Sozialmedizin Warum Ungleichheit krank macht
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03. Mai 2021, 09:38 Uhr
Wie gesund wir sind und wie gesund wir bleiben, das wird nicht nur durch unsere Gene und unser persönliches Verhalten bestimmt, sondern auch durch unser Umfeld. Immer mehr Studien untersuchen, wie sich soziale und wirtschaftliche Umstände auf Körper und Seele auswirken. Auch an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle/S. wird dazu geforscht. Ein gemeinsames Projekt von Medizinern und Journalisten soll dem Thema jetzt zu mehr Öffentlichkeit verhelfen.
Die Sozialmedizin – so heißt das Fachgebiet, das untersucht, wie unsere Gesundheit von unserem Lebensumfeld, von den äußeren Umständen beeinflusst wird. Lange Zeit fristete diese Disziplin ein Schattendasein, sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Forschung und erst recht in der medizinischen Praxis. Dabei könnten die Erkenntnisse aus vorliegenden und laufenden Studien durchaus etwas bewegen. So sieht es auch Dr. Amand Führer, der dazu gemeinsam mit seinen Kolleg*innen am Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik forscht.
Gesundheit ist ein Wert, den wir alle teilen. Wir wissen, wie wichtig sie ist und sie ist eigentlich auch ein indiskutables Grundrecht. Doch sie hängt offenbar auch von ökonomischen Umständen ab. Diesen Widerspruch wollen wir verstehen und Möglichkeiten finden, dem entgegenzuwirken.
Eine der Studien der Martin-Luther-Universität hat dazu die Daten von 8.500 Schulanfängern der Stadt Halle aus vier Jahrgängen betrachtet. Weil alle Kinder an der Schuleingangsuntersuchung teilnehmen müssen, konnten die Forschenden auf eine repräsentative Stichprobe aus allen Stadtteilen zurückgreifen über alle sozioökonomischen Facetten hinweg. Dabei zeigte sich: In kaum einer anderen Stadt in Deutschland sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Vierteln in dieser Hinsicht so extrem. Messbar ist das zum Beispiel daran, wie hoch die Kinderarmut und die Jugendarbeitslosigkeit sind. Diese Differenzen zeigen sich auch in der Entwicklung und in der körperlichen Gesundheit der Kinder, je nachdem, wo sie wohnen.
Wohlstand entscheidet über Gesundheit
Das Fazit der Studie: Kinder aus Stadtteilen mit den größten sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben am häufigsten gravierende gesundheitliche Probleme und andere Auffälligkeiten. So liegen z.B. in der südlichen Neustadt die Hälfte der Schulanfänger in ihrer sprachlichen Entwicklung weit zurück. In Halle-Kröllwitz hingegen sind es nur 0,6 Prozent. Eine ähnliche Verteilung zeigt sich ebenfalls im Hinblick auf Übergewicht und Untergewicht. Außerdem kamen Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Vierteln häufiger mit Untergewicht zur Welt, was ihre die gesundheitliche Entwicklung ebenfalls beeinträchtigt. Die Studie wurde von Karoline Wagner durchgeführt und steht kurz vor der Veröffentlichung. Eine weitere Untersuchung der MLU, die noch bis 2023 läuft, begleitet krebskranke Kinder und deren Familien. Sie fragt ebenfalls danach, inwiefern sich unterschiedliche Lebensbedingungen auf die Bewältigung der Krankheit und die Lebensqualität auswirken.
Wie lässt sich diese Ungleichheit ausbalancieren?
Dieser Frage wollen sich Dr. Amand-Gabriel Führer und seine Kollegen in weiteren Untersuchungen widmen: "Warum genau führen ungleiche Lebensbedingungen zu ungleichen Chancen für die Gesundheit? Wie beeinflussen die Umstände das persönliche Verhalten, damit die körperliche Konstitution und letztendlich sogar die Lebenserwartung? Ist es die Bildung? Die medizinische Infrastruktur? Die Verfügbarkeit von Unterstützungsangeboten? Wenn wir darauf konkrete Antworten finden, können wir daraus auch Handlungsempfehlungen ableiten, damit sich etwas ändern kann."
Solidarisches Gesundheitszentrum: Die Poliklinik Leipzig
Einen ganz praktischen Ansatz verfolgt ein Projekt in Leipzig Schönefeld: Die Poliklinik dort ist ein offenes Nachbarschaftszentrum, das langfristig alles unter einem Dach vereinen will, was für ein gesundes Leben selbst in einem benachteiligten Stadtviertel ermöglicht. Dazu gehört für Sozialarbeiter Jonas Löwenberg weit mehr als ein rein medizinisches Angebot:
Wenn ich in einer schimmeligen Wohnung wohne, kann eine Ärztin meine Symptome behandeln, aber es ist weder ihre Aufgabe, noch ist es für eine allgemeinmedizinische Praxis leistbar, den Schimmel aus der Wohnung zu kriegen. In der Poliklinik kann gefragt werden: Was kann ich gegen die Ursachen tun?
Derzeit befindet sich die Poliklinik noch im Aufbau und bietet lediglich eine medizinische Gesundheitsberatung und eine psychosoziale Beratung an. Langfristig sollen die Bewohner von Schönefeld dort jedoch auch eine Allgemeinärztliche Praxis, Fachärzte, verschiedene Gesundheitsdienstleistungen und Beratungsangebote finden. Die kurzen Wege, der Austausch zwischen den Fachbereichen und der Fokus auf die Lebensverhältnisse vor Ort sollen dann die Gesundheitschancen der Schönefelder verbessern.
Ein Anfang ist, darüber zu reden reden
Aus diesem Grund sind Studierende des Masterstudienganges Multimedia und Autorschaft und die Sozialmediziner der MLU eine ungewöhnliche Verbindung eingegangen: "Die Kollegen der Medizinischen Fakultät sind auf uns zugekommen, weil ihnen in ihrem Alltag immer wieder begegnet, dass Menschen in unserem Gesundheitssystem aus ganz verschiedenen Gründen diskriminiert werden", erinnert sich Dozentin Maren Schuster. "Es liegen Studien dazu vor und es wird weiterhin geforscht, aber das Thema braucht auch eine Öffentlichkeit." Deshalb haben die angehenden Medienmacher ein Semester lang die Vorlesung in Sozialmedizin besucht und gemeinsam mit Medizinstudierenden entsprechende Medienformate entwickelt: unter anderem den Newsletter "Upstream" und den Instagram-Kanal "Bittere Pille", auf dem zum Beispiel gefragt wird: Gibt mein sozialer Status vor, wie alt ich werde? Warum werden Hautkrankheiten auf nicht-weißer Haut seltener erkannt? Gibt es Rassismus in Arztpraxen? Macht Arbeit krank? Und warum? Ab Mai wird es auch einen Podcast zum Thema geben.
Dass wir schon jetzt so viele Follower auf Instagram haben, zeigt uns, dass das ein Thema ist, das viele Menschen interessiert.
Ob die persönlichen Lebensumstände das Risiko, an COVID-19 zu erkranken, beeinflussen, darauf weisen weltweit zahlreiche Veröffentlichungen hin, die das Robert-Koch-Institut zusammengefasst hat. Dennoch sind weitere Studien erforderlich, um offenzulegen, welche Mechanismen genau zu den Unterschieden hinsichtlich des Infektionsrisikos und der Erkrankungsschwere führen, und dem gezielt entgegenwirken zu können.
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