Kolumne: Der Altpapier-Jahresrückblick am 24. Dezember 2024 In der Printsteppe
Hauptinhalt
24. Dezember 2024, 00:01 Uhr
Der Zeitungsmarkt steht unter massivem Druck. Es wird immer enger. Lösungsvorschläge gäbe es einige. Aber warum passiert nichts? Eine Bestandsaufnahme von Ralf Heimann.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Immerhin der Zeitungsverlegerverband erkennt in der ganzen Misere noch etwas Positives. Für seinen jährlichen Bericht zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen, der Ende Juli erschien, haben die Autoren viele Zahlen ausgewertet und festgestellt: Der Gesamtumsatz der Zeitungsbranche blieb trotz eines Rückgangs im Kerngeschäft stabil bei 7,5 Milliarden Euro, hauptsächlich durch Zuwächse im Digitalgeschäft.
Auch die Einnahmen aus dem Verkauf von Zeitungen blieben nahezu konstant bei 5 Milliarden Euro. Sie machen inzwischen 75 Prozent der Gesamteinnahmen aus. Auch diese Zahl steht in dem Bericht. Und so kommt man der Sache langsam auf die Spur.
Noch vor fünf Jahren kamen weniger als 70 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf von Zeitungen, dem sogenannten Lesermarkt. Im Jahr 2010 waren es laut einem Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages noch 45 Prozent. In diesem Papier steht auch: "Lange Zeit galt in der Branche die durchschnittliche Relation, dass zwei Drittel der Einnahmen von Zeitungen aus der Werbung und ein Drittel aus dem Vertrieb erfolgen."
In diesem Zahlenverhältnis lässt sich im Zeitverlauf sehr gut beobachten, wie der Zeitungsmarkt langsam erodiert, weil das Geschäftsmodell auseinanderfällt. Und das kann man in diesem Fall wörtlich verstehen, denn dieses Modell besteht aus drei Komponenten, die in einer historischen Fügung zusammengewachsen sind. Das sind: der Verkauf von Nachrichten, der Verkauf von Inseraten und der von Werbeflächen.
Die Werbebudgets machten rüber
Die Krise der Zeitungen begann also nicht erst mit dem Alleszerstörer Internet, sondern schon viel früher mit dem Aufstieg von Radio und Fernsehen, Anfang der 1980er-Jahre mit dem Privatfernsehen, den neuen Möglichkeiten, Werbung zu verbreiten und der zunehmenden Zahl an Informations- und Unterhaltungsangeboten, die um Aufmerksamkeit konkurrieren.
Das Internet wirkte wie ein Beschleuniger. Anfangs waren die Inhalte kostenlos, Werbeflächen zu Spottpreisen im Überfluss zu bekommen. Mit dem Aufstieg von Google und Facebook machten die Werbebudgets nach und nach rüber ins Digitale.
Je brüchiger das Fundament der Werbeeinnahmen wurde, desto mehr hing alles am Verkauf der Zeitungen, die teurer werden mussten, damit das Geschäft weiterhin funktionierte.
Um einen Eindruck von dieser Entwicklung zu geben: Im Jahr 1974 kostete eine Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" 60 Pfennige, das wären heute, wenn man die Inflation berücksichtigt, ungefähr 1,30 Euro. Aktuell kostet die "Süddeutsche" 3,90 Euro, also das Dreifache.
Es wäre falsch zu sagen: Den Leuten ist Journalismus nichts mehr wert. In Wirklichkeit war den Leuten Journalismus noch nie so viel wert, dass sie bereit waren, ihn komplett über den Verkaufspreis am Kiosk zu finanzieren. Das macht das schwindende Werbegeschäft immer deutlicher.
Man kann also zwei Dinge feststellen. Erstens: Die Krise der Zeitungen ist nicht unbedingt eine Krise des Journalismus; es ist vor allem eine wirtschaftliche Krise des Geschäftsmodells.
