Covid-19 Konsequente Teststrategie kann dritte Corona-Welle brechen
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13. April 2021, 18:17 Uhr
Deutschland streitet seit Wochen, wie und wo Corona-Schnelltests eingesetzt werden könnten. Der Fall Slowakei zeigt derweil: Eine konsequente Teststrategie kann die dritte Corona-Welle schnell und effektiv brechen.
Im Scherz nennt Martin Pavelka sein Land inzwischen "das Wunder von Mitteleuropa" – eine vom Unglück umgebene Insel. Der Epidemiologe arbeitet am slowakischen Institut für öffentliche Gesundheit in Bratislava. Und aktuell kann sein 5,4 Millionen Einwohner zählendes Land einen enormen Erfolg vorweisen: Auch ohne bereits einen Großteil der Bevölkerung geimpft zu haben, konnte die dritte Corona-Welle gebrochen werden. Wie kein anderes Land in Europa hat die Slowakei auf den massenhaften Einsatz von Antigenschnelltests gesetzt und das hat einen deutlichen Effekt gehabt, wie Pavelka und seine Kollegen kürzlich im führenden Wissenschaftsjournal Science belegen konnten.
Seit wir mit dem Testen angefangen haben, gehen unsere Zahlen zurück.
Während die Zahl der Neuinfektionen im Herbst und nach Weihnachten zeitweise die höchsten Werte in ganz Europa erreicht hatte, steht das Land heute besser da als all seine Nachbarn. Mit 106 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche ist die 7-Tages-Inzidenz geringer als in Polen, Tschechien, Ungarn, der Ukraine oder Österreich. Sie liegt fast ein Drittel niedriger als in Deutschland. Und das, obwohl Genom-Analysen zeigen, dass fast 100 Prozent der Infektionen mit der hochansteckenden britischen Corona-Mutante B.1.1.7 passieren.
Seit Januar ist der Reproduktionswert R in der Slowakei kleiner als eins, steckt jeder Infizierte also weniger als eine weitere Person an. Die Zahl der neuen Ansteckungen geht immer weiter zurück, aktuell beträgt R zwischen 0,8 und 0,9. "Seit wir mit dem Testen angefangen haben, gehen unsere Zahlen zurück", sagt Martin Pavelka.
Die Tests müssen regelmäßig wiederholt werden
Wie in Mitteldeutschland war auch in der Slowakei von der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 kaum etwas zu sehen gewesen. Dafür explodierten die Fallzahlen im Herbst schlagartig. Im Oktober und November griff das kleine Land zum ersten Mal zu einer beispiellos konsequenten Teststrategie und testete an drei Wochenenden nahezu drei Viertel der gesamten Bevölkerung. Die Maßnahme brachte die Beschäftigten des Gesundheitssystems an ihre Leistungsgrenze, viele Mitarbeiter waren überlastet. Doch der Effekt war eindeutig: Die Fälle gingen anschließend deutlich zurück, trotz weiterhin geöffneter Geschäfte und Schulen.
Die Slowakei ruhte sich auf dem Erfolg aus, stellte die Massentests ein und erlaubte zu Weihnachten Familienbesuche und Mobilität. Die anschließende dritte Corona-Welle erwischte das Land mit voller Härte. Seitdem ist allen klar: Ein Test allein beendet die Pandemie nicht, die Tests müssen regelmäßig wiederholt werden. Im Januar beschloss die Regierung einen neuen Lockdown, rief ihre Bevölkerung dazu auf, zu Hause zu bleiben – und führte wöchentliche Tests für jedermann ein.
