Junge Frau nutzt ihr Handy am Steuer.
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Straßenverkehr Ohne Handy am Steuer – geht das überhaupt noch?

30. Juli 2024, 13:56 Uhr

Laut einer neuen US-Studie kann es gelingen, Fahrzeugführer dazu zu bringen, ihr Smartphone während der Fahrt deutlich seltener in die Hand zu nehmen. Appelle allein reichten in der Studie allerdings kaum. Anreize spielerischer und finanzieller Art brachten am meisten. Aber all das kann eigentlich nur mit ziemlich viel technischer Überwachung funktionieren.

Mann mit Brille und Kopfhörern vor einem Mikrofon
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Ein kurzer Blick aufs Handy kann lebensgefährlich sein. Jedem und jeder dürfte das klar sein, und doch riskieren ihn sehr viele. Wird schon nichts passieren in den zwei Sekunden. Aber diese zwei Sekunden gehen eben einher mit ziemlich viel Fahrstrecke, die quasi blind zurückgelegt wird.

Das "wird schon nichts passieren" wird alljährlich tausendfach widerlegt. Seit 2021 kann die Polizei offiziell "Ablenkung" als Fehlverhalten von Verursachern in der Unfallaufnahme vermerken. Problem dabei: Ablenkung lässt sich nach Unfällen oft nur schwer nachweisen. In einer Allianz-Studie von 2023 zu diesem Thema heißt es: "Ohne beweiswerte Anzeichen wie Zeugenaussagen, Einlassungen beziehungsweise objektive Sachverhalte (konkrete Anhaltspunkte), die bis hin zur Handybeschlagnahmung führen mögen, wird das Merkmal nicht vergeben. Sich mittelbar aus dem Unfallhergang erschließende Ablenkung (die umgangssprachliche Unaufmerksamkeit) ist nicht relevant."

Und so war 2023 bei den knapp 292.000 Unfällen mit Personenschaden offiziell "nur" 7.527 Mal Ablenkung im Spiel, bei tödlichen Unfällen 92 Mal. Solche Statistiken sind laut Allianz-Studie "als defensiv zu bewerten". Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Ein Fingerzeig dafür ist auch die große Anzahl an "anderen Fehlern", die Fahrzeugführer begangen haben, die nicht genau benannt werden konnten, aber den größten Einzelposten beim Fehlverhalten ausmachen.

Untersuchungen in Nachbarländern kamen übrigens zu der Einschätzung, dass Ablenkung bei 17,4 Prozent (Schweiz 2021) oder gar bei 29,5 Prozent aller Unfälle (Österreich 2021) die Hauptursache war.

Studie aus den USA untersucht Möglichkeiten, Handy-Nutzung am Steuer zu reduzieren

In den USA sind abgelenkte Fahrerinnen und Fahrer jedes Jahr für mehr als 3.000 Todesfälle verantwortlich. Und in wiederum 13 Prozent dieser Fälle ist das Smartphone die Ablenkungsquelle, schreiben die Autoren einer neuen Forschungsarbeit zu diesem Thema. Sowohl frühere wissenschaftliche Studien als auch Untersuchungen von Versicherungen hätten außerdem gezeigt, dass die manuelle Benutzung eines Telefons während der Fahrt die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls um das Zwei- bis Zwölffache erhöht, während die Benutzung einer Freisprechanlage zu keiner Risikoerhöhung führe.

Aber nur in 27 US-Bundesstaaten ist Telefonieren ohne Freisprechanlage verboten, und selbst dort seien die Auswirkungen der Verbote auf die Verringerung der Unfallzahlen "bestenfalls durchwachsen", schreiben die Autoren. Ziel ihrer neuen Forschungsarbeit war es deshalb, zu untersuchen, unter welchen Umständen und Anreizen Autofahrer bereit sein könnten, das Handy seltener in die Hand zu nehmen. Die Studie mit 1.436 Probanden (davon fast zwei Drittel Frauen) lief über zehn Wochen.

Eingeteilt wurden die Probanden in fünf Gruppen, bei denen die Anreize jeweils etwas erhöht wurden. Gruppe 1 erhielt außer einer Aufklärung und technischer Überwachung der Daten gar keine zusätzlichen Anreize und diente als Kontrollgruppe. Die Gruppen 2 bis 5 erhielten darüber hinaus eine kostenlose Smartphone-Halterung, die sie an den Belüftungsschlitzen des Autos anbringen sollten. Die Gruppen 3 bis 5 bekamen zusätzlich Tipps, wie man sich die Telefon-Nutzung im Auto abgewöhnen kann, zum Beispiel durch selbst gesteckte Ziele.

Die Gruppen 4 und 5 nahmen mit ihren Daten zusätzlich an einem spielerischen Wettkampf teil und konnten sich durch weniger Handy-Nutzung in Ranglisten nach oben arbeiten. Und nur Gruppe 5 schließlich bekam noch finanzielle Anreize: Fünf Dollar für jeden Wochen-Gewinner im Ranglisten-Wettkampf, und wer am Ende genügend Punkte für Ranglisten-Level "Platin" gesammelt hat, wird am Jackpot beteiligt. (Letzteres schafften am Ende immerhin 128 Teilnehmer, die sich 2.000 Dollar teilten, die Höhe des Betrags kannten sie am Anfang aber noch nicht.)

