Geschlechtergerechtigkeit Was steckt hinter dem Gender Pay Gap?
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21. März 2022, 09:15 Uhr
Erst hatten wir jahrelang eine Kanzlerin, nun eine Außenministerin, selbst die Sprache wird weiblicher ... Reicht es nicht langsam mal? Nein, denn die Ungerechtigkeiten im System bestehen weiter, sagt eine Wirtschaftspsychologin und erklärt, warum sich viele Menschen so schwer damit tun, über Geld zu reden.
Es ist Krieg und wir reden über Geschlechtergerechtigkeit. Echt jetzt? Gerade jetzt. Frauentag, Equal Pay Day, Equal Care Day – alles Tage, an denen wir mal kurz den Finger in eine gesellschaftliche Wunde legen: die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Das Meer der Bildung steht in Deutschland ungeachtet des Geschlechts allen offen, ähnlich wie die verschiedenen Arbeitswelten, in die man nach Ausbildung oder Studium eintauchen kann. Nur angelt man dann in den unterschiedlichen Arbeits"meeren" verschieden dicke Fische, im scheinbar "weichen" Berufsumfeld, im Sozialen, eher magere Sprotten, in den "harten" Branchen wie Industrie oder Technologie fette Karpfen. Der Pay Gap Tag im März beziffert dieses Ungleichgewicht der Entlohnung, 2022 beträgt die Lohnlücke unverändert 18 Prozent, wenn man sämtliche Einkommen von Männern und Frauen vergleicht, ungeachtet von Gehaltsstufen, Berufen, Positionen.
Der teure Fehler im System
Das liegt einerseits an der Gewichtung, wie unsere Gesellschaft Tätigkeiten wertet und entlohnt. "Meine Tochter Nadine ist 16, die macht in zwei Jahren Abi. Vermutlich wäre sie die geborene Sozialarbeiterin", sagt beispielsweise Maria Werner* aus Leipzig, selbst promovierte Schulleiterin. Sie seufzt: "Aber all diese Berufe im sozialen Bereich, damit verdient man so schlecht. Dazu werde ich ihr keinesfalls raten."
Professorin Dr. Julia Pitters ist Wirtschaftspsychologin. Sie kennt das Problem genau. "Das ist ein struktureller Mangel. Diese vermeintlich 'weichen' Berufe müssten finanziell aufgewertet werden." Die Unterschiede in der Entlohnung, für sie ein klarer Fehler im System, der eine lange Geschichte hat: "Kein Wunder, die Arbeitswelt ist seit Jahrhunderten von Männern gestaltet." Wer gestaltet, bestimmt die Regeln, die Wertigkeit, die Löhne. Eigentlich braucht es ein Umdenken, sagt die Wirtschaftspsychologin, und viel mehr finanzielle Anreize, um die unverzichtbare und schwere Arbeit mit Menschen, egal, ob jung, alt, gesund oder krank, aufzuwerten. Auch sie selbst hat sich aus diesem Grund bewusst für den Einstieg in die Wirtschaft und gegen den Weg in die Therapie-Branche entschieden.
Sind Frauen auf die Lohn-Ungleichheit vorbereitet?
Aber welche Rolle spielen dabei die Hochschulen, werden hier junge Leute auf den Kampf um gleiche Entlohnung vorbereitet? "An unserer Hochschule haben wir Workshops zu Verhandlungen, zum Beispiel in Wirtschaftspsychologie und in BWL. Das sind zwar keine Pflichtveranstaltungen, aber man kann die machen. Bei mir im Jura-Studium gab es das früher nicht", erinnert sich Prof. Dr. Alexandra Wuttig, Kanzlerin der IU Internationalen Hochschule mit Hauptsitz in Erfurt: "Aus Unterhaltungen mit Studierenden weiß ich, dass die davon ausgehen, dass die später keine Ungleichbehandlung erfahren werden. Die hören davon, die lesen davon, aber sie denken, 'mich betrifft das nicht'."
