medien dieser Verantwortung endlich gerecht werden. Dazu gehört, sich endlich einzugestehen, dass man selbst die Agenda bestimmt."
Die Voraussetzung für eine andere Klimaberichterstattung wäre also: ein neues journalistisches Selbstbewusstsein, vor allem in den Schlüsselpositionen der Medienbranche. Mit anderen Worten: Wir brauchen neue Frauen und Männer in diesen Schlüsselpositionen, sonst werden weiter Angst und Konformität regieren.