Zweitens: In diesem Geschäftsmodell braucht der Journalismus eine Subvention, ob nun von Werbekunden, von irgendwem anders oder vom Staat.
Das alles muss man im Hinterkopf haben, wenn man auf die gegenwärtigen Entwicklungen schaut. Hier ein Überblick über das, was in diesem Jahr passiert ist:
- Madsack und DDV-Mediengruppe: Im Januar kündigt der Medienkonzern Madsack an, die Mediengruppe "Dresdner Druck- und Verlagshaus" zu übernehmen, um auf dem sächsischen Medienmarkt einen noch größeren Fuß in die Tür zu bekommen. Zu DDV gehören unter anderem die "Sächsische Zeitung" und das Nachrichtenportal "TAG24". Um kartellrechtliche Bedenken auszuräumen, verkauft Madsack im Zuge der Übernahme die "Dresdner Neuesten Nachrichten" und die "Döbelner Allgemeine Zeitung". Im April stimmt das Kartellamt zu.
- Hamburger Morgenpost: Ab dem 12. April erscheint die gedruckte Zeitung nicht mehr täglich, sondern nur noch einmal in der Woche. Der Verlag reagiert damit auf die sinkenden Auflagenzahlen und steigenden Produktionskosten. Die neue "Mopo" hat mit über hundert Seiten den Umfang einer Wochenzeitung.
- Süddeutsche Zeitung: Innerhalb von acht Jahren ist die Druckauflage der Zeitung um über 100.000 Exemplare oder ein knappes Drittel gesunken. Die Zahl der Digital-Abos wuchs auf knapp über 100.000. Den Auflagenverlust kompensiert das nicht. Nach mehreren Sparrunden kündigt die "Süddeutsche" Ende Oktober an, die Landkreisausgaben für Freising/Erding, Fürstenfeldbruck, Dachau, Wolfratshausen und Ebersberg einzustellen und die Büros zu schließen.
- Schwäbische Zeitung: Im August kündigt der Schwäbische Verlag an, im aktuellen und nächsten Jahr jeweils 20 Stellen abzubauen und bietet allen 3.800 Beschäftigten eine Prämie, wenn sie freiwillig gehen. Es kommt zu einer Kündigungswelle und viel Unsicherheit in der ohnehin schon verunsicherten Belegschaft. Im Juni gibt es Berichte über einen Riss zwischen Verlagsspitze und Belegschaft, weil im Haus ein Rechtsruck wahrgenommen wird, für den man Chefredakteur Jürgen Mladek verantwortlich macht. Die Veröffentlichung eines unverpixelten und später vom Presserat gerügten Videos eines islamistischen Messerangriffs heizt die Debatte über die Qualitätsstandards an. Im Juli stirbt Jürgen Mladek überraschend. Gabriel Kords übernimmt und führt den eingeschlagenen Kurs fort.
- B+G Medien GmbH (Bruns und Giersdorf): Die Verlage J.C.C. Bruns und Giersdorf gründen eine gemeinsame Holding, um das "Mindener Tageblatt" und die "Lippische Landes-Zeitung" unter einer Führung zusammenzuführen und ihre Position in der Region Ostwestfalen-Lippe zu stärken.
- Neue Westfälische und Westfalen-Blatt: Beide Verlage konkurrieren miteinander, wollen aber in der Anzeigenvermarktung enger zusammenarbeiten. Die Kooperation soll unter dem Namen "OWL Media Solutions" firmieren und Anfang 2025 starten.
- taz: Mitte September kündigt die "taz" als erste überregionale Tageszeitung an, ab Oktober 2025 in der Woche nur noch als digitale Ausgabe zu erscheinen, samstags aber weiterhin auf Papier. Dazu will die Zeitung ihr digitales Angebot ausbauen. "Die taz ist nicht in der Krise. Wir agieren aus einer Position der Stärke heraus", teilen die Chefredakteurinnen Barbara Junge und Ulrike Winkelmann mit.
