Soziologische Studienergebnisse Gender-Gap beim Wählen: Junge Menschen driften auseinander
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26. April 2024, 12:13 Uhr
Junge Menschen haben noch nie so unterschiedlich gewählt wie aktuell. Einfluss auf das Wahlverhalten hat auch das Geschlecht der Wählerinnen und Wähler. Männer stimmen immer mehr für konservative Parteien, Frauen für progressive. Die Forschung spricht vom "Modern Gender Gap". Wo die Ursachen liegen.
Zora und Anton wohnen beide in Leipzig. Sie ist 23, er ein Jahr jünger. Bei der letzten Bundestagswahl 2021 haben sie beide die Grünen gewählt. Sie wird das auch bei der Landtagswahl 2024 in Sachsen tun. Er liebäugelt jetzt aber mit der CDU. Zora und Anton entscheiden vollkommen individuell, wen sie wählen wollen. Und doch stehen sie exemplarisch für den Trend, den die Forschung beobachtet.
Junge Frauen und Männer driften politisch immer weiter auseinander.
Zu diesem Schluss kommt die Studie des Kölner Soziologen Dr. Ansgar Hudde. Er spricht von einer eindeutigen links-rechts-Orientierung.
Je linker die Partei tendenziell, desto häufiger wird sie von Frauen im Vergleich zu Männern gewählt.
Wirft man einen Blick auf die Stimmenverteilung 18-24-jähriger Menschen bei den letzten Bundestagswahlen, leuchtet das ein.
Die beliebteste Partei bei den Frauen: Die Grünen – mit 28 Prozent. Bei den Männern bekam sie 20 Prozent.
Den größten Anteil der männlichen Wählerstimmen konnte die FDP verzeichnen, mit 26 Prozent. Von den Frauenstimmen hingegen konnte sie nur 15 Prozent holen.
Dass Frauen heute im Schnitt linker wählen als Männer, bezeichnet die Forschung als "Modern Gender Gap" im Wahlverhalten. Das ist kein Phänomen, was sich ausschließlich bei jungen Menschen zeigt. Jedoch ist der Gender Gap bei Menschen von 18-24 bezeichnend höher als in anderen Altersgruppen.
Warum treibt es die junge Generation am stärksten auseinander?
Werfen wir noch einmal einen Blick auf Zora und Anton. Sie entscheiden sich für die Partei, in der sie ihre Themen verwirklicht sehen. Anton wählt danach, welche Lösungen Parteien für wirtschaftliche Probleme präsentieren, wie sie sich zur demokratischen Grundordnung positionieren und wie stark sie sich für ein geeintes Europa einsetzen. Für Zora hingegen sind Umweltschutz, LGBTQ-Rechte und Gleichberechtigung ganz oben auf der Agenda.
Hier sieht der Soziologe Dr. Ansgar Hudde den primären Faktor, der zu dem erheblichen Gender Gap bei jungen Menschen führt. Junge Frauen priorisieren den Themenbereich Gleichstellung und Feminismus anders, als junge Männer es tun. In der Studie wird deutlich: Je stärker die Position der Parteien pro Gleichstellung und Feminismus sind, desto mehr Frauen befinden sich in ihrer Wählerschaft.
"Die Grünen sind dabei die Partei, die da sowohl die stärkste inhaltliche Position hat, als auch dem Thema am meisten Gewicht gibt. Sie ist am lautesten bei dem Thema", erklärt Dr. Ansgar Hudde.
Früher war alles anders
Die Tendenz, dass Frauen im Schnitt linker wählen als Männer wurde das erste Mal bei der Bundestagswahl 2017 deutlich. 2021 wurde die Kluft noch größer.
Doch das war nicht immer so. Für viele Jahrzehnte war es sogar umgekehrt. Werfen wir einen Blick auf die Historie:
Bis 1980 wählten junge Frauen im Schnitt bei der Bundestagswahl noch konservativer als die gleichaltrigen Männer. In den 80ern bekamen die linken Parteien dann immer mehr Zuspruch.
"Das wurde oft damit erklärt, dass Frauen im Schnitt religiöser sind als Männer. Die Religiosität hat generell in der Gesellschaft deutlich abgenommen und das nimmt ein bisschen die Bindung zu den christlich konservativen Parteien. Da Frauen bei der Religiosität von einem höheren Ausgangsniveau gekommen sind, schlägt dieser Effekt des Rückganges der Religiosität bei Frauen einfach stärker durch als bei Männern." erklärt Dr. Ansgar Hudde.
Ein weiterer Faktor für die linkere Gesinnung nach dem Soziologen: Die wachsende Erwerbstätigkeit der Frauen. "Das führt plausiblerweise dazu, dass ihre berufliche Position für Frauen auch wahlentscheidend wird. Vereinfacht ausgedrückt: Das, was sie sonntags in der Kirche hören, wird weniger wichtig gegenüber dem, was sie Montag bis Freitag im Betrieb erleben."
Große Datenanalyse macht Wandel sichtbar
Die Ergebnisse der Studie von Dr. Ansgar Hudde stehen teilweise im Konflikt mit vorherigen Forschungen. Grund dafür - die Forschungsmethoden. Oftmals werden Aussagen über das Wahlverhalten von Menschen über Befragungen erfasst. Dabei können gewisse Einflüsse das tatsächliche Verhalten verfälschen - wie soziale Erwünschtheit.
Dr. Hudde greift in seiner Forschung auf eine weltweit einzigartige Datenbasis zurück: Repräsentativ ausgewählte Stimmzettel aller Bundestagswahlen von 1953 bis 2021 - aufgeteilt nach Altersgruppe und Geschlecht, wobei hier nur nach den binären Geschlechtern sortiert wurde.
Bei der Bundestagswahl 2021 wurden beispielsweise 1,9 Millionen Stimmzettel getrennt ausgezählt, um daran das Wahlverhalten nach Geschlechtern zu analysieren.
So entstanden große Stichproben über viele Jahrzehnte, die das tatsächliche Wahlverhalten repräsentieren. Die Masse an Daten lassen eine Beobachtung zu - den wachsenden Gender Gap.
Die Landtagswahlen könnten den Trend brechen
Es könnte sein, dass der Gender Gap jetzt in Sachsen und Thüringen bei der AfD geringer ist als bundesweit.
Am 1. September 2024 finden in Sachsen und Thüringen Landtagswahlen statt, Brandenburg folgt am 22. September. Auch dort werden repräsentative Daten über das Wahlverhalten der Geschlechter erhoben. Diese wiederum könnten aber von dem bundesweiten Trend abweichen, vermutet Dr. Ansgar Hudde:
"Wenn wir international schauen, sehen wir in den Ländern, wo rechtspopulistische oder rechtsradikale Parteien eine gewisse gesellschaftliche Normalisierung erreicht haben, wird der Gender Gap geringer. In Italien, den Niederlanden oder Frankreich wählen fast genauso viele oder gleich viele Frauen die rechten Parteien wie Männer. Innerhalb von Deutschland sehen wir diese gesellschaftliche Normalisierung am stärksten in Sachsen und Thüringen. Die Stimmanteile sind in den Bundesländern besonders hoch und die Ablehnung gegen die Partei [AfD] geht eher zurück in der Gesellschaft. Sprich, es könnte sein, dass der Gender Gap jetzt in Sachsen und Thüringen bei der AfD geringer ist als bundesweit."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 23. April 2024 | 13:15 Uhr
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