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Wer ein Haus bauen oder sanieren möchte, steht vor einer großen Auswahl an konventionellen Baumaterialien. In Mitteldeutschland gibt es einen ganz besonderen Baustoff. Er ist nachhaltig und fast überall verfügbar.

MDR FERNSEHEN Mi 30.10.2024 14:00Uhr 02:51 min

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Klimafreundlich bauen Lehm – alter Baustoff mit Zukunft?

29. Oktober 2024, 09:55 Uhr

Wer heutzutage ein Haus bauen oder sanieren möchte, steht vor einer großen Auswahl an konventionellen Baumaterialien. Sie werden oft teuer produziert, können umwelt- und gesundheitsschädliche Stoffe enthalten und müssten in manchen Fällen später als Sondermüll entsorgt werden. In Mitteldeutschland gibt es einen besonderen Baustoff, der nicht nur nachhaltig und fast überall verfügbar ist, er gilt auch als der älteste der Welt.

Vor zwei Jahren hat Lisa Runkehl gemeinsam mit ihrem Partner ein altes Haus aus dem 19. Jahrhundert gekauft. Die beiden wollen so viel wie möglich selbst sanieren mit regionalen, ökologischen Baustoffen. Als sie im Internet über eine private Kleinanzeige stolpern, in der nur zwei Dörfer weiter kostenlos Lehm angeboten wird, zögern sie nicht lange. "Damit ging es eigentlich los, dass wir uns mit dem Thema beschäftigt haben", erzählt die 33-Jährige. Auch in ihrem Haus im Saalekreis nördlich von Halle stoßen sie während des Umbaus immer wieder auf Lehmzwischenwände und -decken. Welche Vorteile sie dadurch sowohl beim Bauen als auch beim Wohnklima haben würden, ist ihnen damals noch nicht bewusst.

Einfamilienhaus mit Garten
Ein typisches Lehmhaus im Saalekreis. Der Baustoff galt seit der Gründerzeit als billig und wurde daher oft verputzt. Bildrechte: MDR Wissen/ Beate Splett

Baustoff der Armen

Von der Jungsteinzeit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ist Lehm ein reguläres Baumaterial. Doch mit dem Bauboom der Gründerzeit ab Ende des 19. Jahrhunderts verliert er immer mehr an Bedeutung. Eine Ursache ist die Massenfertigung von Ziegeln und später Beton. "Das Image des 'Baustoffs der Armen' festigte sich immer mehr und die Menschen schämten sich zunehmend für ihr Haus aus 'Dreck'. Wer es sich leisten konnte, baute sein Haus aus Stein oder Ziegeln", sagt Dr. Norma Henkel. Ein kurioser Fakt: In Mitteldeutschland werden damals vielen Lehmhäusern zur Straßenseite hin Klinkerfassaden vorgesetzt, um zu verbergen, dass es eigentlich ein Lehmhaus ist. "Das Vorurteil der einfachen dunklen Lehmhütte und seine angeblich geringe Strapazierbarkeit und Haltbarkeit haftet dem Lehm bis heute an. Er ist damit auch der unterschätzteste Baustoff der Welt," erzählt die Archäologin.

Mitteldeutschland – Region der Lehmhäuser?

Dr. Norma Henkel
Dr. Norma Henkel, Archäologin vom WIR!-Bündnis GOLEHM Bildrechte: MDR Wissen/ Beate Splett

Im südlichen Sachsen-Anhalt, östlichen Thüringen und westlichen Sachsen gibt es besonders viele alte Massivlehmhäuser mit dicken, tragenden Wänden. Dr. Norma Henkel, Archäologin vom WIR!-Bündnis GOLEHM hat die Erklärung dafür: "Lehm ist hier in großen Mengen fast überall oberflächennah verfügbar. Auch die klimatische Gunst der Region spielt eine Rolle, im Windschatten des Harzes ist es trocken, was wichtig ist, da Lehm wasserlöslich ist." Außerdem steht in der Region früher wenig Bauholz zur Verfügung, weil große Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung gerodet werden. Lehm ist eine günstige Alternative.

Lehmbau live erleben beim Silbersalz-Festival

GOLEHM lädt im Rahmen des Silbersalz-Festivals in Halle zu einer Lehmwerkstatt und Exkursion ein. Für alle Infos zu "Lehm ist schön!" klicken Sie hier.