- Axel Springer: Der Konzern beschließt im September, sich in zwei eigenständige Firmen aufzuspalten: ein familiengeführtes Medienhaus unter Friede Springer und Mathias Döpfner, das Marken wie "Bild", "Welt" und "Politico" umfasst, und eine Firma – das ist der andere Teil –, die das sogenannte Classifieds-Geschäft übernimmt, das digitale Plattformen wie Jobbörsen und Immobilienportale betreibt und von den Finanzinvestoren KKR und CPP Investments geführt wird. Gleichzeitig endet die Liaison mit KRR im Mediengeschäft. Die Mediensparte will sich weiter mit der Digitalisierung und digitalen Geschäftsmodellen beschäftigen, vor allem also mit der Frage, wie man unbeschadet aus dem Printgeschäft rauskommt. Ende November kündigt Springer an, die Titel "Welt", "Politico" und "Business Insider" zu einer "Premiumgruppe" zusammenzufassen. "Bild" gehört nicht dazu.
- Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung: Beide Zeitungen erscheinen im selben Haus und kämpfen mit den üblichen Problemen der Branche. Die Auflage ist in acht Jahren um ein Viertel geschrumpft. Aktuell liegt sie bei knapp 185.000 Exemplaren. Dazu gibt es im Verlauf des Jahres technische Probleme. Das verschärft den Druck weiter. Der Verlag versucht, mit mehr Digitalisierung und neuen Bezahlmodellen zu reagieren. Das bedeutet aber auch: Frustration in der Belegschaft. Man sorgt sich um Qualitätsverluste.
- Tamedia (Schweiz): Das Schweizer Medienhaus kündigt im August an, 290 Stellen abzubauen, 200 in Druckereien, 90 in Redaktionen. Bis 2026 sollen zwei von drei Druckereien geschlossen werden. In Verhandlungen gelingt es, die Zahl der Stellenstreichungen in den Redaktionen von 90 auf 55 zu reduzieren, entlassen werden am Ende nur 17. Parallel zur Restrukturierung will Tamedia sein digitales Angebot ausbauen und sich auf die vier Titel "Tages-Anzeiger", "Berner Zeitung", "Basler Zeitung" und "24 heures" konzentrieren. Kleinere Redaktionen sollen integriert, Redaktionen teilweise zusammengelegt werden.
- Kölner Stadt-Anzeiger: Anfang Oktober schließt der Verlag das hauseigene Druckzentrum in Köln, entlässt 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und verlagert den Druck nach Koblenz, um Kosten zu sparen und die Transformation hin zu einem digitalen Medienhaus voranzutreiben. Auch in der Redaktion baut der Verlag Stellen ab. Der neue Leiter der Digital-Redaktion ist kein Journalist, sondern Produktmanager mit Fokus auf die wirtschaftliche Optimierung des Online-Portals.
- CH Media (Schweiz): Das Medienhaus "CH Media" stellt alle sechs Today-Portale ein, da trotz wachsender Reichweite die Werbeeinnahmen ausgeblieben sind. 34 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen gehen.
Diese Meldungen aus diesem Jahr sind Momentaufnahmen in einem langwierigen Transformationsprozess. Die Medienhäuser versuchen, digitale Fundamente zu bauen, aber so richtig gelingt das noch nicht. Daher tut man sich zusammen, kooperiert oder fusioniert, um gemeinsam stärker zu werden oder überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben. Man teilt Verbreitungsgebiete untereinander auf, um sich gegenseitig nicht in die Quere zu kommen.
Man schließt Druckereien, damit die hohen Kosten sinken, die sich bei fallenden Auflagenzahlen und einem nur langsam wachsenden Digitalgeschäft immer schwerer finanzieren lassen. Man druckt die Zeitung seltener oder gar nicht mehr. Man legt Redaktionen zusammen, um mit weniger Personal auszukommen, oder man schließt sie gleich – vor allem jene, die wenig Geld abwerfen oder sogar Geld kosten. Das sind oft die im Lokalen.
