Biologie Fortpflanzung ohne Sperma: Für Braunalgen ist ein Leben ohne Männer möglich
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24. August 2024, 12:00 Uhr
Im sozialen Netzwerk TikTok machte im Frühjahr die Frage die Runde, ob Frauen nachts im Wald lieber einem Bären oder einem Mann begegnen würden. Für viele Frauen fiel die Wahl auf den Bären. Schon alleine, weil ihnen im Falle eines Angriffs eher geglaubt würde. Der Mann ist grad nicht sonderlich beliebt und hat sich durch patriarchale Strukturen die Chose zugegebenermaßen auch selbst eingebrockt. Aber er war eben auch immer unverzichtbar – für die Fortpflanzung. Es geht allerdings auch ohne Männer, wie aktuelle Forschung zeigt.
Bei Sandra Newman ist es ja ganz einfach: Plötzlich waren alle Männer weg. Und der Welt fehlte nicht nur die halbe Menschheit – sie hatte auch eine Sorge weniger. Oder vier Milliarden, wie man's nimmt. Das ist die Ausgangslage in in ihrem aktuellen Roman "Das Verschwinden", in dem sich Frauen eine neue Zivilisation ganz ohne Patriarchat aufbauen können. Und eben auch müssen.
Tatsächlich gibt es Populationen, die das bereits geschafft haben: Braunalgen aus der Gattung Scytosiphon an der Küste Japans. Von den gut 25 Zentimeter großen Gewächsen wurde jahrzehntelang gemunkelt, dass sie ohne Männer klarkommen, sagt die Biologin Susana Coelho: "Und das war sehr seltsam, es war eine Art Amazonen-Mythos."
Braunalgen – geschickte Sauerstoffproduzenten Braunalgen sind eine große Gruppe von Meeresalgen. In Küstengebieten produzieren sie fast die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen. Sie sind nach ihrer braunen oder olivgrünen Farbe benannt, die von einem Pigment namens Fucoxanthin herrührt. Dieses Pigment, in Verbindung mit Chlorophyll, ermöglicht es ihnen, selbst in tiefen oder schattigen Gewässern effizient Lichtenergie für die Fotosynthese einzufangen. Braunalgen variieren stark in Größe und Form und sind weltweit verbreitet.
Für Coelho und das Team vom Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen ein Grund, mal nachzuschauen, was es mit diesen Amazonen auf sich hat. Ihre Ergebnisse haben sie jetzt im Fachblatt Nature Ecology & Evolution veröffentlicht. Und siehe da: Unter den dort lebenden Braunalgen gibt’s tatsächlich nur Frauen. Warum, ist bisher ein Mysterium.
Die Welt ohne Männer war keine Absicht
Fest steht: "Sie wollten die Männer nicht absichtlich loswerden. Aber wahrscheinlich haben sich die Umweltbedingungen geändert, und die Männchen sind nicht mehr so gut gewachsen, so dass ihre Zahl zurückging." Denkbar sind zum Beispiel geänderte Wassertemperaturen. Die weiblichen Pflanzen mussten also mit den neuen Umständen leben und haben evolutionär gelernt, sich ohne Männer fortzupflanzen.
Wie auch beim Menschen brauchte es bei den Braunalgen für die Reproduktion einst eine Kombination aus Ei und Sperma. Nur gab es irgendwann keine Spermien mehr: "Diese Eizellen warten also nicht auf Spermien. Die Zellen beginnen sich zu teilen und dann wachsen sie zu einem neuen Organismus heran, ohne auf einen Mann zu warten."
Braunalgen haben sich an das Leben ohne Männer angepasst
Die Algen haben im Zuge dessen auch weibliche Merkmale verloren, zum Beispiel Duftstoffe, die zur Befruchtung locken sollen und offenbar ein kostspieliges Unterfangen sind. Und ohne Männchen wäre die Produktion des Pheromons schlichtweg eine unsinnige Müh. Außerdem spart die neue Art der Fortpflanzung Zeit.
Das ist Science-Fiction
Fortpflanzung ohne Sex gibt es auch bei Tieren
Übertragen auf den Menschen hieße das Ganze: Eine Frau würde ein Ei legen, in dem durch Zellteilung von alleine ein Baby heranwächst. Klingt absurd, aber tatsächlich sind die untersuchten Braunalgen nicht die einzigen Lebewesen, die ohne Männer klarkommen. Parthenogenese heißt das Phänomen, das auch bei einer Reihe von Tieren vorkommt – in Ausnahmefällen auch mal bei größeren, wie dem Komodowaran, verschiedenen Schlangen oder sogar Haien. Und zwar nach dem gleichen Zellteilungsprinzip. Höheren Säugetieren wie dem Mensch erteilt Susana Coelho aber eine Absage: "Ich denke, dass das sehr schwierig ist, das ist Science-Fiction."
Und auch wenn sich die Männer einmal ihrer selbst entledigen – dadurch, dass sie so sind, wie sie eben sind – und Frauen auf sich alleine gestellt wären, heißt das nicht zwangsläufig, dass die Welt automatisch zu einer besseren wird. In Sandra Newmans Roman "Das Verschwinden" zumindest schon mal nicht. Man müsste eben Braunalgen nach ihrer Sichtweise fragen können.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 24. August 2024 | 09:22 Uhr
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