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Bindeglieder der Natur Pilze: 10 Gründe, warum sie so faszinierend wie unterschätzt sind

20. September 2024, 11:31 Uhr

Forscher glauben, dass es Millionen Arten von Pilzen gibt, aber nur ein Bruchteil erforscht ist. Ohne Pilze würden die meisten Pflanzen sterben. Diese und acht weitere Gründe, warum sie unterschätzt werden.

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Feuchte Monate im Frühling und zu Sommerbeginn und neuer Regen jetzt im September: Auch 2024 könnte wieder ein gutes Jahr für Pilzsammler werden. Die allgemein bekannten, meist hutförmigen Fruchtkörper über der Erde sind allerdings nur der kleine Teil des Organismus. Der viel größere, das Myzel, befindet sich unter der Erde – und kann dort ganz Erstaunliches vollbringen, wie unter anderem Dresdner Forschung zeigt. 10 Gründe, warum Pilze genauso spannende wie unterschätzte Lebewesen sind.

1. Der bislang größte Pilz der Welt ist zugleich das größte bekannte Lebewesen überhaupt

In Oregon, USA, fanden Forscher einen Pilz der Gattung Hallimasch. Dessen Pilzfäden, das sogenannte Myzel, erstreckten sich über eine Fläche von neun Quadratkilometern, was etwa 1.200 Fußballfeldern entspricht. Die Wissenschaftler schätzen, dass er bereits 8.500 Jahre alt ist und über 400.000 Kilogramm wiegen würde, wenn man ihn ausgraben und auf eine Waage stellen könnte.

Wald Vom Furz des Wolfes zum Blutenden Zahn: Die wundersame Welt der Pilze

Wer offenen Auges durch unsere Wälder streift, kann wundersamen Gesellen begegen. Viele kennt man vom Sehen, ahnt aber gar nicht, was sie für Geheimnisse bergen.

