Bindeglieder der Natur Pilze: 10 Gründe, warum sie so faszinierend wie unterschätzt sind
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20. September 2024, 11:31 Uhr
Forscher glauben, dass es Millionen Arten von Pilzen gibt, aber nur ein Bruchteil erforscht ist. Ohne Pilze würden die meisten Pflanzen sterben. Diese und acht weitere Gründe, warum sie unterschätzt werden.
Inhalt des Artikels:
- 1. Der bislang größte Pilz der Welt ist zugleich das größte bekannte Lebewesen überhaupt
- 2. Fressen wie Tiere, wachsen wie die Pflanzen: Warum Pilze ein eigenes Reich der Natur bilden
- 3. Pilze leben überall auf der Erde
- 4. Ohne Pilze, keine Pflanzen
- 5. Bier und Brot: Pilze sind für menschliche Lebensmittel essenziell
- 6. Millionen unbekannte Arten: Nur ein Bruchteil aller Pilze ist wissenschaftlich erforscht
- 7. Nur sehr wenige Pilze können wirklich gefährlich für Menschen werden
- 8. Es gibt nur wenige Wirkstoffe gegen Pilz-Infektionen
- 9. Pilze: Retten sie die Umwelt nach Atomunfällen?
- 10. Pilze können sich an Radioaktivität anpassen
Feuchte Monate im Frühling und zu Sommerbeginn und neuer Regen jetzt im September: Auch 2024 könnte wieder ein gutes Jahr für Pilzsammler werden. Die allgemein bekannten, meist hutförmigen Fruchtkörper über der Erde sind allerdings nur der kleine Teil des Organismus. Der viel größere, das Myzel, befindet sich unter der Erde – und kann dort ganz Erstaunliches vollbringen, wie unter anderem Dresdner Forschung zeigt. 10 Gründe, warum Pilze genauso spannende wie unterschätzte Lebewesen sind.
1. Der bislang größte Pilz der Welt ist zugleich das größte bekannte Lebewesen überhaupt
In Oregon, USA, fanden Forscher einen Pilz der Gattung Hallimasch. Dessen Pilzfäden, das sogenannte Myzel, erstreckten sich über eine Fläche von neun Quadratkilometern, was etwa 1.200 Fußballfeldern entspricht. Die Wissenschaftler schätzen, dass er bereits 8.500 Jahre alt ist und über 400.000 Kilogramm wiegen würde, wenn man ihn ausgraben und auf eine Waage stellen könnte.
2. Fressen wie Tiere, wachsen wie die Pflanzen: Warum Pilze ein eigenes Reich der Natur bilden
Pilze wachsen auf dem Boden, können nicht laufen und haben auch keine erkennbaren Sinnesorgane wie Augen oder Fühler. Man könnte sie also für enge Verwandte der Pflanzen halten. Doch das sind sie nicht. Sie ernähren sich nicht durch Photosynthese, gewinnen ihre Energie also nicht aus Licht und anorganischen Stoffen wie dem CO2 in der Luft. Stattdessen verwerten sie andere Lebewesen, tot oder lebendig. Und teilweise können sie sich in gewisser Weise fortbewegen, indem sie in bestimmte Richtungen wachsen und zugleich ihre bisherigen Orte aufgeben. Ihre Zellen sind trotzdem denen der Pflanzen ähnlicher als denen der Tiere. Ihre Zellmembran ist fest und sie besitzen kleine Vakuolen. Das sind Bläschen in den Zellen, die als Lager oder auch als Isolation für Stoffe genutzt werden können, die giftig für die Pilze sind.
3. Pilze leben überall auf der Erde
Pilze leben nicht nur im Boden, sondern praktisch überall auf der Erde. Sie kommen in Süß- und Salzwasser vor, sie leben als Symbionten und Parasiten auf und in Tieren, sie treiben als Sporen durch die Luft. In Form von Moosen oder Flechten bilden sie eine Symbiose mit Algen und sind dabei oft die ersten Pioniere, die unbelebtes Land außerhalb des Wassers besiedeln.
4. Ohne Pilze, keine Pflanzen
Mykorhizza sind Pilze, die als Symbionten an den Wurzeln von Bäumen leben. Sie versorgen ihre Wirte mit Nährstoffen und ermöglichen damit erst den Stoffwechsel der großen Waldbewohner. Forschende schätzen, dass etwa 80 Prozent der Landpflanzen von solchen Mykorhizza direkt abhängen.
5. Bier und Brot: Pilze sind für menschliche Lebensmittel essenziell
Hefen sind eine ganze Familie von Pilzen. Einige von ihnen sind nützliche Helfer: Sie lassen Hefeteig aufquellen, spielen eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Bier und Wein, kommen aber auch bei biotechnologischen Verfahren zum Einsatz, bei denen wichtige Enzyme hergestellt werden oder die Kernbestandteile eines Impfstoffs.