Seitdem ist die Slowakei das einzige Land in Europa, das systematisch und regelmäßig versucht, alle seine Einwohner zu testen, auch diejenigen, die keine Symptome zeigen. Es gibt hier zwei Zahlen für die 7-Tages-Inzidenz. Eine, in die wie überall nur die Ergebnisse der PCR-Testung einfließen, auch in der Slowakei der sogenannte "Goldstandard". Wie erwähnt liegt diese gerade bei 106 Fällen pro Woche pro 100.000 Einwohner. Daneben gibt es aber noch die zweite, die auch die positiven Antigentests zählt. Sie ist mit 252 aktuell zwar mehr als doppelt so hoch. Die Kurven beider Datenreihen verlaufen aber genau parallel. Der Slowakei gelingt also offenbar einfach, auch die asymptomatisch Infizierten sichtbar zu machen. "Das wichtigste Erfolgskriterium ist die Menge der getesteten Personen", sagt Pavelka.
Testzertifikate als Eintrittskarte für Arbeitsstellen, Läden, Schulen
Auch in der Slowakei seien die Menschen nicht begeistert davon, an den Tests teilnehmen zu müssen. "Es kostet Zeit, es ist unangenehm, den Tupfer in die Nase zu bekommen", sagt Martin Pavelka. "Aber sobald die Leute verstehen: Das hier hilft meinem Land, ich kann etwas dazu beitragen, die Pandemie zu bekämpfen, dann nehmen sie teil." Wie beim Lockdown halten sich auch hier nicht alle an die Regeln. Aber es reicht, wenn der Anteil ausreichend groß ist.
Das hier hilft meinem Land, ich kann etwas dazu beitragen, die Pandemie zu bekämpfen.
Während die Infektionszahlen anderswo steigen, sinken sie in der Slowakei kontinuierlich. Alle Slowaken sind dazu aufgerufen, sich einmal pro Woche mit einem Antigenschnelltest testen zu lassen. Das Ergebnis wird mit einem Zertifikat bescheinigt. Nur wer ein aktuell gültiges Zertifikat hat, darf seine Arbeitsstelle betreten. Fragt man den Epidemiologen Pavelka, wie freiwillig die Teilnahme ist, dann lacht er und erklärt: "Ich nenne es halb-freiwillig. Die Testteilnahme ist nicht verpflichtend, aber ohne ein Zertifikat mit negativem Ergebnis kann man praktisch nicht viel machen. Man braucht es für alles." Er schätzt, dass sich derzeit zwischen 30 und 40 Prozent der Bevölkerung jede Woche testen lassen.
Testen, isolieren, Ansteckungen verhindern
Wichtigster Baustein dafür sei gewesen, die großen Arbeitgeber zu überzeugen. Heute seien die alle an Bord. Ein slowakischer Autohersteller teste seine Angestellten selbst, sagt der Epidemiologe. Noch im Januar habe das Unternehmen 1,5 Prozent positive Ergebnisse gemeldet. Inzwischen sei man nach vier Runden Massentestung bei 0,2 Prozent angelangt.
Wenn Sie Ihre Angestellten regelmäßig testen und die positiven schnell isolieren, dann erhalten Sie weniger Ansteckungen. Das führt wiederum zu einem geringeren Krankenstand. Die Arbeitgeber haben schnell verstanden, wie sehr ihnen das nützt.
Natürlich ist mit den Massentests in der Slowakei ein hoher personeller Aufwand verbunden. Es braucht zahlreiche trainierte Krankenpfleger und Ärzte in den Testzentren, die die Nasenabstriche richtig durchführen, um die Fehleranfälligkeit der Tests so gering wie möglich zu halten. "Aber wir haben festgestellt, es ist für alle besser, wenn wir viel medizinisches Personal für die Tests einsetzen, also für die Prävention neuer Ansteckungen, als wenn wir alle Pfleger und Ärzte auf überlasteten Intensivstationen brauchen", sagt Pavelka.
Nur eine hohe Testteilnahme kann die Infektionen eindämmen helfen
Das slowakische Beispiel ist auch den deutschen Behörden bereits bekannt. Bei Anfragen an die zuständigen Ministerien in den drei mitteldeutschen Bundesländern teilen Sprecher MDR WISSEN aber mit, dass man nur eine begrenzte Übertragbarkeit auf die deutsche Situation sehe. Simultane Massentests seien zu aufwendig. Auch einer allgemeinen Testpflicht stehen die Regierungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kritisch gegenüber. Freiwillige Angebote würden gut angenommen, teilt etwa das sächsische Sozialministerium mit. Wie viele wöchentliche Tests durchgeführt werden und wie hoch der Anteil der Bevölkerung ist, der teilnimmt, wird allerdings nicht erhoben.
