Wood Wide Web Kommunizieren Bäume über ein unterirdisches Pilz-Netzwerk?
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19. Februar 2023, 14:00 Uhr
Kein Baum im Wald steht allein für sich, denn verborgen vor den Blicken der Menschen unter der Erde sind die Wurzelwerke der Bäume miteinander verbunden. Und die Wurzeln wiederum sind mit einem Pilzgeflecht verbunden. Über ein Netzwerk dieser Pilze, so die Idee, können die Bäume sogar miteinander kommunizieren. Doch existiert diese charmante Idee vom "Wood Wide Web" tatsächlich? Einige Fachleute äußern jetzt Zweifel daran.
Dass es ein unterirdisches Netz aus Pilzfäden gibt, das dafür sorgt, dass die Bäume im Wald miteinander "sprechen" können und über das sie Ressourcen mit ihrem "Nachwuchs" teilen und die Sämlinge sogar schützen können, das ist tatsächlich ein Szenario, das die Fantasie anregt, schreiben die Fachleute. Aber entspricht das auch der Wirklichkeit? In einem Fachartikel diskutieren Justine Karst von der University of Alberta in Kanada und ihre Kollegen den aktuellen Stand der Forschung und skizzieren, was wir über die Pilz-Netzwerke wissen und was eher ins Reich der Fantasie gehört.
Unterirdische Pilzgeflechte
Das generelle Fazit von Expertin Karst ist ernüchternd: Die Idee vom Pilz-Netzwerk, das als "Wood Wide Web" zur Kommunikation zwischen den Bäumen eines Waldes dient, ist unbewiesen, bilanziert sie. Die Forschenden betrachten in ihrer Analyse drei populäre Behauptungen über die Fähigkeiten der unterirdischen Pilze, die sogenannte Mykorrhiza-Netzwerke bilden und die Wurzeln mehrerer Pflanzen unterirdisch verbinden. Bei den Pilzen handelt es sich um lebende Organismen aus Schimmelpilzen, Hefen und Schwämmen.
Mykorrhiza
Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Pilzwurzel". Dabei handelt es sich um ein Geflecht aus Pilzfäden im Boden, dass häufig eine Symbiose mit unseren Waldbäumen eingeht. Im Boden verbindet sich das Pilzgeflecht mit den Feinwurzeln der Bäume. Dadurch ist ein Austausch möglich, bei dem der Pilz den Bäumen Wasser liefert und im Gegenzug dafür etwas erhält, das der Pilz nicht selbst herstellen kann: Zucker. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen zum Vorteil beider Partner. Mehrere tausend Arten gehen diese Symbiose ein.
Quelle: Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft
Ganz generell freut sich Pilz-Forscherin Karst zwar über die Aufmerksamkeit, die die Forschung an Mykorrhiza-Netzwerken den Waldpilzen beschert hat. Es sei aber wichtig, "dass die Öffentlichkeit versteht, dass viele populäre Ideen der Wissenschaft voraus sind", so Karst. Die Existenz der Mykorrhiza-Netzwerke sei zwar wissenschaftlich nachgewiesen, aber es gebe keine eindeutigen Belege dafür, dass sie Bäumen und ihren Setzlingen irgendwelche Vorteile bringen, stellen die Forschenden fest. Sie haben in ihrer Analyse drei populäre Behauptungen anhand der vorliegenden Studienlage untersucht.
Drei populäre Thesen geprüft
Behauptung 1: Mykorrhiza-Netzwerke sind in Wäldern weit verbreitet
Die Behauptung, dass die Pilz-Netzwerke in den Waldböden weit verbreitet sind, lässt sich anhand der vorliegenden Forschungsergebnisse nicht halten, bilanzieren die Fachleute. Dafür gebe es nicht genügend wissenschaftliche Belege und "da zu wenige Wälder kartiert sind", sei auch nicht genug über die Struktur der Mykorrhiza-Netzwerke und ihre Funktion bekannt.
Behauptung 2: Mykorrhiza-Netzwerke übertragen Ressourcen und erhöhen die Sämlingsleistung
Auch die Behauptung, dass durch die Mykorrhiza-Netzwerke Ressourcen wie Nährstoffe von erwachsenen Bäumen auf Setzlinge übertragen werden und dass sie Überleben und Wachstum fördern, wurde als fragwürdig befunden. So habe die Analyse von insgesamt 26 vorliegenden Studien zwar ergeben, dass Bäume durchaus Ressourcen im Untergrund aneinander übertragen können, jedoch bewirken die Mykorrhiza-Netzwerke diesen Fluss nicht unbedingt. Außerdem profitieren die Sämlinge offenbar nicht vom Zugang zu den Pilz-Netzwerken. Tatsächlich zeigten die Daten, dass es genauso viele Belege dafür gibt, dass sie den jungen Bäumen helfen, als auch für das genaue Gegenteil – nämlich dass sie sie sogar behindern. Am häufigsten jedoch hätten die Pilzgeflechte gar keine Auswirkungen auf die jungen Pflanzen gehabt.
Behauptung 3: Ausgewachsene Bäume kommunizieren bevorzugt über Mykorrhiza-Netzwerke mit ihren Nachkommen
Die dritte populäre Behauptung ist den Forschenden zufolge, dass erwachsene Bäume über die Mykorrhiza-Netzwerke bevorzugt Ressourcen oder "Warnsignale" bei Insektenschäden senden. Doch dafür liefere keine einzige von Experten begutachtete, veröffentlichte Feldstudie irgendwelche Belege, schließt die Analyse.
Übertreibungen verzerren öffentliche Erzählung
Die Forschenden stellen zusammenfassend fest, dass die öffentliche Erzählung vom "Wood Wide Web" über die unterirdischen Pilz-Netzwerke durch Übertreibung verzerrt ist. Bei der zusätzlichen Analyse von Zitierungen in Fachartikeln zum Thema habe sich außerdem gezeigt, dass es hier ein Tendenz zur Zitierung positiver Effekte gebe.
Die Forschungsergebnisse würden häufig überinterpretiert. Das Problem: Diese Wahrnehmung könnte die Art und Weise beeinflussen, wie die Wälder bewirtschaftet werden. Solide Wissenschaft sei etwa entscheidend für die Einführung von Forstpraktiken und -richtlinien. "Und Fehlinformationen nicht zu erkennen, kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft untergraben", so Pilz-Forscherin Karst. Es seien unbedingt weitere Forschungsarbeiten notwendig, um genauere Informationen über die Pilz-Netzwerke und ihre Funktion zu bekommen.
(kie)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Wissenschaft zwischen Baum und Borke | 22. September 2019 | 22:30 Uhr