Roger de Weck, Ende der 90er-Jahre "Zeit"-Chefredakteur, zuletzt unter anderem Mitglied des Zukunftsrats, veröffentlicht Mitte Oktober ein Buch mit dem Titel "Das Prinzip Trotzdem", in dem er sich kritisch mit den Entwicklungen auf dem Medienmarkt beschäftigt. In einem Deutschlandfunk-Interview sagt er Anfang November den Satz: "Ich glaube, wir sind die einzige Branche, die denkt, wenn der Absatz stockt, dann muss man die Qualität senken."
Der Schweizer Publizist rät, auch in Zeiten ökonomischer Zwänge und digitaler Umbrüche an gründlichen Recherchen, einer ausgewogenen Berichterstattung und der digitalen Transformation festzuhalten, also den Journalismus zu stärken.
Die Reichweite stößt an Grenzen
Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Wellbrock von der "Hamburger School of Media" erklärt Mitte Oktober in einem NDR-Interview, warum die Medienhäuser überhaupt in diesen Strudel geraten sind. Er spricht von "journalistischen Standards", "Vertrauen" und einer "konservativen Branchenstruktur". "Gleichzeitig ging es der Branche einfach sehr lange sehr, sehr gut", sagte Wellbrock. Da habe man die Transformation anfangs verschlafen.
Speziell im Lokalen seien die hohen Fixkosten das Problem, vor allem die Kosten für die Infrastruktur. Das Publikum ist klein, über Abos lässt sich im Lokalen nicht viel Geld verdienen. Aber Personal, Software, Räume, das alles braucht es trotzdem. Viele Medienunternehmen versuchen, diesen Ballast im Lokalen zu verschlanken.
Als die "Süddeutsche" im Oktober ankündigte, mehrere Lokalredaktionen zu schließen, sagte Bayer-Ressortleiter René Hofmann, es werde zwar weniger Geschichten aus der Region geben, aber dafür größere. In anderen Worten: Geschichten, die sich über ein größeres Publikum besser gegenfinanzieren lassen.
Als das Schweizer Medienhaus "CH Media" im November über die Schließung seiner Portale informiert, sagt der Medienexperte Roger Blum: "Die Reichweite im Lokalen stößt an Grenzen und reicht oft nicht aus, um die Werbewirtschaft zu überzeugen."
Wirtschaftlich sinnvoll ist es also, für ein möglichst großes Publikum zu produzieren, vielleicht sogar in einer anderen Sprache. Angebote der "New York Times" oder des "Guardian" seien heute deutlich präsenter als zu Print-Zeiten, sagt Wellbrock. Der Medienkonsum gehe "immer mehr vom Lokalen hin zum Überregionalen und auch zum Globalen".
Daher bekommt man heute ein Digitalabo der "New York Times" für 6 Euro im Monat, im ersten Jahr sogar für 2, während die "Rheinische Post" für das Digitalabo im Monat 40 Euro verlangt.
Es ist nicht nur das kleine Publikum, das dieses Geschäft für die Verlage unlukrativ und für die Werbekundschaft uninteressant macht. Es ist auch die Tatsache, dass lokale Medien von vielen Akteuren nicht mehr gebraucht werden.
Lokale Geschäfte, Restaurants, Cafés, Vereine, auch die Stadtverwaltung haben inzwischen ihre eigenen Informations- und Unterhaltungskanäle, auf denen ihnen niemand reinredet, Texte kürzt, umschreibt oder weglässt, und auf denen sie jeden Tag Bilder und Videos veröffentlichen können – nicht nur dann, wenn’s mal wirklich was zu berichten gibt.