Tintenfischpilz (anthurus archeri, clathrus archeri) auf einer Wiese.
Nanu, hat sich da ein Tintenfisch verlaufen? Nein, das ist ein Clathrus archeri, auf deutsch Tintenfischpilz und was nach Tentakeln aussieht, sind Teile des Fruchtkörpers. Der einst in Australien heimische Pilz ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland zu finden, besonders am Boden von Mischwäldern. Bildrechte: imago/blickwinkel
Tintenfischpilz (anthurus archeri, clathrus archeri) auf einer Wiese.
Nanu, hat sich da ein Tintenfisch verlaufen? Nein, das ist ein Clathrus archeri, auf deutsch Tintenfischpilz und was nach Tentakeln aussieht, sind Teile des Fruchtkörpers. Der einst in Australien heimische Pilz ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland zu finden, besonders am Boden von Mischwäldern. Bildrechte: imago/blickwinkel
Raupenpilz Ophiocordyceps sinensis in Menschenhand gehalten.
Den chinesischen Raupenpilz treffen wir bei uns nicht an. Er wächst in Tibet und gehört zu den Schlauchpilzen. Sein Lebensweg ist verblüffend – er parasitiert die Larven eines Nachtfalters und sein Fruchtkörper wächst schließlich aus dem Darm der Raupe. Als Frucht sieht man über der Erde dann einen kleinen blauschwarzen keulenartigen Stiel. In der traditionellen chinesischen Medizin ist er extrem begehrt. Bildrechte: imago images/Nature Picture Library
Pilz: Cyathus striatus
Wer hat denn da seine Eier gelegt, könnte man meinen. Dabei ist das ein Pilz: der bleigraue Topf-Teuerling Cyathus striatus. Im Englischen passt der Name besser: Vogelnestpilz. Die Schüssel beherbergt die eierartigen Sporenbehälter. Bildrechte: imago/blickwinkel
Cyathus olla.
Die Sporenbehälter in den Teuerlingen heißen Peridiolen - hier ein Topfteuerling - und sind mit einer Art Nabelschnur im Pilzbehälter befestigt. Im bäuerlichen Volksglauben wurden die Peridiolen mit Geldstücken verglichen - viele Periodiolen = das Leben wird teurer. Bildrechte: imago images/TT
Biolumineszenter Pilz Mycena chlorophos
Dieses leuchtende Pilzexemplar heißt Mycena chlorophos. Es gibt mehr als 70 solch fluoreszierender Pilzarten. Bildrechte: imago images/GFC Collection
Pilze
Der Hallimasch ist eigentlich ein unauffälliger Geselle. Jedenfalls das, was wir von ihm sehen. Unter der Erde bildet er gewaltige wurzelartige Stränge, mit denen er sich über weite Strecken mit Wasser und Nährstoffen versorgen kann. In den USA wurde 1992 ein gewaltiger Hallimasch entdeckt - 150.000 Quadratmeter groß, 100 Tonnen schwer und 1.500 Jahre alt. Bildrechte: Colourbox.de
Stinkmorchel
Kennen Sie den Pilz des Jahres 2020? Ein listiger Geselle, der Phallus impudicus, - "der schamlose Penis" - oder die Stinkmorchel, wie wir im Alltag sagen. Sie stinkt zum Himmel und Fliegen lieben die zuckerhaltige Schleimmasse an der Spitze, die die Sporen des Pilzes enthält. Die Insekten verteilen dann freundlicherweise die Sporen mit ihren Ausscheidungen. Wer den Pilz findet, wenn er noch eifömig ist, kann ihn essen: Diese Hexeneier lassen sich geschält wie Bratkartoffeln zubereiten. Bildrechte: imago images / Panthermedia
Angeleuchtete Phallus indusiatus bei Nacht.
Ein Versuch von züchtiger Bekleidung: Der tropische Pilz "Phallus indusiatus", in Spanien nennt man ihn auch "Brautschleier-Pilz." 2015 machte er als "Orgasmuspilz" Schlagzeilen, auf Frauen soll sein Geruch extrem erregend wirken. Bildrechte: imago images/Ardea
Glaenzender Lackporling (Ganoderma lucidum), Fruchtkörper an einem Baum
Im Wald gehen wir meist achtlos an ihm vorüber, nicht so in China: Ganoderma lucidum, der Glänzende Lackporling, wird dort der "Pilz der Unsterblichkeit" genannt und in der traditionellen chinesischen Medizin als Heilmittel eingesetzt. Bildrechte: imago/blickwinkel
Rotbrauener Erdstern
Das Überraschungs-Ei unter den Pilzen: Wenn sich die Zipfel des rotbraunen Erdsterns Geastrum rufescens sternfömig öffnen, kommt eine helle Sporenkugel zum Vorschein. Wir finden ihn von Mai bis November in unseren Wäldern, essen kann man ihn nicht. Bildrechte: imago/blickwinkel
Igelstachelbart
Hängen da etwa Spaghetti am Baum? Nein, das ist ein Igelstachelbart-Pilz, Hericium erinaceus. Er gedeiht an Eichen oder Buchen und ist einer der wenigen Pilze, die Holzfasern zersetzen können. Bildrechte: imago/blickwinkel
Scharfer Korkstacheling  - Hydnellum pecki
Scharfer Korkstacheling - Hydnellum pecki. In Spanien nennt man ihn den Blutender-Zahn-Pilz. Der junge weiße Fruchtkörper scheidet rote Tröpfchen aus, er riecht lecker nach frischem Gebäck, ist aber alles andere als süß, sondern scharf. Man findet ihn von August bis Oktober im Nadelwald unter Fichten oder Kiefern. Bildrechte: imago/Metodi Popow
Drei Grüne Knollenblätterpilze im Gras
2019 war er der Pilz des Jahres, und gilt als der giftigste Pilz der Welt: Der Knollenblätterpilz, Amanita phalloides. Er wird oft mit dem essbaren Champignon oder grünen Täublingen verwechselt, dabei verrät er sich selbst: durch seinen angenehm süßlichen, an Kunsthonig erinnernden Duft. Bildrechte: imago images / blickwinkel
Flaschenstäubling Lycoperdon perlatum
Man kennt ihn aus der Kindheit, weil er so sanft unter den Füßen verpufft und so seine Sporen in die Welt schickt: Den Flaschenstäubling Lycoperdon perlatum. In Spanien nennt man ihn den "Furz des großen Wolfes". Bildrechte: imago images/imagebroker
Scharlachroter Kelchbecherling
Wer im Herbst in die Pilze geht, findet ihn garantiert nicht: den Scharlachroten Kelchbecherling Sarcoscypha coccinea. Der zeigt nämlich erst im Frühjahr seine knallroten Fruchtkörper, manchmal auch in milden Wintern. Bildrechte: imago/CHROMORANGE
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2. Fressen wie Tiere, wachsen wie die Pflanzen: Warum Pilze ein eigenes Reich der Natur bilden

