Hochwasserschutz und Klima Jahrhundert-Unwetter in Wien: Neue Lichtblicke aus der Hochwasserforschung
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19. August 2024, 18:30 Uhr
Wien hat das zweitstärkste Unwetter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erlebt. Die starken Regenfälle passen in eine mitteleuropäische Serie seit Jahresbeginn. Aus der Forschung gibt es indes frohe Kunde: Ein neuer Ansatz soll helfen, städtischen Hochwasserschutz überall auf der Welt einfacher zu machen.
In Wien ist am Sonnabendnachmittag genau das passiert, was man wohl Klimafolgen in dritter oder vierter Instanz nennen könnte. Oder ganz einfach: Schlimme Dinge, an die wohl kaum jemand denkt. Beim mit 110 Litern pro Quadratmeter zweitstärksten Regen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ist eine Frau gestürzt und "vom Wasser davongetragen" worden, wie der Österreichische Rundfunk schreibt. Die Frau wurde dabei unter einen Bus in der Haltestelle gedrückt, musste von Einsatzkräften befreit werden und befindet sich seither im Krankenhaus.
Wien: 550 Unwettereinsätze in an einem Wochenende
Nur wenige Meter vom Unglücksort entfernt konnte ein Fahrer aus einem Auto in einer überfluteten Unterführung gerettet werden. Für die Feuerwehr in der österreichischen Bundeshauptstadt standen am Ende der Wochenendrechnung 550 Unwettereinsätze und 13 Stunden lang erhöhte Alarmbereitschaft. Ausgerechnet in Wien, Musterschülerin der Klimaanpassung.
In Chemnitz sah es Mitte August ähnlich aus. Dort sorgten vierzig Liter Regen pro Quadratmeter für Überflutungen und umgestürzte Bäume. Nun ist jedes Unglück für sich in erster Linie ein Zusammenspiel seiner Umstände. Und ein Einzelfall bleibt erstmal ein Einzelfall. Sagen lässt sich allerdings: Durch die zunehmende Zahl an Extremwetterereignissen steigt auch die Zahl an durch Fluten verursachte Schäden an Menschen, Wohnraum und (kritischer) Infrastruktur.
Stadtform beeinflusst Unwetter entscheidend
Möglicherweise könnten für die Wiener Stadtplanerinnen und Stadtplaner – und die aus Chemnitz und jeder anderen Stadt der Welt – Erkenntnisse einer neuen Untersuchung aus Kalifornien interessant sein. Die Ergebnisse einer Studie, die jetzt im Fachblatt Nature Communications veröffentlicht wurden, zeigen, wie's vielleicht etwas schneller geht, sich an die neuen klimatischen Bedingungen anzupassen.
Am Anfang stand die Feststellung, dass sich die Auswirkungen von zunehmenden Unwettern und von wachsenden Städten weltweit gegenseitig verstärken. Die Forschung zeigt, dass die Stadtform die Intensität von Überschwemmungen beeinflusst. Insbesondere die Bebauungsdichte eines Viertels und das Straßennetz.
Hochwasserschutz: Einfache Formel für Stadtplanung
Da eine nüchterne Erkenntnis noch niemanden hilft, haben die Forschenden eine Formel entwickelt, die es Stadtplanenden ermöglichen soll, Überschwemmungsrisiken leichter einzuschätzen, die aus Veränderungen der Bebauung entstehen. Dabei hätten sich die Forschenden von der Art und Weise inspirieren lassen, wie Physikerinnen und Physiker komplizierte Systeme wie poröse Festkörper, Gläser und komplexe Flüssigkeiten untersuchen, um universelle Theorien zu entwickeln. Ein cleverer Schachzug, denn die Hochwasserrisiken von Stadt zu Stadt sind nun mal sehr unterschiedlich.
Das zeigt bereits ein Blick auf vorhandene städtische Layouts: Die Anlage des erst jüngst von Wassermassen aus dem Gulli heimgesuchten Leipziger Stadtteils Südvorstadt – mit seinen Blöcken in Schachbrettmanier – erinnert an den Stadtentwurf von Chicago. Der Südwesten von Jena erscheint hingegen vollkommen unstrukturiert, ein paar Nummern größer findet man eine solche Bauform im nigerianischen Lagos. Die Formel soll aber in jeder der genannten Städte funktionieren – und auch in Jakarta, Johannesburg und Jüterbog.
Fehlende Daten für Hochwasserschutz
Für viele Städte sei eine detaillierte Modellierung der Hochwassergefährdung schon aufgrund unzureichender Daten nicht möglich, "so dass unser Team motiviert war, eine neue Art der Betrachtung des Überschwemmungsrisikos auf der Grundlage der Form der bebauten städtischen Umgebung zu entwickeln", sagt Hauptautorin Sarah Balaian von der University of California in Irvine.
Grundlage für das Unterfangen sind tausende Hochwassersimulationen – und schlichtweg Physik: "Wir haben einen auf physikalischen Gesetzen basierenden Datensatz von Überschwemmungstiefen und -geschwindigkeiten für weltweit vorkommende Stadtformen erstellt", so Mitautor Brett Sanders.
Ob die dramatischen Szenen aus Wien nun bald der Vergangenheit angehören, lässt sich freilich nicht sagen. Die Erkenntnisse aus Kalifornien zeigen aber, wo die Reise hingeht: Die Komplexität von Klimaanpassungsverfahren so zu reduzieren, dass mehr Kommunen davon profitieren können – und die Schwelle zur Tat etwas niedriger ist.
flo
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 18. August 2024 | 13:00 Uhr
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