"Im Allgemeinen ist die landläufige Vorstellung eines Lehmhauses in Deutschland mit Fachwerkgebäuden verknüpft. Weitgehend unbekannt ist aber, dass die Kernregionen Mitteldeutschlands hier eine Sonderstellung einnehmen." Über Jahrhunderte hinweg wird hier vorrangig in Massivlehmbauweise gebaut, mit tragenden Wänden aus reinem Lehm, ohne eine Holzkonstruktion. "Wir schätzen, dass im südlichen Sachsen-Anhalt, dem westlichen Sachsen und dem östlichen Thüringen noch rund 200.000 Massivlehmgebäude existieren. Da die Häuser aber meist verputzt sind, ist das Phänomen weitgehend unsichtbar," erklärt die Expertin. Vom einfachen Bauernhaus, über Pfarr- und Gutshäuser, Gasthöfe oder Wirtschaftsgebäude wie Scheunen und Ställe wurde mit Lehm gebaut. Vor allem im ländlichen Raum ist dieses Lehmbauerbe noch erhalten. "Erkennen kann man die Häuser am besten durch Fehlstellen im Putz. Indirekte, konstruktive Hinweise wie der steinerne Sockel, die Anordnung der eher kleinen Fenster, die Dachform oder die Wanddicke sind eher nur etwas für das Expertenauge."

Lehm – Freundlich für Klima und Gesundheit

Bottich mit Lehm und Werkzeug
Lehm zu verarbeiten kann herausfordernd sein, ist aber dafür gesundheitlich unbedenklich. Bildrechte: MDR Wissen/ Beate Splett

Die Baubranche ist in Deutschland für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Abbau, Herstellung und Entsorgung der Baustoffe sind besonders energieaufwendig. Hier profitiert der Lehm. "In Sachen CO2-Neutralität und Recyclingfähigkeit ist Lehm der absolute Champion: Es ist der einzige Baustoff, der zu 100 Prozent ohne Qualitätsverlust immer wieder verwendbar ist. Ausgebauter Lehm z. B. aus Fachwerkhäusern, kann einfach wieder eingeweicht und neu verwendet werden. Diese vermeintliche Schwäche der Wasserlöslichkeit ist der Schlüssel zum klimagerechten Bauen. Mit Lehm verbaute Elemente können einfach wieder voneinander gelöst werden. Zudem kann Lehm als Naturprodukt - wenn nötig - einfach entsorgt werden. Er ist somit perfekt geeignet, um eine echte Kreislaufwirtschaft zu gewährleisten, bei der möglichst viele Materialien wiederverwendet werden," plädiert Archäologin Norma Henkel. Lehm ist vielseitig einsetzbar und findet heute Anwendung in tragender Massivbauweise (z. B. Stampflehm oder Lehmsteinmauerwerk), aber auch in verschiedenen Produktformen wie Wand- und Deckenputze, Mörtel oder als Trockenbauplatte. Ein weiterer Vorteil: Im Unterschied zu vielen konventionellen Baustoffen entsteht beim Bauen mit Lehm kein umweltschädlicher Sondermüll.

Person feuchtet Lehmwand an
Bauherrin Lisa Runkehl in ihrem Lehmhaus. Bildrechte: MDR Wissen/ Beate Splett

Auch für Bauherrin Lisa Runkehl sind die Vorzüge des Bauens mit Lehm inzwischen deutlich spürbar. Er lässt sich selbst für sie als Baulaien gut verarbeiten. "Wenn ich mit einer verputzten Stelle an der Wand nicht zufrieden bin, klopfe ich sie ab, feuchte wieder an und kann so jederzeit Fehler beheben," erzählt die Textilkünstlerin. Auch ist der natürliche Baustoff nicht ätzend und greift die Haut nicht an, wie etwa Zement. Hinzu kommt das angenehme Raumklima. Den Unterschied zur Wohnung in der Stadt merkt sie als Asthmatikerin deutlich: "Wir haben hier eine konstante Raumfeuchte. Ich habe weniger trockene Schleimhäute, weniger Allergien." Außerdem absorbiert der Lehm schlechte Gerüche und reguliert die Temperatur. Im Sommer ist es angenehm kühl, im Winter hält sich die Wärme.

WIR-Bündnis GOLEHM - Initiative für Lehmbau und nachhaltige Kreislaufwirtschaft Die GOLEHM-Initiative ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes interdisziplinäres Forschungsbündnis mit dem Ziel, den traditionellen Massivlehmbau in Mitteldeutschland zu erforschen und zukunftsfähig zu machen. Seit 2020 wurden zahlreiche Forschungsprojekte auf den Weg gebracht, die den Massivlehmbau in den Schwerpunktbereichen Bestandssanierung und Neubau, Normung und Zertifizierung sowie im Wissenstransfer voranbringen. Ein weiteres Ziel ist es, das Bewusstsein für das mitteldeutsche Lehmbauerbe und mehr Akzeptanz für das Bauen mit Lehm zu schaffen und den Massivlehmbau als klimaresiliente und kreislauffähige Bauweise für die Schaffung von bezahlbarem und gesundem Wohnraum zu etablieren. So kann der massive Lehmbau auch zur Chance für einen nachhaltigen Strukturwandel in der Region werden.

Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | Sachsen-Anhalt-Heute | 01. November 2024 | 19:00 Uhr

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