Pilze wachsen auf dem Boden, können nicht laufen und haben auch keine erkennbaren Sinnesorgane wie Augen oder Fühler. Man könnte sie also für enge Verwandte der Pflanzen halten. Doch das sind sie nicht. Sie ernähren sich nicht durch Photosynthese, gewinnen ihre Energie also nicht aus Licht und anorganischen Stoffen wie dem CO2 in der Luft. Stattdessen verwerten sie andere Lebewesen, tot oder lebendig. Und teilweise können sie sich in gewisser Weise fortbewegen, indem sie in bestimmte Richtungen wachsen und zugleich ihre bisherigen Orte aufgeben. Ihre Zellen sind trotzdem denen der Pflanzen ähnlicher als denen der Tiere. Ihre Zellmembran ist fest und sie besitzen kleine Vakuolen. Das sind Bläschen in den Zellen, die als Lager oder auch als Isolation für Stoffe genutzt werden können, die giftig für die Pilze sind.

3. Pilze leben überall auf der Erde

Pilze leben nicht nur im Boden, sondern praktisch überall auf der Erde. Sie kommen in Süß- und Salzwasser vor, sie leben als Symbionten und Parasiten auf und in Tieren, sie treiben als Sporen durch die Luft. In Form von Moosen oder Flechten bilden sie eine Symbiose mit Algen und sind dabei oft die ersten Pioniere, die unbelebtes Land außerhalb des Wassers besiedeln.

Flechten (Parmelia sulcata) und Moos wachsen auf der Rinde eines verrottenden Baumes
Flechten: Ein symbiotischer Organismus in dem Pilze und Algen miteinander verschmolzen sind. Bildrechte: IMAGO/Zoonar

4. Ohne Pilze, keine Pflanzen 

Mykorhizza sind Pilze, die als Symbionten an den Wurzeln von Bäumen leben. Sie versorgen ihre Wirte mit Nährstoffen und ermöglichen damit erst den Stoffwechsel der großen Waldbewohner. Forschende schätzen, dass etwa 80 Prozent der Landpflanzen von solchen Mykorhizza direkt abhängen.

5. Bier und Brot: Pilze sind für menschliche Lebensmittel essenziell

Hefen sind eine ganze Familie von Pilzen. Einige von ihnen sind nützliche Helfer: Sie lassen Hefeteig aufquellen, spielen eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Bier und Wein, kommen aber auch bei biotechnologischen Verfahren zum Einsatz, bei denen wichtige Enzyme hergestellt werden oder die Kernbestandteile eines Impfstoffs.

Glas mit Hefeweizen
Ohne Hefen – also Pilze – gäbe es Lebensmittel wie das Hefeweizen nicht. Bildrechte: IMAGO / USA TODAY Network

6. Millionen unbekannte Arten: Nur ein Bruchteil aller Pilze ist wissenschaftlich erforscht

Insgesamt haben Wissenschaftler zwischen 150.000 und 200.000 verschiedene Pilzspezies beschrieben. Aber es kommen ständig neue hinzu. Studien schätzen, dass nur zwischen drei und acht Prozent aller Pilze bereits bekannt sind. Amerikas bekannteste Pilzforscherin Meredith Blackwell schätzte 2011 in einem Aufsatz, dass es insgesamt bis zu 5,1 Millionen Spezies geben könnte. David Hawksworth und Robert Lücking korrigierten diese Zahl 2017 etwas nach unten: Sie kommen auf 2,2 bis 3,8 Millionen Pilzarten. Grit Walther, die stellvertretende Direktorin am Hans-Knöll-Institut in Jena ist, Deutschlands nationalem Referenzlabor für invasive Pilzkrankheiten (sogenannte Mykosen), kennt noch höhere Zahlen. "Es gibt Kollegen, die glauben, dass es etwa zwölf Millionen Pilzarten gibt."

