Psychotherapie online Schnellere und günstigere Heilung mit dem Smartphone?
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09. September 2023, 06:52 Uhr
Der Bedarf an Psychotherapieplätzen ist in Deutschland in den letzten Jahren deutlich gestiegen, besonders während der Corona-Pandemie. Menschen mit Depression warten nach ihrer Diagnose in Städten durchschnittlich 12 Wochen auf eine Therapie, auf dem Land 24 Wochen und mehr. Das verlängert ihren Leidensweg, und steigert das Risiko von schweren und chronischen Verläufen. Kann eine Behandlung online Patienten helfen und gleichzeitig Kosten senken?
Ein Team von Wissenschaftlern der University of York (UK) und der Firma "ieso" in Cambridge (UK), die Online-Psychotherapien entwickelt und anbietet, haben deren Wirksamkeit und Effizienz bei Depressionen und Angststörungen untersucht. Dazu hatten die Forschenden Daten von 27.540 Patienten mit entsprechender Diagnose analysiert, die entweder per Internet oder mit einer anderen Therapieform behandelt worden waren. Anhand von Modellen berechneten sie die Kosten und berücksichtigten dabei den Schweregrad der Erkrankung, den Zeitraum zwischen der Überweisung bis zum Abschluss der Behandlung und die Wirksamkeit. Ihr Fazit: Die betrachteten Onlinetherapien waren ähnlich wirksam wie Standardbehandlungen und das bei kürzeren Warte- und Behandlungszeiten sowie geringeren Kosten.
Mit Online-Psychotherapie auch in Deutschland aus dem Behandlungsnotstand?
Dass psychische Erkrankungen auch digital wirksam behandelt werden können und dass solche Therapien Gesundheitssysteme entlasten können, darüber sind sich Experten hierzulande insgesamt einig. Die Studie aus Cambridge und York sei aufgrund der großen Stichprobe und der Methodik bis auf wenige Einschränkungen fundiert, so der Tenor. Dennoch könne man die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf alle Patienten und Diagnosen übertragen und auch nicht auf das Gesundheitssystem in Deutschland. In der britischen Untersuchung wurden Chats betrachtet, bei denen Patienten und Therapeuten zu festen Terminen einander schrieben. Solche Therapien gibt es hierzulande nicht.
Stattdessen werden Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) angeboten. Das sind unter anderem Computerprogramme und Apps, die therapeutische Inhalte vermittel, etwa Informationen zu Symptomen und Aufgabenstellungen, die bei der Linderung von Beschwerden helfen.
Psychotherapeutische Sitzungen via Videocall: Eher die Ausnahme und kaum untersucht
Eine weitere Möglichkeit sind Videosprechstunden, also Therapiesitzungen via Internet. Obwohl der positive Einfluss dieser Varianten auf die Erkrankungen in mehreren Studien belegt wurde, sind sie derzeit eher noch die Ausnahme und im Hinblick auf ihre Kosteneffizienz bislang noch gar nicht untersucht worden.
Philipp Klein, Leitender Oberarzt in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein bedauert das, denn er sieht wie viele seiner Kollegen in den DiGAs eine Chance für die Patienten, die sonst vielleicht gar keine Behandlung bekommen oder in Anspruch nehmen würden, weil die Wartezeiten auf einen Therapieplatz so lang sind.
"Darüber hinaus wollen einige Menschen ihre psychischen Probleme lieber selbstständig bewältigen und dafür nicht so gerne von einem Psychotherapeuten abhängig sein", sagt er. Daher seien DiGAs eine wertvolle Ergänzung in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Und das nicht nur, weil sie eine schnellere Versorgung ermöglichten.
Digitale Gesundheitsanwendungen sind eine wertvolle Ergänzung in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Klein verweist auch darauf, dass die deutschen Leitlinien zur Behandlung von Depressionen solche digitalen Angebote zumindest bei leicht depressiven Episoden als Behandlung erster Wahl empfehlen. Denn sie verkürzen die Wartezeit auf eine Psychotherapie und verhindern einen möglichen Schaden durch medikamentöse Behandlung. Außerdem können durch die Unabhängigkeit vom Ort auch Betroffenen in Regionen mit schlechterer Versorgung erreicht werden.
Ob am Bildschirm oder von Mensch zu Mensch, muss Entscheidung des Patienten bleiben
Die Chancen der Online-Angebote sind unbestritten. Für Betroffene sind sie ein Hoffnungsschimmer, denn sie bekommen schnell und von überall aus Zugang zur Behandlung, vorausgesetzt, die technischen Fähigkeiten und die Infrastruktur sind vorhanden. Dennoch solle keinesfalls Druck auf den Patienten ausgeübt werden, DiGAs nutzen zu müssen, so Philipp Klein. Die Offenheit der Betroffenen entweder für ein persönliches Gespräch oder für einen digitalen Austausch hätten Einfluss auf den Therapieerfolg. Wer den direkten Kontakt brauche, profitiere weniger von einer Online-Sitzung. Dieser Einflussfaktor sei in der Studie aus England nicht berücksichtigt worden, kritisiert er.
Nur was angenommen wird, kann auch wirksam und kosteneffektiv sein.
Dieser Ansicht ist auch Christine Knaevelsrud, Professorin für Klinisch-Psychologische Intervention an der Freien Universität Berlin. Daher fordert sie generell den Ausbau des gesamten Spektrums psychotherapeutischer Angebote: Internetbasierte Behandlungen, ambulante Psychotherapie mit digitalen Elementen und nach wie vor auch konventionelle Sitzungen von Angesicht zu Angesicht.
Die digitale Therapie kann zwar die Diskrepanz von Bedarf und Angebot abfedern, darf jedoch nicht der einzige Behandlungsweg der Zukunft sein. "Nur was angenommen wird, kann auch wirksam und kosteneffektiv sein", sagt sie.
Eine Einschätzung zur Kosteneffektivität könne man erst nach einem präzisen Vergleich zwischen den einzelnen hierzulande angewandten Therapiemethoden und den Bedingungen dafür vornehmen, schätzt Eva-Lotta Brakemeier, Direktorin des Zentrums für Psychologische Psychotherapie an der Universität Greifswald, ein. Solche Studien liegen jedoch bislang nicht vor.
Links/Studien
- Die Studie zur Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des Patientenchats in Großbritannien wurde im Fachmagazin "nature mental health" veröffentlicht.
- Auch in Deutschland wurde die Wirksamkeit von Psychotherapie online untersucht, unter anderem in Studien wie dieser.
- "Dauerpatient" Psychotherapie: Das lange Warten auf mehr Therapieplätze
- So hat Corona den Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung von Kindern und Jugendlichen verändert
(krm/smc)
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