Schäferin mit ihrer Herde auf einem Deich. 3 min
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Kein gutes Jahr für Hirten Blauzungenkrankheit: Schafen und Rindern droht neue Infektionswelle im Sommer

07. Januar 2025, 09:45 Uhr

Schäfer und Milchviehhalter haben ein hartes Jahr hinter sich. Das Blauzungenvirus infizierte und tötete etliche Tiere. Die schlechte Nachricht: Die nächste Virusvariante steht schon in den Startlöchern.

Viele Betriebe haben die Gefahr wohl unterschätzt und als es ernst wurde, blieb kaum noch Zeit zu handeln: Im Herbst 2023 war ein in Europa neuer Typ des Blauzungenvirus (BTV) in den Niederlanden aufgetaucht, BTV-3. Der Erreger infiziert Kühe, Schafe und Ziegen. Rinder können schwer erkranken. Bei Schafen ist die Krankheit dramatischer: Ohne Impfung stirbt etwa jedes vierte Tier an der Krankheit.

Blauzungenkrankheit kam schneller als erwartet nach Osten

Doch anders als etwa die Vogelgrippe wird BTV nicht von Tier zu Tier übertragen, sondern es braucht die Gnitzen. Das ist eine Familie von Stechmücken, die das Virus mit ihren Stichen weitergeben. Die Ausbreitung des Erregers ist also direkt mit der Verbreitung infizierter Mücken verbunden.

Eine Veterinärin impft ein Jungtier gegen die Blauzungenkrankheit 1 min
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Anfang 2024 haben also viele Betriebe noch die Hoffnung, dass BTV-3 in diesem Sommer nicht so weit nach Osten kommt. So berichtet es Gudrun Plesch, Agrarwissenschaftlerin und Professorin an der privaten Internationalen Hochschule (IU) aus Gesprächen mit anderen Viehhaltern. Doch das feuchtwarme Klima schafft letztlich ideale Bedingungen für die Gnitzen. Milchviehbetriebe und Schäfer in Mitteldeutschland erleben ab August eine böse Überraschung. "Viele haben gedacht, es ist schon Ende des Jahres, was soll nun noch kommen. Dann wurden sie überrumpelt", sagt Plesch, die selbst Viehhalterin ist. Bis zum Jahresende zählt das für Tiergesundheit zuständige Friedrich-Löffler-Institut über 15.000 Infektionen mit dem Virus in Deutschland.

Über 30 verschiedene Typen des Blauzungenvirus bekannt

Das Blauzungenvirus ist keine neue Erkrankung. Es gibt rund 30 verschiedene sogenannte Serotypen, also eng verwandte, aber dennoch unterschiedliche Arten des für Menschen ungefährlichen Erregers. Ähnlich wie man es von der Coronapandemie kennt, bedeuten neue Virustypen, dass die Immunität aus früheren Ansteckungen oder Impfungen nichts mehr wert ist und sich ein Tier erneut infizieren kann.

Die letzte Welle liegt schon einige Zeit zurück: Zwischen 2006 und 2008 wurden schon einmal tausende Weidetiere krank, damals vor allem an den Typen BTV-4 und BTV-8. "Klinische Symptome, die bei früheren Ausbrüchen typisch waren, sind diese Schwellungen und Entzündungen an den Lippen, am Flotzmaul, am Kronsaum", sagt Gudrun Plesch. Bei Schafen kam es auch zur Schwellung der Zunge, die dabei blau anlief. Daher der Name.

Viele Betriebe impfen zu spät gegen BTV-3

Doch BTV-3 führt nicht zu diesen auffälligen Symptomen. "Die Erkrankung ist relativ unspezifisch. Einhergehend mit hohem Fieber, kommt es zu einer Vermehrung in den Blutgefäßen, mit nachfolgenden Neigungen zu Blutungen, Nasenausfluss, Augenausfluss", klärt Thomas Vahlenkamp auf, Tierarzt und Dekan der Veterinärmedizin an der Universität Leipzig. Durch Einblutungen in die Lederhaut können Gliedmaßen gelähmt werden. Trächtige Kühe oder Mutterschafe verlieren mitunter ihren Nachwuchs durch Fehlgeburten.