6. Millionen unbekannte Arten: Nur ein Bruchteil aller Pilze ist wissenschaftlich erforscht
Insgesamt haben Wissenschaftler zwischen 150.000 und 200.000 verschiedene Pilzspezies beschrieben. Aber es kommen ständig neue hinzu. Studien schätzen, dass nur zwischen drei und acht Prozent aller Pilze bereits bekannt sind. Amerikas bekannteste Pilzforscherin Meredith Blackwell schätzte 2011 in einem Aufsatz, dass es insgesamt bis zu 5,1 Millionen Spezies geben könnte. David Hawksworth und Robert Lücking korrigierten diese Zahl 2017 etwas nach unten: Sie kommen auf 2,2 bis 3,8 Millionen Pilzarten. Grit Walther, die stellvertretende Direktorin am Hans-Knöll-Institut in Jena ist, Deutschlands nationalem Referenzlabor für invasive Pilzkrankheiten (sogenannte Mykosen), kennt noch höhere Zahlen. "Es gibt Kollegen, die glauben, dass es etwa zwölf Millionen Pilzarten gibt."
7. Nur sehr wenige Pilze können wirklich gefährlich für Menschen werden
Die Zellen von Pilzen, auch ihre Sporen, sind im Vergleich zu Bakterien und Viren sehr groß. Deshalb gelingt es ihnen nur selten, die Barrieren zum menschlichen Körper zu überwinden. Die meisten pathogenen Pilze sind deshalb sogenannte Dermatophyten, also Erreger, die Haut und Haare besiedeln. Forscher schätzen, dass nur etwa 0,01 Prozent aller Pilze gefährlich für Menschen sind.
8. Es gibt nur wenige Wirkstoffe gegen Pilz-Infektionen
Wenn ein Mensch von einem Pilz angegriffen wird, ist das allerdings ein großes Problem. Denn es gibt kaum wirksame Antibiotika gegen Pilze. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen lohnen sich aufwendige Neuentwicklungen für Pharmahersteller finanziell kaum. Infektionen sind einfach zu selten. Andererseits sind die Zellen der meisten invasiven, pathogenen Pilze denen von Menschen viel ähnlicher, als etwa Bakterien. Das macht die Suche nach Angriffspunkten schwierig, die nicht zugleich Schwachpunkte des Menschen sind. Und die existierenden Medikamente gegen Pilze (Fachbegriff Antimykotika) werden immer unwirksamer, da auch Pilze zunehmend Resistenzen ausbilden.
9. Pilze: Retten sie die Umwelt nach Atomunfällen?
Nicht nur haben viele Pilze eine schwammartige Struktur. Sondern sie gelten ganz allgemein als Organismen, die praktisch alles aufsaugen können, auch Giftstoffe. Ein von der Bundesregierung gefördertes Projekt, an dem unter anderem Dresdner Forscher beteiligt waren, wollte daher wissen: Kann man Pilze dazu nutzen, aus einem Atomkraftwerk ausgetretene Radioaktivität zu binden und damit zu sichern? Tatsächlich können Pilze die strahlenden Teilchen, die sogenannten Radionuklide, festhalten, sagt Johannes Raff vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. In einem Experiment testeten Raff und seine Kollegen, was passiert, wenn man den Holzpilz "Schizophyllum commune" mit Nährstoffen füttert, in denen radioaktives Uran enthalten ist. Ergebnis: Der Pilz nahm die Schwermetalle auf und lagerte sie langfristig in den Vakuolen ein. Größte Schwierigkeit allerdings: Um radioaktive Kontamination dauerhaft aus dem Boden zu entfernen, müsste der ganze Pilz entfernt werden und das ist aufgrund der feinen, weitverzweigten Haare des Myzels praktisch unmöglich.
10. Pilze können sich an Radioaktivität anpassen
Die Radioaktivität selbst scheint dem Pilz wenig anhaben zu können, das war eine der Beobachtungen von Johannes Raff und seinen Kollegen. "Wir haben den Pilz mit hohen Urankonzentrationen konfrontiert, er hat sie ohne Probleme ausgehalten", sagt Raff, der davon aber nicht überrascht war. "Pilze sind im Allgemeinen dafür bekannt, dass sie relativ gut damit umgehen können." Aus vorangegangenen Projekten anderer Wissenschaftler war bekannt: Müssen sie starke Strahlung aushalten, steigern die Pilze ihre Stoffwechselrate. Das bedeutet, sie wachsen einfach schneller und können so die von der Strahlung verursachten Schäden wieder reparieren. So können sie ansonsten unbewohnbare Orte besiedeln. "Es wurden schon einige Pilze im Reaktorgebäude von Tschernobyl gefunden", sagt der Forscher.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 29. August 2024 | 16:30 Uhr
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