Die Teststrategien der Länder setzen auf verpflichtende Tests nur in einzelnen Bereichen wie Schulen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen . Eine aktuelle Ausgabe des Epidemiologischen Bulletins vom Robert Koch-Institut weist allerdings klar darauf hin, dass das Infektionsgeschehen nur dann gesenkt werden könne, wenn sich die Bevölkerung zu einem großen Anteil an die bestehenden Verhaltensregeln halte und "eine hochfrequente Testung derselben Population über einen längeren Zeitraum" durchgeführt werde. Das Angebot zur Testung müsse von einem ausreichenden Bevölkerungsanteil wahrgenommen werden.
Ob das mit Freiwilligkeit und partiellen Kontrollen zu erreichen ist, erscheint fraglich. Je größer der Anteil der nicht getesteten Personengruppen, desto mehr potenzielle Reservoire gibt es in der Bevölkerung, wo Ansteckungen unkontrolliert weiterlaufen können.
Bei niedrigen Fallzahlen wird die Spezifität zum Problem
Ob Menschen mit positivem Testergebnis wirklich zu Hause bleiben und niemanden anstecken, wird in der Slowakei nicht kontrolliert. "Wir können das nicht polizeilich durchsetzen, wir sind hier auf die Selbstverantwortung der Menschen angewiesen", sagt Pavelka. Hilfreich sei aber, dass Versicherungen ausfallende Lohnzahlungen zu 100 Prozent ersetzen. Es gibt also wenig Anreize, andere Menschen zu gefährden, wenn man ein positives Testergebnis erhält.
Es ist wie mit dem Lockdown: Sobald man damit aufhört, kehren die Infektionen zurück.
Die geringere Zuverlässigkeit der Antigenschnelltest ist auch in der Slowakei ein Problem. Als die Inzidenz Anfang Januar noch bei über 700 Fällen pro Woche und 100.000 Einwohnern lag, fiel ein falsch positives Ergebnis pro 200 Tests nicht groß ins Gewicht. Inzwischen ist die Zahl der Neuansteckungen in der Slowakei soweit gesunken, dass ein solcher Anteil viel problematischer ist. Demnächst soll auch hier jedes positive Antigen-Testergebnis mit einem PCR-Test überprüft werden.
Umgekehrt gibt es auch gute Gründe, warum trotz negativem Testergebnis nicht alles erlaubt werden kann. Weil die Antigentests nicht alle Infektionen erkennen, gibt es auch bei negativem Testergebnis Gefahren weiterer Ansteckungen. Umfangreiche Öffnungsschritte sind mit einer massiven Teststrategie also auch nicht sofort möglich, vor allem nicht, solange über den internationalen Verkehr regelmäßig neue Infektionen eingeschleppt werden. Das Pendlerproblem haben die Slowaken genau wie die deutschen Grenzregionen. Pavelka glaubt, die Massentestungen in seinem Land müssten weitergehen. "Es ist wie mit dem Lockdown: Sobald man damit aufhört, kehren die Infektionen zurück", sagt er. Am Ende gilt in der Slowakei das gleiche wie überall: "Nur die Impfungen können die Pandemie wirksam beenden."
Quellen
- [1] Seifried, Böttcher, Kleist et.al.: Antigentests als ergänzendes Instrument in der Pandemiebekämpfung, Epidemiologisches Bulletin
- [2] Pavelka et.al: The impact of population-wide rapid antigen testing on SARS-CoV-2 prevalence in Slovakia, Scicene
- [3] Ärzteblatt: SARS-CoV-2: Massenscreening in der Slowakei führt zu deutlichem Rückgang der Prävalenz
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