Bundestagswahl Krise im Schatten: Ein Wahlkampf ohne das Klima
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21. Februar 2025, 11:53 Uhr
Am Sonntag wird ein neuer Bundestag gewählt. Damit geht auch ein Wahlkampf zu Ende, in dem das Klima kaum eine Rolle gespielt hat. Aber warum eigentlich nicht?
Die großen TV-Sendungen zur Bundestagswahl sind fast alle gelaufen und das Bild, das sich dem geneigten Publikum bot, war ein Düsteres. Das Klima spielte quasi keine Rolle. Es mussten erst die Bürgerinnen und Bürger in der ARD-Wahlarena selbst die Fragen stellen, damit die Spitzenkandidaten der Parteien ein wenig Stellung beziehen.
An der Relevanz der Klimakrise kann es nicht liegen. Selbst Akteure, die eigentlich nicht für ihren Hang zum Klima bekannt sind, schlagen inzwischen Alarm. Denn das Nichtstun gefährdet offenbar unsere Sicherheit. Im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz hat kürzlich unter anderem der Bundesnachrichtendienst vor den Folgen für die nationale Sicherheit gewarnt. "Wer Sicherheit denkt, muss Klima mitdenken", heißt es im entsprechenden Report. Auch der Global Risks Report 2025 des Weltwirtschaftsforums sieht die Folgen der Klimakrise nach wie vor unter den Top Ten-Risiken.
Multi-Krisen-Lage verschiebt Prioritäten
Aber woran liegt es dann, dass das Klima im Wahlkampf so wenig Beachtung findet? Einer der Hauptgründe ist, dass sich in Anbetracht der vielen anderen Krisen die Prioritäten in der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit verschoben haben, analysieren viele Fachleute.
Bei der Europawahl 2019 etwa gab es eine Nähe zu Extremwetterereignissen wie dem Dürresommer im Jahr zuvor, der die Auswirkungen der Klimakrise spürbar gemacht habe, sagt Lena Partzsch, Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Umwelt- und Klimapolitik. Außerdem habe die Fridays For Future-Bewegung das Thema in die Welt getragen. "Dann kam die Corona-Pandemie und der Ukraine Krieg und die Prioritäten haben sich verschoben", so Partzsch.
Außerdem fordert die kriselnde Wirtschaft nach der Corona-Pandemie die Aufmerksamkeit vieler Menschen – auch, weil sie die Folgen in der eigenen Geldbörse zu spüren bekommen. In diesem Umfeld lassen sich vermeintlich teure Klimaschutzbemühungen für die Politik offenbar nur schwer vermitteln, für komplexe Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Klimakrise ist im Wahlkampfgetöse ohnehin kein Platz. Und dann ist da im Zuge der Anschläge von Solingen und Aschaffenburg allen voran das Thema Migration ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
"Wir haben auf der einen Seite wirtschaftliche Problemlagen und auf der anderen eine Migrationsdebatte, die immer wieder angeheizt wird. Es ist natürlich sehr schwer, in so einer Situation klimapolitische Themen in der Debatte unterzubringen", bilanziert Pablo Jost von der Universität München. Man habe den Eindruck, das Thema Klimaschutz gehöre zum "Luxusgedöns", um das man sich kümmern könne, wenn die Wirtschaft wieder brummt, beklagte auch Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) jüngst in einem Zeitungsinterview. Doch Klimapolitik müsse eigentlich Teil jedes Politikfelds sein.
"Und dann ist es natürlich in so eine Lebensstildebatte umgeframed worden", sagt die Politökonomin Maja Göpel. "Das kennen wir aber aus der Forschung, dass viele von den Themen, die von Populisten aufgegriffen werden, dann in so Lebensstilfragen runtergebrochen werden, anstatt dass wir darüber sprechen, dass das Physik ist, aus der sich ableiten lässt, wie sich unsere Lebensgrundlagen und Lebensbedingungen verändern." Dadurch wirke das Thema Klima als wäre es ein ideologisches, so Göpel. "Es ist schwer, damit im Moment zu punkten."
Das Jugend-Thema
Welche Themen im Wahlkampf wie relevant sind, liegt natürlich auch an den potenziellen Interessen der Wählerschaft, denn das Ziel ist ja, möglichst viele Wählerinnen und Wähler von sich zu überzeugen. Und der Großteil ist aufgrund des demographischen Wandels tendenziell älter. "Es ist zum ersten Mal so, dass wir über 40 Prozent Wählende über 60 Jahren haben", erklärt etwa Politikwissenschaftlerin Lena Partzsch. Der Klimawandel werde aber stark als Zukunftsthema wahrgenommen und deshalb als Anliegen der jungen Generation eingeordnet. "Das ist ein Problem im Wahlkampf, weil die Unter-30-Jährigen weniger als 15 Prozent der Wahlbevölkerung ausmachen."