Eine Gefahr für demokratische Prozesse
Natürlich kostet es auch Geld, das Publikum auf diesen Seiten zusammenzubringen. Aber wenn das gelungen ist, werden Zeitungsanzeigen mit ihren hohen Streuverlusten überflüssig. Auch Parteien möchten die Menschen lieber über ihre eigenen Kanäle erreichen. Dort stellt niemand kritische Fragen, und man muss sich nicht kurz fassen.
AfD-Chefin Alice Weidel sagte schon vor acht Jahren: "Unser ambitioniertes Fernziel ist, dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen."
Ende Oktober veröffentlicht die Otto-Brenner-Stiftung ein Papier, das sich mit dieser "Rollenverschiebung im lokalen Raum" beschäftigt. Titel: "Öffentlichkeit ohne Journalismus?"
Der ohnehin schon schwache "Gatekeeper" Journalismus steht mittlerweile vor einem Tor, an dem man einfach vorbeilaufen kann. Das Publikum merkt das oft nicht, denn professionell wirkende Inhalte produzieren, das kann heute jeder Vorstadtverein.
Und dass hier niemand unabhängig berichtet, sondern unter Umständen jemand, der mit den verbreiteten Inhalten etwas verkaufen oder Menschen beeinflussen möchte, im schlechten Fall manipulieren, das fällt auf den ersten Blick nicht auf. Es wird möglicherweise sogar als authentischer wahrgenommen als irgendein Medienmensch, der zu allem Überfluss auch noch versucht, objektiv zu sein.
"Diese Entwicklungen beeinträchtigen die unabhängige Information der Öffentlichkeit und können zu einer Gefahr für demokratische Prozesse in der Gesellschaft werden", schreiben die Autoren der Studie. Algorithmen bestimmten immer mehr, welche Themen diskutiert würden und welche nicht, "Social Bots" erzeugten Likes und verbreiteten "Meinungen".
Das weltweite Netz habe seinen "Charakter als in erster Linie demokratische Errungenschaft" längst eingebüßt. Auch Radikale nutzten seine Möglichkeiten und verbreiteten "penetrante Wiederholungen","scheinbare 'Wahrheiten'" und "Fake News". Das alles drohe, sich durchzusetzen und das Meinungsklima zu bestimmen.
Was bedeutet "presseähnlich”?
In dieser Zeit haben die Verlage einen Konkurrenten ausgemacht, mit dem sie sich in einem unfairen Wettbewerb sehen: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Der Streit dreht sich um den Begriff "Presseähnlichkeit", der im Telemedienauftrag steht und einen Maßstab liefern soll, der es möglich macht zu beurteilen, ob öffentlich-rechtliche Sender den Verlagen mit ihren Inhalten das Geschäft kaputt machen. Laut Definition ist das immer dann der Fall, wenn ihr Angebot aus zu viel Text besteht, also "presseähnlich" ist.
Exemplarisch dafür ist eine Klage von 16 süddeutschen Verlagen gegen die SWR-App "Newszone", mit der sich die Gerichte auch in diesem Jahr weiter beschäftigen. Im Oktober 2022 musste der Sender das Angebot aus dem Netz nehmen. Das Landgericht Stuttgart hatte die App per einstweiliger Verfügung verboten.
Im Jahr darauf hob das Oberlandesgericht Stuttgart das Verbot wieder auf. Begründung: Erst müsse man versuchen, sich vor der für solche Fälle eingerichteten Schlichtungsstelle zu einigen.
In diesem März stellt der SWR die App wieder ins Netz. Die Sender klagen erneut. Im November urteilt das Landgericht Stuttgart, in der vorliegenden Form sei die App nicht presseähnlich. Jetzt geht es in die nächste Runde.
In einem anderen prominenten Fall, dem der "Tagesschau"-App, fiel das Urteil am Ende anders aus. Im Jahr 2016 kam das Oberlandesgericht Köln zu dem Ergebnis, die App sei zu presseähnlich. Die ARD überarbeitete sie so, dass sie fast ausschließlich Audio- und Videoinhalte enthält. Texte kommen seitdem nur noch in Begleitung von Sendungen vor.