Ist das nicht naiv angesichts einer Geschlechter-Lohnlücke von 18 Prozent? Das Weltwirtschaftsforum rechnet regelmäßig aus, wann sich die Gehaltslücke theoretisch schließt. 2020 wäre das nach 99,5 Jahren. 2021 ging die Institution sogar von 135,6 Jahren aus. "Vielleicht ist das tatsächlich jugendliche Naivität," bestätigt Alexandra Wuttig. "Aber vielleicht werden die jungen Generationen das auch wirklich nicht mehr erfahren. Sie starten mit dem Gedanken ins Berufsleben, warum soll es Unterschiede geben? Das Selbstvertrauen der Frauen ändert sich. Die gehen in die erste Gehaltsverhandlung selbstbewusster rein als frühere Generationen." Was nicht unbedingt von Vorteil sein muss, wenn man einer jüngst veröffentlichten Studie aus den USA glaubt. Mädchen, die in der Kindheit als diskussionsfreudig und selbstbewusst galten, verdienten demnach als Erwachsene 40 Prozent weniger als vergleichbare Männer.
Selbstgewählte Lohnlücke?
"Ein Chef hat mal zu mir gesagt, Frauen verhandeln nicht, dann kriegen sie eben nicht mehr", erzählt Alexandra Wuttig. Was steckt hinter dieser Scheu, über Geld zu reden?
Wirtschaftspsychologin Prof. Dr. Julia Pitters erklärt das so: "Menschen bewegen sich in unterschiedlichen Modi: im materialistischen Modus, im sozialen Modus. Im materialistischen Modus in der Geschäftswelt, maximieren wir unseren eigenen Nutzen. Im Restaurant ist es ok zu sagen, ich lade mein Gegenüber ein. Dann ist man im materialistischen Setting, das kann der andere annehmen. Im sozialen Setting ist man, wenn man privat eingeladen wird. Jemand kocht für mich. Zücke ich danach mein Portemonnaie, oder sage, ich will jetzt mal zahlen, würden Sie denjenigen total beleidigen, weil man gerade im sozialen Modus ist." Und hier liegt der Hase im Pfeffer: "Wir Frauen sind durch unsere vielen verschiedenen Rollen, die wir ausfüllen, regelrecht Modi-durchmischt. Das Muttersein materiell aufzuwiegen, ist ein No-go. Wir tun uns schwer, in den materiellen Modus umzuschalten." Kann man das lernen? "Schwierig. Wir sind ständig mit Rollenzuschreibungen konfrontiert. Wenn eine Frau selbstbewusst auftritt, wirkt sie unsympathisch, und diskreditiert sich dadurch wieder." Das kommt uns ja nun schon bekannt vor.
Wie umgeht man den Sprung in die Lohn-Lücke?
Aber wie glückt denn nun die gute finanzielle Eingruppierung, ohne in die Lohnlücke zu tappen? "Hausaufgaben machen: Rausfinden, wie viel man im anvisierten Job verdient. Ist man einmal unten eingruppiert, ist der Aufstieg schwer", rät Juristin Alexandra Wuttig. Also Männer fragen, die den gleichen Job machen? "Einen Versuch ist es wert, im schlimmsten Fall bekommt man eben keine Auskunft." Apropos Männer. Die Hochschulkanzlerin sagt: "Gerade ältere Männer helfen gern im Berufsleben weiter. Ein männlicher Mentor bringt eine andere Sicht der Dinge mit, man bekommt dadurch Zugriff auf Fachwissen. Wenn man sich so jemanden sucht, sollte das nicht nach dem Gießkannen-Prinzip passieren, indem man hundert Leute anschreibt, sondern man sollte sich gezielt für die Person interessieren, sie um ein gezieltes Feedback bitten im Rahmen zum Beispiel eines zehnminütigen Gesprächs." Und sie fügt hinzu: Egal, ob Mentoring oder Coaching – beides sollte man nutzen, nicht nur beim Einstieg ins Berufsleben, sondern begleitend über das Arbeitsleben hinweg. Damit sich nicht erst in 100 oder 135 Jahren Frauen mit gleich dicken Fischen aus dem Arbeitsmeer ernähren können, sondern schon unsere Töchter und Enkelinnen. Ohne Angst zu haben, als Seniorin auf mageren Sprotten herumzukauen.
*Namen der Zitierten sind der Redaktion bekannt.