Studien aus dem Corona-Leben Lockdown 2020: Was für Familien-Frust und was für Wohlbefinden sorgte
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19. Januar 2021, 16:06 Uhr
Als im März 2020 Forschungsinstitute loslegten, unser Befinden im Lockdown zu erforschen, stellte sich wohl noch niemand vor, dass wir im Januar 2021 immer noch durch das Bermudadreieck Homeschooling, Homeoffice, Haushalt schippern. Ein regelrechte Studien-Armada schwärmte seither aus, unser Befinden in diesem halbvakuumierten Zustand zu erkunden, körperlich wie seelisch: Wie wirkt sich das Lockdown-Leben auf Familien auf, was macht es erträglich?
Jede Familie fährt – oder schlingert – anders durch den Wellengang der Corona-Pandemie, mal herrscht glatte, mal raue See, manchmal gibt's auch Seekrankheit. Etwa dann, wenn montags die erste Schul-Videokonferenz um acht Uhr starten soll und das Kind sich mit verstrubbeltem Haar im Schlafanzug vor dem Rechner platziert. "Die sehen mich eh nicht!" Diskutieren? Auf Umziehen bestehen? Frühstücken? Ist ja nur eine Schulstunde Live-Unterricht, ein Elfjähriger weiß einzuschätzen, ob er früh ein Brötchen will oder erst zur Pause. Egal, die digitale Schulstunde läuft, die Konferenz ist gestartet: Welle rauf.
Dann geht's den Wellenberg rasant abwärts – man kommt nicht rein in die Videokonferenz. Als ob man vor der Klassenzimmertür steht – die Tür klemmt, es hat schon zur Stunde geklingelt. Das Kind hört die Lehrerin, sie aber das Kind nicht. "Josef, weißt du's? Aha, hör ich nicht, nächster, also dann eben jemand anders. Lina?"
Auch das Lehrpersonal im Homeoffice kämpft mit dem Pandemie-bedingten Wellengang: Man stellt eine Frage, und ein Vater ruft spontan die Antwort in den Unterricht "Haydn war's!". "Danke, wer auch immer das war", brummelt die Lehrerin, die damit leben muss, dass sie mehr Publikum hat als nur die Kinder an den Rechnern. Bildungsvermittlung ist derzeit ein bisschen wie Schifffahrt im Nebel. Man treibt so durch die Schwaden, ohne viel zu sehen. Genau wie bei den Hausaufgaben oder Tests, die online geschrieben werden müssen. "Das muss ich jetzt auch aushalten, nicht zu wissen, haben die Schüler das selbst gemacht, oder mit Hilfe der Eltern, von Büchern, oder Mitschriften", sagt eine Lehrerin in Leipzig in einer Videokonferenz mit Eltern einer 9. Klasse. Wie steuern Familien, Singles, Senioren durch dieses seltsame Meer, eine Zeit, die sich anfühlt als seien die Tage "zwischen den Jahren" über sich selbst hinausgewachsen?
Studien über Studien wurden seither gestartet, abseits der Virologie- und Immunforschung.
Was Studien seither alles beleuchten
Wie wirkt sich das Abstandhalten auf Alleinlebende aus, fragten sich Leipziger Forscher und durchforsteten frühere Studien aus der SARS-Epidemie. Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen, sowohl während der Isolationsmaßnahmen als noch Monate später, so ein Ergebnis. Ein anderes: diese Symptome verstärkten sich, je länger die Quarantäne dauerte, Einkommen wegbrachen oder sich die Versorgungslage verschlechterte. Milderung der Symptome dagegen brachten klare Information über mögliche psychische Folgen und soziale Unterstützung der Betroffenen.
Oder wie geht es den Senioren, fragte eine Studie des Instituts für Sozialmedizin der Universität Leipzig und stellte fest: Senioren erlebten den ersten Lockdown psychisch überraschend stabil, fühlten sich im Lockdown nicht ängstlicher, depressiver oder einsamer als vor der Pandemie. Nur 13 Prozent sagten, sie hätten sich sozial isoliert gefühlt.
Wie hat sich der Alkoholkonsum verändert? Je stärker der Lockdown, desto stärker trinken die Rauschtrinker, fanden zum Beispiel Forscher in den USA heraus. Menschen, die vor der Pandemie ein problematisches Trinkverhalten hatten, steigerten in rund 60 Prozent der Fälle ihren Alkoholkonsum während des Lockdowns. Was ist mit häuslicher Gewalt? Eine Online-Befragung der TU München im April und Mai zeigte, dass das Risiko für Gewalt an Frauen und Kindern deutlich stieg, wenn Frauen in Heimquarantäne waren. Und die Erhebung zeigte auch: Das Konflikt- und Gewaltpotential in Haushalten mit Kindern ist deutlich erhöht.
Wie geht es Kindern, deren Eltern außer Haus arbeiten und die allein die technischen Möglichkeiten und Tücken des Homeschoolings meistern müssen, Lerninhalte verstehen und sich selbst managen, inklusive Haushalt? Eine Studie in Sachsen konstatierte 2020 einen allgemeinen Verlust an Lebensqualität bei Kindern. Der Effekt sei am stärksten in Familien mit niedriger Bildung und Armut messbar gewesen. Der Verlust der Tagesstruktur war der Studie zufolge auch verbunden mit dem starken Anstieg elektronischer Medien-Nutzung.
Was ich heute das Kind entscheiden lasse, kommt mir morgen zu Gute?