Ein knappes Jahrzehnt später stellt sich nun die Frage: Passt dieses Kriterium noch in eine Zeit, in der im Netz alle alles machen, in der also auch Zeitungsverlage Audios und Videos produzieren? Und abonniert jemand wirklich eine Zeitung, wenn öffentlich-rechtliche Sender weniger Text anbieten?
Im Oktober veröffentlicht die Beratungsgesellschaft Goldmedia eine Untersuchung, deren Ergebnis ist: Die Angebote der öffentlich-rechtlichen Medien stehen nicht in direkter Konkurrenz zu kostenpflichtigen Presseangeboten. Menschen würden beim Wegfall dieser kostenlosen Angebote nicht automatisch auf kostenpflichtige Alternativen umsteigen. Für die Verlage seien vor allem kostenlose digitale Plattformen die eigentliche Gefahr.
Ein kleiner Haken: Die ARD selbst hat die Untersuchung in Auftrag gegeben. Das schränkt ihre Aussagekraft ein.
Der Bundesverband der Zeitungsverleger und Digitalpublisher stellt dem andere Daten entgegen. Sie stammen ebenfalls aus einer eigenen Umfrage. Nach diesen Zahlen lesen immer mehr Menschen Nachrichten in Textform auf den Seiten der öffentlich-rechtlichen Sender. Gäbe es deren Angebote nicht, würden laut Umfrage fast vier von zehn Menschen ihr Verhalten ändern und Presseerzeugnisse kaufen.
Ende Oktober schreiben die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder die neuen Regeln zur Presseähnlichkeit in den neuen Medienreformstaatsvertrag. Die wichtigste Änderung ist: Texte dürfen nur noch dann veröffentlicht werden, wenn sie einen klaren Sendungsbezug haben.
Keine Wüsten, aber Steppen
Es ist ein kleiner Erfolg für die Verlage. Auf einem anderen Gebiet haben sie seit Jahren nur wenig erreicht. Wenn die Menschen nicht bereit sind, den vollen Preis zu zahlen, den eine Zeitung kostet, dann muss man diesen Betrag querfinanzieren. Wenn das nicht über Werbung oder auf eine andere Art gelingt, muss der Staat einspringen.
Der Medienexperte Christian Wellbrock sagt Mitte Oktober im Deutschlandfunk: "Ich glaube, letztlich kommt man nicht umhin, den Journalismus gesamtgesellschaftlich zu unterstützen, also zu subventionieren."
Im November erscheint unter Wellbrocks Leitung eine große Studie mit dem Titel "Wüstenradar", die sich mit dem Verschwinden der Lokalzeitung beschäftigt, also mit der Entstehung von sogenannten Nachrichtenwüsten. Diese gibt es – das ist ein Ergebnis der Studie – in Deutschland noch nicht. Doch die Anzahl unabhängiger Zeitungen pro Landkreis sei deutlich gesunken, während sogenannte Einzeitungskreise zunehmen, schreiben sie und sprechen von einer "Versteppung".
Internationale Studien zeigten, dass der Rückgang von Lokaljournalismus oft mit negativen Effekten wie geringerer Wahlbeteiligung, stärkerer politischer Polarisierung und schlechterer öffentlicher Kontrolle einhergeht. Diese Entwicklung könnte laut der Untersuchung auch in Deutschland eintreten, wenn alles so weitergehe.
Um das zu verhindern, schlägt Wellbrocks Team Förderprogramme vor. Das ist kein neues Thema.
Die Ampel-Regierung hatte schon im Jahr 2021 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, sich für eine Medienförderung einzusetzen. Doch zunächst wollte man prüfen, welche Fördervarianten sich eignen, um sicherzustellen, dass lokale und regionale Medien auch in dünn besiedelten und strukturschwachen Regionen weiter vorhanden sind.