7. Nur sehr wenige Pilze können wirklich gefährlich für Menschen werden

Die Zellen von Pilzen, auch ihre Sporen, sind im Vergleich zu Bakterien und Viren sehr groß. Deshalb gelingt es ihnen nur selten, die Barrieren zum menschlichen Körper zu überwinden. Die meisten pathogenen Pilze sind deshalb sogenannte Dermatophyten, also Erreger, die Haut und Haare besiedeln. Forscher schätzen, dass nur etwa 0,01 Prozent aller Pilze gefährlich für Menschen sind.

Mikroskopische Ansicht von Fußpilz.
Stark vergrößertes Myzel eines Fußpilzes: Auch Hautpilze entwickeln geflechtartige Strukturen. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

8. Es gibt nur wenige Wirkstoffe gegen Pilz-Infektionen

Wenn ein Mensch von einem Pilz angegriffen wird, ist das allerdings ein großes Problem. Denn es gibt kaum wirksame Antibiotika gegen Pilze. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen lohnen sich aufwendige Neuentwicklungen für Pharmahersteller finanziell kaum. Infektionen sind einfach zu selten. Andererseits sind die Zellen der meisten invasiven, pathogenen Pilze denen von Menschen viel ähnlicher, als etwa Bakterien. Das macht die Suche nach Angriffspunkten schwierig, die nicht zugleich Schwachpunkte des Menschen sind. Und die existierenden Medikamente gegen Pilze (Fachbegriff Antimykotika) werden immer unwirksamer, da auch Pilze zunehmend Resistenzen ausbilden.

Mikroskopische Ansicht von Fußpilz. 3 min
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3 min

In Jena treffen sich in dieser Woche Mediziner zu einem Fachkongress über Pilzinfektionen. Warum sollten wir Pilzerregern künftig mehr Aufmerksamkeit schenken?

MDR KULTUR - Das Radio Di 17.09.2024 17:38Uhr 03:05 min

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9. Pilze: Retten sie die Umwelt nach Atomunfällen?

Nicht nur haben viele Pilze eine schwammartige Struktur. Sondern sie gelten ganz allgemein als Organismen, die praktisch alles aufsaugen können, auch Giftstoffe. Ein von der Bundesregierung gefördertes Projekt, an dem unter anderem Dresdner Forscher beteiligt waren, wollte daher wissen: Kann man Pilze dazu nutzen, aus einem Atomkraftwerk ausgetretene Radioaktivität zu binden und damit zu sichern? Tatsächlich können Pilze die strahlenden Teilchen, die sogenannten Radionuklide, festhalten, sagt Johannes Raff vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. In einem Experiment testeten Raff und seine Kollegen, was passiert, wenn man den Holzpilz "Schizophyllum commune" mit Nährstoffen füttert, in denen radioaktives Uran enthalten ist. Ergebnis: Der Pilz nahm die Schwermetalle auf und lagerte sie langfristig in den Vakuolen ein. Größte Schwierigkeit allerdings: Um radioaktive Kontamination dauerhaft aus dem Boden zu entfernen, müsste der ganze Pilz entfernt werden und das ist aufgrund der feinen, weitverzweigten Haare des Myzels praktisch unmöglich.

Tschernobyl Reaktor
Blick auf den zerstörten Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl in den 1990er-Jahren: Hier im Reaktorgebäude wurden bereits lebende Pilze entdeckt, die sich der starken Strahlung angepasst hatten. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

10. Pilze können sich an Radioaktivität anpassen 

Die Radioaktivität selbst scheint dem Pilz wenig anhaben zu können, das war eine der Beobachtungen von Johannes Raff und seinen Kollegen. "Wir haben den Pilz mit hohen Urankonzentrationen konfrontiert, er hat sie ohne Probleme ausgehalten", sagt Raff, der davon aber nicht überrascht war. "Pilze sind im Allgemeinen dafür bekannt, dass sie relativ gut damit umgehen können." Aus vorangegangenen Projekten anderer Wissenschaftler war bekannt: Müssen sie starke Strahlung aushalten, steigern die Pilze ihre Stoffwechselrate. Das bedeutet, sie wachsen einfach schneller und können so die von der Strahlung verursachten Schäden wieder reparieren. So können sie ansonsten unbewohnbare Orte besiedeln. "Es wurden schon einige Pilze im Reaktorgebäude von Tschernobyl gefunden", sagt der Forscher.

Pilze2 3 min
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BRISANT Mi 19.07.2023 17:25Uhr 03:16 min

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Pilze2 3 min
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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 29. August 2024 | 16:30 Uhr

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