Im Gespräch mit Prof. Ilona Croy Warum die Psychologie weiblich und was daran schade ist
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12. Januar 2021, 13:51 Uhr
Seit Jahrzehnten entscheiden sich mehr Frauen als Männer für ein Psychologie-Studium. Stellt man sich das bildlich wie eine Wippe auf dem Spielplatz vor, schwebt die Seite mit Männern seit Jahrzehnten in der Luft. Nur ein Viertel der meist jungen Menschen, die sich für ein Psychologie-Studium entscheiden, sind Männer. Auch danach ändert sich das Verhältnis nicht. Was macht den Beruf so attraktiv für Frauen und offenbar so unattraktiv für Männer?
Professorin Ilona Croy hat sich als junge Frau für Psychologie entschieden. Heute besetzt sie selbst eine Spitzenposition, Spezialgebiet mentale Gesundheit, neurologische Prozesse und Geruchsforschung an der TU Dresden und an der Uni Jena. Wie ist sie ihre Karriere angegangen, warum Psychologie als Studienfach?
Als ich mich für das Studium entschieden habe, wusste ich nicht genau, was ein Psychologe macht. Ich kannte die Psychotherapie als Berufsbild nur aus Literatur und Film und war mir relativ sicher, dass ich das nicht möchte. Aber die Beschäftigung mit dem menschlichen Geist hat mich sehr interessiert.
Von Strategie also keine Spur. Trotzdem gibt es einen wichtigen roten Faden, der sich durch Croys Arbeitsbiografie zieht:
Ich habe vor allem in dem Feld geforscht, in dem mir die Menschen sympathisch sind. Wenn das Umfeld stimmt, dann kann ich mit Freude der Arbeit nachgehen.
Gezielt nach einer eigenen Nische gesucht, die sonst keiner beackert, hat sie also nicht. "Das wäre eine gefährliche Strategie. Karrieren in der Wissenschaft lassen sich schlecht planen", sagt die Wissenschaftlerin und verweist auf das System an sich, das geprägt sei von kurzen Verträgen, befristeten Stellen, Promotionen, für die es nicht immer Geld gibt.
Spitzenpositionen: Zugreifen, wenn sie angeboten werden
Aber warum haben dann proportional gesehen weniger Frauen Spitzenpositionen in der Psychologie? Croy schätzt das Männer-Frauen-Verhältnis bei Professuren auf 50:50. Was dann wieder eine ordentliche Unwucht wäre, angesichts des 80:20 Frauen-Männer-Verhältnisses im Studium.
Der Gendergap greift also offenbar auch in der Frauen-dominierten Psychologie. Croy zufolge gibt es mehrere Bruchstellen in den Psychologie-Biografien: "Ein Knickpunkt ist die Geburt der Kinder", sagt Croy, selbst zweifache Mutter. Auf der einen Seite fehle dem Wissenschaftsnachwuchs manchmal schlicht der Mut, bei beruflichen Angeboten zuzugreifen trotz Familienplanung. Bei Frauen könne ein Grund dafür sein, dass ihnen Identifikationsfiguren fehlen, mutmaßt Croy, die derlei auch in ihrem Umfeld gesehen hat.
Wenn man sieht, dass andere Menschen einen bestimmten Weg einschlagen, dann erscheint dieser Weg einem auch selbst möglich.
Aber auch an anderen Stellen des Arbeitslebens, zum Beispiel nach abgeschlossener Promotion, gibt es den Karriere-Knick, sagt die Psychologin, ein Zeitpunkt, an dem das Leben neu ausgerichtet wird, Entscheidungen getroffen werden, wie es beruflich weitergeht. Mit Kindern ist es schwerer, sich für ein Auslandsjahr zu entscheiden. Solche Aufenthalte sind aber oft wichtige Bausteine wissenschaftlicher Karrieren, sagt Croy, die für bestimmte Stellen direkt oder indirekt erwartet werden. Oder man bastelt an der Karriere, hangelt sich von Projekt zu Projekt, schiebt die Familienplanung nach hinten – und bleibt ohne festen finanziellen Boden. Keine verlockenden Aussichten. Croy sagt über ihre eigenen beruflichen Entscheidungen:
Ich bin gut mit der Strategie gefahren, das zu tun, was sich gut anfühlt. Dabei habe ich nicht allzu sehr überlegt, was mir eine Entscheidung genau in fünf oder zehn Jahren bringen könnte. Ich habe allerdings darauf geachtet, meine Wahlmöglichkeiten zu erweitern und nicht einzuschränken.
Und es gibt noch einen sehr wichtigen Aspekt, so die Wissenschaftlerin:
Für mich war ein gutes Privatleben immer wichtig. Wenn man das hat, steht man auf mehreren Standbeinen und damit stabiler.
Warum so viele Frauen in der Psychologie?
Aber warum treibt es so viele Frauen in die Psychologie? Vielleicht weil es so viele andere machen – vielleicht wirken all die Frauen als Vorbilder? Und im Umkehrschluss dann ein Grund dafür, dass weit weniger Männer in diese Berufe gehen.
Dadurch, dass es sehr viele weibliche Studierende und Therapeuten gibt, wird das Studium auch als 'weiblicher' wahrgenommen und dann weniger von Männern gewählt.
Auch deshalb brauche es mehr Männer in diesen Berufen, sagt Croy.
Warum die Psychologie in den Praxen divers sein sollte
Andererseits könnte man auch sagen: ist doch schön, dass es mal eine Branche gibt, wo Frauen es geschafft haben! Das ist natürlich zu kurz gedacht. Mehr Männer als Therapeuten würde für Jungen und Männer bedeuten, dass auch sie eine Wahl haben bei der Wahl des Therapierenden. Ob Männer mangels männlicher Therapeuten seltener psychologische Hilfe suchen, dazu gibt es keine Statistiken. Würden mehr Männer als Psychologen und Therapeuten tätig sein, würde das die Psychologie "entweiblichen"? Der Bereich der Gefühle, der Seele, des Verhaltens – all das, was so oft einseitig dem Weiblichen zugeordnet wird – würde durch männliche Therapeuten auch Männern wieder geöffnet, durch männliche Vorbilder, die zuhören, analysieren, helfen. Was gesamtgesellschaftlich durchaus heilsam sein könnte.
Aber vielleicht sind es auch ganz banal die Aufstiegs-Chancen in dem Beruf außerhalb der Wissenschaft, die Männer vom Psychologiestudium abhalten: Die sind nicht überall groß und auch nicht unbedingt umwerfend prestigeträchtig. Auch Arbeiten in Teilzeit ist in der Psychologie gut möglich, oder in der eigenen Praxis: Das ermöglicht das, wovon Croy spricht, den stabilen Stand auf zwei Beinen – eins Beruf, eins Familie.