Der Fluss Weiߟe Elster im Vogtland, am Ufer Steine mit Moos bewachsen
Hat der Mensch den Flusslauf der Weoißen Elster schon vor 7.000 Jahren beeinflusst? Bildrechte: imago images/Norbert Neetz

Lehm verrät Geschichte Seit wann der Mensch die Welt verändert – die Spuren im Lehm der Weißen Elster

19. Dezember 2021, 09:30 Uhr

Der Mensch verändert seine Umwelt. Nicht erst, seit er die Erdatmosphäre aufheizt. Schon die frühen Bauern holzten Wälder ab, legten Be- und Entwässerungsgräben an. Die Haltung von Ziegen, Schafen, Schweinen prägte die Vegetation. Die Landschaftsveränderungen vor 10.000 Jahren lassen sich vor allem in den Ablagerungen der Flüsse nachweisen. Der europäische Modellfluss schlechthin: die "Weiße Elster".

Ausgerechnet die Landschaftszerstörung durch die Braunkohle machte die Weiße Elster zum Modellfluss. Südlich von Leipzig bekam sie ein neues, künstliches Flussbett, während ihr natürlicher Verlauf weggebaggert wurde, erklärt Geographieprofessor Christoph Zielhofer von der Uni Leipzig: In diesem Zusammenhang hat man schon in den 60er-, 70er-Jahren erkannt, dass es einen sogenannten Auenlehm im Bereich der Weißen Elster gibt, der relativ alt ist, etwa fünf- bis siebentausend Jahre alt. Das ist selbst nach aktuellem Stand ein sehr altes Sediment."

Ein Sediment, also eine Ablagerung, die nicht auf natürliche Prozesse zurückzuführen ist, sondern von der Tätigkeit des Menschen zeugt. Der hat im Mittellauf der Elster, also um Gera herum, die Wälder abgeholzt und damit für Erosion gesorgt. Hochwässer transportierten den Boden in den Unterlauf, wo er sich in der Tal-Aue der Elster in der Leipziger Tieflandsbucht wieder ablagerte. Wissenschaftler Zielhofer führt aus: "Man hat bisher immer vermutet, dass es ein früher menschlicher Einfluss auf das Geosystem des Flusses gewesen ist."

Auenlehm galt als Beleg für menschlichen Umwelteinfluss

Andere Flüsse haben diesen Auenlehm trotz ähnlicher geographischer Bedingungen nicht. Die Weiße Elster galt deshalb europaweit als Beleg dafür, wie schon Steinzeit-Bauern die Umwelt beeinflussten. Das Besondere: "So exponiert wie der untere Auenlehm in der Weißen Elster ist international kein Sediment diskutiert worden. Es war etwas Besonderes, dass man hier gefunden hat. Das Besondere war, dass man immer dieses frühe Alter herausgestellt hatte und es einen frühen Einfluss des Menschen auf seine Umwelt dargestellt hat."

Die Region um die weiße Elster ist schon früh besiedelt worden, sagt der Leipziger Archäologie-Professor Ulrich Veit: "Das waren die sehr attraktiven Böden auf diesem Löss-Substrat. Bäuerliche Besiedlung ist eng an solch fruchtbare Landschaften gebunden. Insofern ist hier der Zusammenhang zwischen Umwelt und Besiedlung sehr deutlich und auch nicht umstritten." Spektakuläre Funde wie Langhäuser oder die ältesten Brunnen Mitteleuropas erzählen von der jahrtausendealten Besiedlung und Nutzung des Landes.

Auenlehm stammt aus dem Oberlauf

Doch haben tatsächlich die Bauern vor 7.000 Jahren auch schon im Oberlauf der Weißen Elster mit Rodungen für Bodenerosion gesorgt, wie der abgelagerte Auenlehm nahelegt? "Genau daran haben wir jetzt Zweifel," sagt Christoph Zielhofer, der mit seinem Team den Auenlehm unter die geochemische Lupe nahm. Mit Hilfe der Röntgenfluoreszens wird das Elementenverhältnis im Ton genau detektiert und dann gesucht, wo sich im Ober- und Mittellauf der Elster diese Werte wiederfinden. Zur Verblüffung der Wissenschaftler stammt der jahrtausendealte Auenlehm nicht aus dem landwirtschaftlich genutzten Mittellauf des Flusses, sondern vom Oberlauf, also aus dem Elstergebirge. "Unser Problem im Projekt ist es jetzt, dass wir bisher zu diesen älteren Auenlehmen kein siedlungsgeschichtliches Gegenstück liefern können," sagt der Archäologe Ulrich Veit und setzt fort: "Nach dem ursprünglichen Modell wären wir davon ausgegangen, dass auch in diesem Oberlauf intensiv gesiedelt und vorab gerodet worden sei. Jetzt müssen wir neu darüber nachdenken, welche Ursachen das gehabt hat. Entweder ist es durch Menschen verursacht durch seine Siedlungsaktivitäten, oder es gab möglicherweise klimatische Ereignisse. Das können auch kurzfristige katastrophenartige Ereignisse gewesen sein, die zu einem entsprechenden Eintrag von Material geführt haben."

Auenlehm: Was genau verrät er über die Vergangenheit?

Der Auenlehm bleibt ein Fenster in die Vergangenheit. Nur was er zeigt, wird derzeit heißt debattiert. Hat der Mensch vor 7.000 Jahren die Umwelt noch gar nicht so stark beeinflusst wie bislang geglaubt? Oder sorgten Klima und Wetter seinerzeit für plötzliche entwaldete Bergkuppen? "Ich glaube, wir müssen vor allen Dingen ein ganz grundsätzliches Konzept neu denken. Man ging bisher immer davon aus, dass wir in Mitteleuropa unter natürlichen Einflüssen eigentlich eine geschlossene Vegetationsdecke haben, also einen geschlossenen Wald. Und davon, dass unter dieser geschlossenen Vegetationsdecke  im Grunde genommen keine größere Erosion und damit auch Sedimentation geben konnte. Vielleicht müssen wir grundsätzlich an diesem Konstrukt rütteln."

Möglicherweise gelangen aber auch unter natürlichen Bedingungen mehr Stoffe ins Wasser als geglaubt. Das hätte Konsequenzen für unser Verständnis, was ein naturnaher Fluss ist. Oder die jungsteinzeitlichen Hirten prägten mit der Waldweide die Bodenbedingungen stärker als vermutet? Dann wäre der Einfluss des Menschen noch höher zu gewichten. Vielleicht aber war doch das Wetter mit Starkregen und Schneeschmelze der entscheidende Faktor? Fragen, die weit in die Vergangenheit zurückreichen und doch aktuell sind. Denn es sind Hochwässer, die den Lehm transportieren, heute wie damals.

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