Ein Forschungsteam am Frankfurter Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, kurz DIPF, rekrutierte in einer Studie Familien mit schulpflichtigen Kindern, um den Zusammenhang zwischen Erziehungsstil und Familienwohlbefinden zu erforschen.
Etwas mehr als 1.000 Familien meldeten sich Anfang 2020 auf den Aufruf des Forschungsinstitutes, knapp 970 schließlich beantworteten Fragen und beteiligten sich an einem dreiwöchigen Tagebuch-Fragebogen. Nach Ablauf des Untersuchungszeitraumes gab es einen weiteren Fragebogen, den aber nur noch gut 469 Familien beantworteten. Erfragt wurden also während der Lockdown-Wochen sowohl Angaben zu kindlichem Verhalten und Benehmen der Kinder, die Art, wie sich Familien organisieren – also wie familiäre Entscheidungen getroffen werden, wie viel oder wenig Improvisation der Familienalltag enthält; sowie Stresslevel der Eltern und subjektives Wohlbefinden.
Autonomie-unterstützende Erziehung sorgt für Wohlbefinden am Tag danach
Die Studie zeigt nun rückblickend auf den ersten Lockdown: Im Durchschnitt gab es keine größeren Veränderungen im Wohlbefinden der Eltern, und dem von den Eltern bewerteten Verhalten des Kindes, und dem familiären Umfeld. Allerdings zeigte sich auch: Je stärker Eltern Kinder bei autonomen Entscheidungen über ihren Alltag unterstützten, umso größer war das Wohlbefinden der Eltern auch noch am nächsten Tag. Studienleiter Dr. Andreas Neubauer schränkt jedoch ein: "Das traf nur auf das Wohlbefinden, genauer gesagt, die Bedürfniserfüllung der Eltern zu – der positive Effekt von autonomieunterstützender Erziehung auf das Wohlbefinden der Kinder reichte nicht bis zum nächsten Tag."
Dass der Effekt "autonomieunterstützender Erziehung" für Mütter und Väter über den Tag hinausgeht, wurde den Studienautoren zufolge jetzt erstmals nachgewiesen. Oder anders gesagt: Was wir Kinder heute entscheiden lassen, kommt Eltern morgen zugute. Obwohl es natürlich Schwankungen gibt, schränkt Dr. Andreas Neubauer im Gespräch mit MDR WISSEN ein: "Man interagiert nicht jeden Tag gleich, an manchen Tagen kann man als Eltern die Autonomie der Kinder mehr unterstützen, an anderen weniger." Auch die Kinder reagieren den einen Tag gut auf Wahlangebote, autonom zu entscheiden, an anderen nehmen sie solche Angebote vielleicht weniger an. Ein weiteres Fazit der Studie: Wenn bei Eltern die psychologischen Grundbedürfnisse befriedigt sind, können sie am nächsten Tag auch besser ihre Kinder in ihrer Autonomie unterstützen.
Was bedeutet das fürs Homeschooling?
Beim Homeschooling bedeutet elterliche Unterstützung nicht unbedingt "je mehr desto besser", hat Thamar Voss, Bildungsforscherin an der Uni Freiburg, festgestellt.
Sie hat Erfahrungen aus der Lernpsychologie und der Unterrichtsforschung analysiert, auf der Suche nach Erfolgszutaten fürs Homeschooling. Es braucht Feedback auf die Aufgaben, aber die elterliche Unterstützung am Schulschreibtisch könne dagegen eher kontrollierend wirken. Und dann ist's dümmstenfalls Essig mit der Motivation. Das kann Eltern schwer fallen, wenn sie sehen, wie Kinder an der Lösung einer Aufgabe knaupeln. Oder sehen, der Berg an Hausaufgaben, die bis Freitag einzureichen sind, wächst und wächst. Und erleben, dass der Neuntklässler am Ende eine Nachtschicht einlegt, um die Hausaufgabe am Freitag doch noch rechtzeitig im Lernportal hochzuladen.
Autonomieunterstützende Erziehung kann nach Chicken Wings schmecken
Ein Elternpaar aus Leipzig hätte es wohl nicht "autonomieunterstützende Erziehung" genannt, aber es dennoch ganz praktisch ausprobiert:
Anne und ihr Mann ärgerten sich, weil im Lockdown irgendwann alle Kinder nur noch allein in ihren Zimmern aßen. Selbst der Satz "Kinder, kommt mäkeln, das Essen ist fertig!" zeigte keine Wirkung – nicht mal mehr zu dieser Situation kam es noch. Also übergaben die Eltern den Söhnen zwischen elf und 15 Jahren eine Woche lang das Ruder für ihre Ernährung und ließen die Teenager ihr eigenes Süppchen kochen. "Es gab ein Budget und die mussten rechnen, planen und einkaufen, was sie essen", erzählt Anne M. im Gespräch mit MDR WISSEN und setzt nach: "Da gab es dann abends eben auch mehrfach Chickenwings".
Aber auch morgens selbst eingekauftes Müsli am Frühstückstisch, oder Nudeln mit Pesto, gern auch zweimal warmes Essen am Tag. Die Kinder erstellten Listen, wann was gemacht werden sollte. "Die Listen sind geblieben, zwar nicht mehr übers Essen," sagt Anne M.", sondern darüber, wann was erledigt wird, also gefrühstückt, gearbeitet, gechillt. Das erspart uns seither, den Jungs ständig vorzubeten, was als nächstes dran ist." Und erhöht vermutlich auch die Motivation der Kinder. Die Liste haben die Jungs ja selbst erstellt.
(lfw)
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