Wissen, was wir lesen Verwobenes Leben. Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen
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28. Februar 2021, 15:00 Uhr
Spannende Anekdoten aus dem Leben eines Pilzforschers und viele "Fun Facts", die jede gesellige Runde nach der Corona-Pandemie erheitern werden. Der Biologe Merlin Sheldrake ist begeistert von Pilzen – und diese Begeisterung ist ansteckend, sagt MDR WISSEN-Volontärin Inka Zimmermann, die sein Buch über "Verwobenes Leben" gelesen hat und dieses wärmstens empfehlen kann.
Worum geht es?
Der Biologe Merlin Sheldrake philosophiert über seine große Leidenschaft: die Mykologie – die Wissenschaft der Pilze. Weder Tier noch Pflanze, entziehen Pilze sich sämtlichen Kategorien, in die wir die Welt bislang eingeteilt haben. Denn das, was wir jeden Herbst im Wald suchen, sind eigentlich nur die Fruchtkörper der Pilze – und bei weitem nicht der spannendste Teil. Pilze sind ungemein vielseitig und können noch viel mehr: Sie helfen uns bei der Erzeugung von Impfstoffen, Alkohol oder Antibiotika und besiedeln selbst unsere Körper in Form von Mikroben.
In diesem Buch werden einige sehr erstaunliche Pilzarten vorgestellt. Darunter beispielsweise der "Zombie-Pilz". Hat er eine Ameise infiziert, verliert sie ihre instinktive Höhenangst und klettert auf die nächste Pflanze. Dort angekommen, heftet sich der Pilz fest und verdaut die Ameise. Sie dient lediglich als Vehikel. Dank ihr befindet sich der Pilz nun an der idealen Stelle, um seine Sporen zu verteilen. Das Geheimnis des Pilzes: Er schüttet eine psychoaktive Substanz aus, die ähnlich wie die Droge LSD wirkt. So manipuliert er das Verhalten der Ameise und steuert sie beinahe wie eine Marionette.
Wie schafft es das Buch, mich zu fesseln?
Selten wird mit so viel Begeisterung über Pilze geschrieben. Und die springt beim Lesen über! Sheldrakes Sachbuch liest sich wie eine sehr persönliche Liebeserklärung an sein Forschungsfeld.
Dieses Buch ist keine reine Sammlung an Fakten, vielmehr erzählt der Forscher spannende Anekdoten aus dem Alltag eines Biologen.
Beispielsweise, wie er im Regenwald von den Forscherkollegen ausgelacht wurde, weil er nicht davon ablassen konnte, auf der Suche nach einer rätselhaften blauen Blume durch den Morast zu kriechen. Später dürfte den Kollegen der Hohn vergangen sein: Sheldrake entdeckte, dass diese Blume, der Dschungelenzian Voyria tenella, es schafft, auf dem dunklen Waldboden gänzlich ohne Photosynthese zu überleben. Wie eine Hackerin im World Wide Web zapft sie ein unterirdisches Netzwerk aus Mykorrhiza-Pilzen an und bezieht dort Nährstoffe.
Die Internet-Analogie ist an dieser Stelle übrigens beabsichtigt: Ähnlich unserer Vernetzung im WWW nutzen Bäume eine riesengroßes Untergrundnetz aus Pilzstrukturen, um miteinander zu kommunizieren und Nährstoffe auszutauschen. Für erfahrene Pilzkennerinnen und -kenner dürfte das nicht mehr ganz neu sein. Der Autor schafft es allerdings, neben solchen "Fun Facts" auch komplexere biochemische Zusammenhänge auf einfache und durchweg unterhaltsame Weise zu erklären. So wird dieses Buch auch fortgeschrittene Pilzfans fesseln.
Wer hat's geschrieben?
Merlin Sheldrake ist Biologe und schrieb seine Dissertation über Pilznetzwerke im tropischen Panama. "Verwobenes Leben" ist das erste Buch des 34-Jährigen. In seiner Begeisterung für Pilze schreckt der Forscher auch nicht vor dem einen oder anderen Selbstversuch zurück: Kürzlich demonstrierte er auf Youtube, wie er Austernpilze, die auf einer Ausgabe seines Buches gewachsen waren, zubereitet und verspeist. Lediglich die Druckerfarbe könne ein wenig giftig sein, ansonsten ungefährlich!
Wie ist es geschrieben?
Dieses Buch will Laiinnen und Laien für Pilze begeistern – dementsprechend niedrigschwellig ist der Zugang zu wissenschaftlichen Informationen. Sheldrake verzichtet weitgehend auf Fachvokabular und lateinische Namen.
Vor der Einleitung steht ein Zitat des Dichters Hafis: "In der feuchten Liebe gibt es Augenblicke, da beneidet uns der Himmel um das, was wir auf der Erde können." Nun, ob der Dichter dabei tatsächlich an Pilze dachte, sei dahingestellt. Sheldrake zumindest möchte für seine Leserinnen und Leser einen sinnlichen Zugang zum Thema schaffen. Grandios ist in dieser Hinsicht seine Beschreibung der Trüffelsuche. Den Geruch des frisch geborgenen Pilzes beschreibt er in Anlehnung an die Duftorgel aus Huxleys "Schöne Neue Welt" als ein "Geruchskonzert, das ganze Suiten aus flüchtigen Substanzen spielt". Wer ausreichend Fantasie aufbringt, hat das Gefühl, direkt neben ihm zu stehen, im italienischen Piemont – auf der Jagd nach verlockenden Pilzen.
Was bleibt hängen?
Pilze fordern unser wissenschaftliches Konzept von der Welt heraus: Viele ihrer Aktivitäten können nur als "intelligent" eingestuft werden – allerdings besitzen sie gar kein Gehirn. Merlin Sheldrake ermutigt die Leserinnen und Leser, derartige Grenzen zu hinterfragen. Seine These: Neben unserer Vorstellung von wissenschaftlichem Rationalismus kann auch unsere Fantasie spannende Impulse für die Forschung liefern. Er selbst sucht während eines LSD-Trips nach einem neuen Fokus für die eigene Forschung.
Wer nicht so weit gehen will, kann dem Forscher auf 336 höchst unterhaltsamen Seiten bei der Arbeit über die Schulter gucken. Nach der Lektüre dieses Buches bleibt der Eindruck, dass Pilze eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung unserer Zukunft auf diesem Planeten spielen werden. Vielleicht übernehmen sie sogar eines Tages die Weltherrschaft – die Rezensentin würde sich nicht wundern!
Die Rezensentin Inka Zimmermann ist gerade als Volontärin bei MDR WISSEN und verabscheut Pilzgerichte eigentlich! Ihre Begeisterung für die geheimnisvollen Lebewesen weckte erst ein Experiment im Biologie-Unterricht: Aus Bananen, Zucker und Hefepilzen entstand nach einigen Tagen eine trübe Flüssigkeit. Geschmacklich immer noch wenig überzeugend, sorgte diese zumindest für ein heiteres, "schwebendes Gefühl". Seitdem haben Wissenschaftsthemen sie noch öfter zum Lachen gebracht. Und genau das möchte sie hier auch vermitteln: Wissenschaft kann wahnsinnig unterhaltsam sein!
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