Weil aber kaum blau gefärbte Zungen auftreten und die vorher typischen Schwellungen fehlen, hätten viele Betriebe den Befall mit BTV-3 möglicherweise auch zunächst nicht erkannt, vermutet Gudrun Plesch.

Durch Notverordnungen sind zwar ab Juni 2024 drei Impfstoffe für Tiere in Deutschland verfügbar. Doch sie benötigen mehrere Impfdosen im Abstand einiger Wochen, damit sie wirksam werden. Die Impfung schützt dabei auch nicht vor einer Ansteckung, sondern meist nur vor schweren Verläufen. Tierhalter müssen die Wirkstoffe aus eigener Tasche bezahlen. Für jeden Betrieb ist die Entscheidung für oder gegen eine Impfung vor allem auch eine wirtschaftliche Abwägung.

Übersterblichkeit bei Schafen mehr als 60 Prozent im Vergleich zu 2023

Als im August die ersten mit BTV-3 infizierten Gnitzen Sachsen-Anhalt, Thüringen und auch Sachsen erreichen, ist es für eine Impfung bereits zu spät. Bis Ende Oktober erkranken in allen drei Ländern von Gnitzen gestochene Kühe, Schafe und Ziegen an dem Virus.

Die genaue Zahl der verendeten Tiere zu ermitteln, ist kompliziert. Um den bürokratischen Aufwand für Betriebe gering zu halten, müssen diese lediglich Infektionen melden, nicht aber, ob Tiere auch daran sterben. Allerdings führen die Einrichtungen zur Tierkörperbeseitigung Statistiken. Dort kommen aber nur die Tiere an, die nicht mehr geschlachtet und verarbeitet werden können. Da BTV für Menschen, Hunde oder Katzen ungefährlich ist, spricht nichts gegen eine Nutzung des Fleischs zur Nahrungsproduktion. Wie viele verendete Tiere diesen Weg gehen, ist nicht bekannt. Die Daten aus der Tierkörperbeseitigung liefern daher wahrscheinlich nur ein unvollständiges Bild.

Das Landesamt für Verbraucherschutz von Sachsen-Anhalt, zu dem auch die Landesveterinäranstalt gehört, ermittelt für den Herbst 2024 bei Schafen und Ziegen eine Übersterblichkeit von über 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Es sterben also über zwei Drittel mehr Tiere als 2023. Bei Kühen fällt die Übersterblichkeit mit 17 Prozent geringer aus. Sachsen zählt bis Ende November insgesamt 82 am BTV-3 verendete Tiere. 54 davon sind Schafe, 23 Rinder und 5 Ziegen.

BTV-12 im Anmarsch: Niederlande registriert bereits neuen Serotyp

Das Seuchengeschehen ist damit deutlich weniger dramatisch als beispielsweise bei der Vogelgrippe. Da BTV nicht von Tier zu Tier übertragen wird, sind auch keine Notschlachtungen erforderlich. Trotzdem können die Schäden manche Betriebe empfindlich treffen. Besonders Schäfer, deren Geschäft wirtschaftlich ohnehin bereits herausfordernd ist, stellt das Virus nun vor neue Probleme.

Dass sich die Situation 2025 bessert, ist unwahrscheinlich. Im Oktober ist in den Niederlanden mit BTV-12 bereits der nächste, in Europa neue Serotyp aufgetaucht. Die Impfstoffentwicklung hat bereits begonnen. Aber wenn es schlecht läuft, dann zirkulieren im kommenden Jahr gleich zwei Virusvarianten gleichzeitig in Deutschland.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 07. Januar 2025 | 09:16 Uhr

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