Weniger Handy am Steuer: Spielerische und finanzielle Anreize haben Effekte

Es stellte sich heraus, dass mit jeder höheren Gruppen-Nummer die Dauer der manuellen Handy-Nutzung im Vergleich zur Kontrollgruppe 1 zurückging, bei den Gruppen 2 und 3 allerdings nicht sonderlich signifikant. Größer wurde der Effekt erst bei den Gruppen 4 (mehr als 20 Prozent seltener Telefon in der Hand) und 5 (mehr als 27 Prozent). Beide Werte hielten sich auch bei einer späteren Nachkontrolle der Probanden. Und beide Gruppen (4 und 5) hatten ihre Gesamt-Handy-Nutzung nicht zurückgefahren, sondern eben viel öfter die Freisprechanlage genutzt.

"Das Hinzufügen von wöchentlichen Spielzielen und sozialem Wettbewerb führte zu einem signifikanten Rückgang der manuellen Handynutzung", bilanzieren die Autoren, "was darauf hindeutet, dass ein ansprechendes Leistungsfeedback für eine Verhaltensänderung entscheidend ist." Wichtig sei außerdem, "dass die Teilnehmer, die das Leistungsfeedback oder das Feedback plus Anreize erhielten, auch nach dem Ende des Feedbacks und der Anreize weiterhin seltener das Handy bedienten."

Das große Aber: Verkehrssicherheit vs. Datensicherheit

Die Studienautoren selbst benennen eine wichtige Einschränkung ihrer Arbeit: Probanden waren nur Menschen, die beim US-Versicherer Progressive am "Snapshot"-Programm teilnehmen. Das ist ein sogenannter Telematik-Tarif, wie es sie bei deutschen Versicherern mittlerweile auch gibt. Die Versicherten müssen dazu ein Gerät an die OBD-Buchse (On-Board-Diagnose-Buchse) ihres Autos anschließen, das ständig die Fahrdaten sammelt und per verbundener Smartphone-App an den Versicherer sendet.

Die Studie wurde also nur mit Menschen gemacht, die ohnehin schon bereit waren, dass ihre Fahrdaten ständig gesammelt und übermittelt werden. Für die Studie kam dann noch die Überwachung der Handynutzung hinzu. Für solche spielerischen Ranglisten-Wettkämpfe wie in der Studie ist das natürlich dringende Voraussetzung. Ob sich all das aber auch auf die große Masse von Autofahrern anwenden lässt, ist sehr fraglich. Das schreiben auch die Autoren selbst.

Letztlich – und das schreiben die Autoren nicht – wäre ein System mit Belohnung (und gegebenenfalls Bestrafung) sowie ständiger Datenüberwachung inhaltlich nicht sonderlich weit entfernt vom chinesischen Sozialkredit-System, wo man im Ranking auf- und absteigen kann, je nachdem, ob man "richtig" oder "falsch" lebt. Über "richtig" und "falsch" entscheidet man aber eben nicht selbst, sondern im chinesischen Fall der Staat und beim Autofahren dann der Kfz-Versicherer.

Ablenkung im Straßenverkehr: Es ist bei weitem nicht nur das Handy

Autos werden immer mehr zur Technik- oder Computerzentrale des (fahrenden) Menschen. In der bereits erwähnten Allianz-Studie "Ablenkung und moderne Technik" zeigt sich, dass die Interaktion mit technischen Geräten (womit auch der Auto-Bordcomputer selbst gemeint ist) in allen Bereichen stark zugenommen hat: Telefonieren insgesamt, Textnachrichten schreiben, Navigieren, Sprachsteuerung, Autoradiobedienung über den Bordcomputer. Nur das Telefonieren mit Handy in der Hand ging tatsächlich zurück (nach eigenen Angaben der befragten Fahrerinnen und Fahrer) – vermutlich, weil Freisprecheinrichtungen mittlerweile verbreiteter sind.

Und so ist es laut der Studie gar nicht so sehr das Telefonieren während der Fahrt, was die Unfallwahrscheinlichkeit am stärksten erhöht. Um die jeweilige Risikoerhöhung zu ermitteln, wurden in der Studie Ablenkungsarten und Unfälle auf ihren systematischen Zusammenhang mit sogenannten Vierfelder-Kontingenztafeln statistisch geprüft. So berichteten Fahrerinnen und Fahrer, die nicht ausschlossen, während der Fahrt Technik zu bedienen, eben von mehr eigenen Unfällen als jene, die es ausschlossen.

Damit sind Unfallursachen zwar nicht eindeutig zuzuordnen, aber eine statistische Risikoerhöhung lässt sich so berechnen. Und die ergab folgende Rangliste der gefährlichen Ablenkungen.

Links/Studien

  • Die US-Studie "A randomized trial of behavioral interventions yielding sustained reductions in distratcted driving" ist im Journal "PNAS – Psychological an Cognitive Sciences" erschienen.
  • Die Allianz-Studie "Ablenkung und moderne Technik" ist hier als PDF verfügbar.

Ein Mann telefoniert im Auto 3 min
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MDR AKTUELL Sa 26.08.2023 05:00Uhr 03:03 min

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Autofahrerin tippt auf Display im Auto 14 min
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Umschau Di 13.02.2024 20:15Uhr 13:58 min

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Dieses Thema im Programm: MDR SPUTNIK | 22. Juli 2024 | 06:18 Uhr

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