Nun ist es nicht so, dass sich die ältere Generation gar nicht für den Klimaschutz interessieren würde, aber die Daten zeigen schon, dass es vor allem die jungen Menschen sind, denen das Thema wirklich am Herzen liegt. Aber die verhelfen den Parteien schon rein mengenmäßig nicht zum Wahlsieg. Wenn man so will, handelt es sich um einen Fehler im System: Es wird häufiger in Wahlperioden gedacht und nicht primär an die langfristige Perspektive.
Das Abwehr-Phänomen
Und nicht zuletzt hat sich beim Thema Klima auch einiges in der Wahrnehmung verschoben. Dazu habe zum Beispiel die Berichterstattung über das Gebäudeenergiegesetz – auch Heizungsgesetz genannt – beigetragen, meint Kommunikationswissenschaftler Jost. Hier sei nicht nur extrem kritisch, sondern vor allem emotionalisierend kommuniziert worden. Und der öffentliche Streit in der Ampel-Koalition habe zusätzlich für Verunsicherung gesorgt.
Es hat einen Vertrauensverlust in Klimaschutzmaßnahmen gegeben, sagt der Frankfurter Soziologe Dennis Eversberg. Einerseits hätten Menschen angesichts der vielen Krisen ein Gefühl der Überforderung. "Der Eindruck ist: Das können wir nicht auch noch leisten und uns wird schon zu viel abverlangt."
In seinen Befragungen sehe Eversberg aber insbesondere seit der Ampel-Regierung, dass sich vor allem beim gesellschaftlichen Wohlstandsmittel etwas verschoben habe. "Gerade jene, die durchaus materiell gut ausgestattet sind und die sich auch leisten können, Anpassungsleistungen zu erbringen, zeigen eine Abwehr gegen das Thema." Dieses Milieu wehre sich gegen die Einsicht, dass das Klima einen Einfluss auf die eigene Lebensweise habe. "Ein großer Faktor ist der Vertrauensverlust, der darauf beruht, dass die Politik lange Zeit das Versprechen gemacht hat: Für euch ändert sich nichts, wir managen das für euch, das geht an euch alles bequem vorbei und wir kriegen das mit Technik alles hin." Mittlerweile sei aber nicht mehr übersehbar, dass dieses Versprechen nicht zu halten sei, so Eversberg.
Das große Problem: Während der Ampel-Regierung sei das Thema Klimaschutz insbesondere von den Grünen zu eng mit ökonomischen Aspekten verknüpft worden. Das habe etwa die Debatte um die Schuldenbremse deutlich gezeigt, sagt der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Ruhr-Universität Bochum. "Die anderen Parteien können mit dem Thema Ökologie jetzt ihre eigenen ideologischen Keywords verbinden. Jeder macht sich so seinen eigenen Reim auf den Klimaschutz und das bekommt natürlich dem Thema und der Dringlichkeit überhaupt nicht."
Die Chance der Entideologisierung
Ist die Klimapolitik also selbst in der Krise? Das Thema kann für die Politik wieder an Relevanz gewinnen, wenn es gelingt, es weniger ideologisch aufzuladen, glauben die Fachleute.
Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt sieht auch eine Chance: "Klima war sehr lange ein sehr polarisiertes Thema und jetzt aufbauend auf der Wahrnehmung, dass sehr viele Leute verstanden haben, das was passieren muss, ist das vielleicht auch eine Chance, das Thema zu entpolarisieren und jetzt pragmatische Lösungen zu finden."
Damit das gelingt, dürfe das Thema aber nicht mehr in dieser Weise polarisieren, wie es momentan noch der Fall sei, meint Lembcke. "Es muss auch wesentlich deutlicher werden, was für ein Eigeninteresse eigentlich die deutsche Wählerschaft generationsübergreifend an diesem Thema hat. Das ist untergegangen." Insgesamt brauche das Klima eine Entideologisierung, bilanziert der Forscher. Und auch andere Stimmen – wie etwa der Deutsche Naturschutzring – mahnen: Es sei verpasst worden, den Klimaschutz als Chance für ein besseres Leben zu begreifen und zu gestalten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 21. Februar 2025 | 12:20 Uhr
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