Meeresströmung
Seit 15 Jahren wird über das Abkommen zum Schutz der Hochsee verhandelt. Jetzt gibt es endlich ein Abkommen. Bildrechte: IMAGO / Westend61

"New York-Moment" Abkommen zum Schutz der Weltmeere: "Wir wollten das Ding wirklich über die Linie bringen!"

06. März 2023, 11:43 Uhr

Seit mehr als einem Jahrzehnt ringen die Länder der Welt um ein Abkommen zum Schutz der Weltmeere. Nun erzielen die Staaten einen Durchbruch. Nach schlaflosen Nächten im UN-Hauptquartier ist gar von einem "New York-Moment" die Rede.

Am Ende brauchte es eine fast 40-stündige Marathonsitzung, dann gelang der Durchbruch. Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) haben sich am Samstagabend (Ortszeit) in New York nach Jahren zäher Verhandlungen auf ein Abkommen zum Schutz der Weltmeere geeinigt. Es schafft unter anderem die Grundlage für die Ausweisung großer Schutzgebiete auf hoher See. "Ja, wir sind stolz", sagte ein sichtlich erschöpfter Sebastian Unger am Montag im Interview bei MDR AKTUELL. "Wir sind unglaublich froh, dass das geklappt hat." Unger ist Meeresbeauftragter der Bundesregierung und hatte persönlich mitverhandelt, auch in der langen Sitzung am Wochenende. Denn eigentlich sollten die Verhandlungen am vergangenen Freitag enden. Aber man merkte das wirklich auch bei den Kollegen der anderen Länder, so Unger, dass niemand ohne Ergebnis nach Haus fahren wollte. "Wir wollten das Ding wirklich über die Linie bringen."

Das "Ding" war eine Einigung darüber, dass künftig mindestens 30 Prozent der Weltmeere als Schutzgebiete ausgewiesen werden. Zudem wurde ein Verfahren festgelegt, um wirtschaftliche Projekte, Expeditionen und andere Aktivitäten in den Meeren auf ihre Umweltverträglichkeit hin zu prüfen. Außerdem soll das Abkommen die biologische Vielfalt auf Hoher See unter international verbindlichen Schutz stellen. Zwei Drittel der Ozeane gehören zur Hochsee und sind damit bislang weitgehend rechtsfreier Raum.

Schutz der Hohen See war besonders lückenhaft

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich ermutigt und sprach von einem "wichtigen Schritt zum Schutz unserer Meere". Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sprach von einem "historischen und überwältigenden Erfolg für den internationalen Meeresschutz, der mich persönlich tief bewegt". EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter: "Wir haben es geschafft!" Der Vertrag werde das Meer über nationale Zuständigkeiten hinaus schützen.

Der Schutz der Hohen See sei bisher besonders lückenhaft gewesen, teilte das Bundesumweltministerium in Berlin mit. "Verschmutzung und Übernutzung, beispielsweise durch Überfischung oder Schifffahrt, setzen die Weltmeere immer stärker unter Druck. Auch die Vermüllung durch Plastik und die Klimakrise belasten den Ozean zunehmend."

Unklar blieb zunächst, ob Russland und China Teil des Abkommens sein werden. Verhandlerinnen und Verhandler zweifelten wegen der als destruktiv wahrgenommenen Haltung der Delegation aus Moskau daran. Aber auch China galt als Wackelkandidat.

Vertrag zügig annehmen und umsetzen

Für die Meeresschutzexpertin der Umweltorganisation WWF, Karoline Schacht, war es "ein Tag zum Jubeln". Sie sprach in Anlehnung an den "Paris-Moment" beim Klimaschutz" von einem "New York-Moment" für die Meere. Die Staatengemeinschaft habe erhebliche Meinungsverschiedenheiten zu Gunsten der Natur und der Zukunft der Menschen auf dem Planeten schlussendlich überwunden. Der Vertrag müsse nun von allen Ländern zügig angenommen und umgesetzt werden.