An dieser Aufgabe war schon die Vorgängerregierung gescheitert, zuletzt im Jahr 2020, kurz vor dem Regierungswechsel. Da wollte man den Verlagen 220 Millionen für die digitale Transformation zur Verfügung stellen. Das scheiterte zum einen an verfassungsrechtlichen Bedenken, vor allem an der Frage: Wie kann man eine gezielte Förderung begründen? Und wie kann man es begründen, dass die Förderung vor allem jene belohnt, die den digitalen Wandel verschlafen haben? Die Digitalpublisher sahen eine Wettbewerbsverzerrung und drohten mit Klagen.
In der neuen Bundesregierung wurde man sich nicht einig darüber, wer für die Medienförderung zuständig ist. Das Wirtschaftsministerium wie in der Vorgängerregierung? Oder die Kulturstaatsministerin? Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sah sein Haus nicht zuständig. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) wollte ebenfalls nicht. Die angespannte Haushaltslage tat ihr Übriges. Das alles passierte im Jahr 2023. Im Mai 2024 macht Finanzminister Christian Lindner den Verlagen noch einmal Hoffnung.
Doch dieser Zustand hält nicht lange an. Mitte Juli zerschlägt ein Sprecher von Claudia Roth diese Hoffnung. Er sagt, auf absehbare Zeit werde es in Deutschland keine Presseförderung für die Zustellung von gedruckten Zeitungen geben. Kurz vor den Neuwahlen ist damit unklar, wie oder ob es überhaupt mit einer Förderung weitergeht.
Eine ganze Liste an Möglichkeiten
Möglichkeiten, Medien staatlich zu unterstützen und so sicherzustellen, dass sie überall verfügbar bleiben, gäbe es viele.
Zu den gängigen Modellen zählen eine direkte finanzielle Förderung, wie es sie etwa in Schweden gibt, der Nummer drei in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit. Diese Variante muss also nicht bedeuten, dass der Staat über das Geld Einfluss nimmt. Es ist möglich, die Förderung so zu konstruieren, dass Medien unabhängig bleiben. Und falls man wissen möchte, wie man es besser nicht macht, dann schaut man am besten nach Österreich.
Eine andere Variante ist die indirekte Förderung. Auch sie war in Deutschland schon im Gespräch. Medien indirekt zu fördern, würde bedeuten: Man senkt die Mehrwertsteuer, wie zum Beispiel Frankreich es gemacht hat. Dort erhebt der Staat auf Presseerzeugnisse einen ermäßigten Satz von 2,1 Prozent an. In Deutschland sind es 7 Prozent.
Eine dritte Variante wäre eine Innovations- und Produktionsförderung, wie Dänemark sie eingeführt hat, die Nummer zwei in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit.
Die Liste der Möglichkeiten ist lang. Der Staat könnte Konsumgutscheine ausgeben. Dann würde er nicht selbst darüber entscheiden, welche Medien Geld bekommen, die Medien müssten um sie werben.
Eine weitere Möglichkeit ist, journalistische Organisationen als gemeinnützig einzustufen. Dann hätten sie die Möglichkeit, Steuervorteile zu nutzen und Spendenquittungen auszustellen. Das würde es attraktiver und einfacher machen, Medienunternehmen finanziell zu unterstützen.
In den USA sind vergleichbare Modelle erfolgreich. In Deutschland gelingt es Medienorganisationen bislang nur über Umwege gemeinnützig zu werden. Weil Journalismus in der Abgabenordnung nicht als eigenständiger gemeinnütziger Zweck ausgewiesen ist, hängt es vom einzelnen Finanzamt ab, ob es die Gemeinnützigkeit anerkennt.
Die Ampel-Regierung hatte auch dazu in den Koalitionsvertrag geschrieben, diesen Weg verlässlicher zu gestalten. Doch auch das setzte sie nicht um. Der Plan scheiterte an rechtlichen Unsicherheiten, politischen Blockaden und fehlenden Förderstrukturen. Kurz gesagt: am politischen Willen.