"Heute ist ein historischer Tag", sagte Greenpeace-Experte Till Seidensticker laut Mitteilung. "Ab sofort heißt es für die internationale Staatengemeinschaft: Ärmel hochkrempeln und mit konkreten Maßnahmen das Leben im Meer vor weiterer Zerstörung bewahren." Die Einigung spiegele zwar in vielen Punkten nur den Minimalkonsens wieder und sei weit entfernt von vielen Versprechungen der vergangenen Jahre, sagte Fabienne McLellan von OceanCare. Dennoch werde die Möglichkeit gestärkt, globale Maßnahmen zum Schutz der Ozeane zu ergreifen.

Was ist die Hohe See? Die Hohe See umfasst nach Artikel 86 des Seerechtsübereinkommens von 1982 (SRÜ) alle die Teile des Meeres, die nicht zur ausschließlichen Wirtschaftszone, zum Küstenmeer oder zu den inneren Gewässern eines Staates oder zu den Archipelgewässern eines Archipelstaats gehören. Sie sind damit frei von der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt. An das Küstengewässer schließt sich zunächst die ausschließliche Wirtschaftszone an, die mit dem deutschen Festlandsockel identisch ist.
Quelle: Bundesanstalt für Wasserbau

Mit einem Abkommen zum Schutz der Hochsee hatten sich die Länder der Welt rund 15 Jahre lang auseinandergesetzt, seit 2018 gab es mehrfach Verhandlungsrunden dazu. Im vergangenen August wurde eine Konferenz ergebnislos vertagt.

Unmittelbar vor dem Durchbruch in New York gab es dann bei einer anderen Ozean-Konferenz in Panama eine Einigung: Die Teilnehmer sagten fast 20 Milliarden US-Dollar (18,8 Milliarden Euro) für den Schutz der Meere zu. Allein die US-Regierung versprach fast sechs Milliarden Dollar für 77 Projekte.

Zuletzt ging es bei den komplizierten Verhandlungen der fünften Konferenz zwischen den UN-Mitgliedstaaten in New York zum einen um die Frage, wie künftig festgelegt werden soll, welche Teile der Hochsee als Schutzgebiet definiert werden. Vor allem China und Russland pochten Diplomatinnen und Diplomaten zufolge darauf, dass dies einstimmig geschehen müsse - dann hätte ein einzelnes Land jede Entscheidung blockieren können. Das wurde nun offenbar umgangen: Aus Diplomatenkreisen verlautete in der Nacht zu Sonntag, dass es möglich werden solle, die Schutzgebiete bereits mit einer Dreiviertel-Mehrheit der Mitgliedstaaten festzulegen.

Ein weiterer Schlüsselkonflikt drehte sich um potenziell ertragreiche Forschungserkenntnisse, von denen niemand weiß, ob sie jemals Realität werden: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erhoffen sich durch den Fund bislang unbekannter Lebewesen in der kaum erforschten Tiefsee und deren Erbgut Durchbrüche zum Beispiel in der Medizin. Sollte es tatsächlich zu fundamentalen Fortschritten kommen, ließe sich daraus wohl großer Profit schlagen.

Dieses Wissen fair zu teilen, ist einer der Bestandteile des Abkommens, so Regierungsvertreter Unger. „Denn diese Zonen dort draußen auf dem offenen tiefen Ozean sind bisher auch nur sehr, sehr wenigen Ländern wie eben zum Beispiel Deutschland mit einer starken Meereswissenschaft zugänglich.“ Bei dieser Frage rangen die Länder des sogenannten Globalen Südens vor allem mit den führenden Industriestaaten im Norden: Da die größten Volkswirtschaften auch die meisten der erhofften Erträge auf sich vereinen dürften, wurde ein Mechanismus für Ausgleichszahlungen an ärmere Länder etabliert. Der erzielte Kompromiss sieht nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur jährliche Pauschalzahlungen seitens der Industrieländer vor.

dpa/MDR AKTUELL

Eine Boje des Projekts 'Flaschenpost aus Dresden' im Meer vor einem verschneiten Küstengebirge. Text: Wie sich unser Müll über die Elbe verbreitet 45 min
Bildrechte: ravir Film / MDR

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 06. März 2023 | 08:54 Uhr

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