"Übermedien"-Chefredakteur Alexander Graf kritisiert Ende November im "Übermedien"-Newsletter, dass diese Fördervariante Gemeinnützigkeit in der Liste der vorgeschlagenen Handlungsoptionen der "Wüstenradar"-Untersuchung ganz oben steht; drei von vier Projektpartnern seien Mitglied des "Forums gemeinnütziger Journalismus". Überhaupt kritisiert er die Forderung nach einer staatlichen Unterstützung.
Graf bemängelt, dass viele Lokalzeitungen ihre Rolle als "Wachhund der Demokratie" gar nicht ausreichend erfüllten. Er fragt: "(…) liefern die Redaktionen überhaupt einen Journalismus, den die Bürger vor Ort nutzen möchten?" Man könne ja nicht immer so tun, als bräuchte es nur etwas Geld vom Staat, dann werde es schon wieder laufen mit dem Lokaljournalismus.
Es gibt auch Lichtblicke
Das ist richtig. Die Frage ist: Hat der Lokaljournalismus, den man in den Lokalzeitungen findet, in dieser Form überhaupt noch eine Zukunft? Oder ist es vielleicht doch eine Krise des Journalismus?
Mit dieser Frage beschäftigen sich in Deutschland eine Handvoll neu gegründeter Lokalmedien. "Vier Null" in Düsseldorf, "RUMS" in Münster, die "Relevanzreporter" in Nürnberg oder "Karla" in Konstanz.
Ende November kommt noch ein weiteres hinzu. Frühere Mitarbeiterinnen der "Schwäbischen Zeitung" gründen in Lindau das Lokalmedium "Kolumne". Was all diese Medien vereint: Alleine tragen sie sich noch nicht. Und auch, wenn sie das schaffen würden, wäre es nur eine punktuelle Lösung für ein ubiquitäres Problem.
Vieles deutet darauf hin, dass es auf Dauer ohne Zuschuss kaum gehen wird – dass es mit Lokalmedien vielleicht ähnlich ist wie mit dem örtlichen Theater. Rentabel kriegt man so etwas kaum finanziert. Bei all den schlechten Nachrichten gibt es aber auch Lichtblicke.
Anfang Dezember berichtet die "Süddeutsche Zeitung" über die norwegische Amedia-Stiftung, der es gelungen ist, ein rentables Modell für Lokaljournalismus zu entwerfen – allerdings eines, das sich so leicht nicht kopieren lässt. Der Stiftung gehören 107 Zeitungen, das ist in Norwegen die Hälfte des Marktes.
Durch diese Größe wird es möglich, zu einem günstigen Preis sehr viel anzubieten, den Zugriff auf alle Titel, dazu Streaming-Angebot, etwa 5.000 Fußballübertragungen pro Jahr, und das für umgerechnet 25 Euro im Monat. In Deutschland wäre so etwas nur möglich, wenn sich viele Medienhäuser zusammentun würden, doch das ist nicht absehbar.
Leichter übertragen ließe sich ein Modell aus Kanada. Dort hat die Regierung vor 14 Jahren den sogenannten Kanadischen Periodikumsfonds (Canada Periodical Fund) geschaffen. Er sollte sicherstellen, dass gedruckte Zeitungen und Zeitschriften auch dort erscheinen, wo ihre Zustellung schwierig und teuer ist. Mithilfe des Fonds gelang es den kanadischen Verlagen, ihre Reichweite in ländlichen Regionen deutlich auszubauen und die Medienvielfalt auf dem Land zu sichern. Ob das ein dauerhafter Erfolg war, ist noch nicht klar. Aber ein vorübergehender ist es in jedem Fall. Weil der Fonds sein Ziel erreicht hat, hat die Regierung ihn in diesem Jahr eingestellt.
Offenlegung: Ich habe RUMS Münster mitgegründet und leite die Redaktion.