Konstruktives Streiten Beziehung, Job, Politik: Wir müssen wieder lernen, uns zu streiten
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27. Oktober 2024, 08:05 Uhr
Probleme und Konflikte in der Beziehung, unter Freunden, in der Familie oder sogar bei der Arbeit direkt anzusprechen, fällt uns gar nicht so leicht und ist für viele ein großer Schritt. Aber Streit lohnt sich – für beide Seiten! Eine Psychologin und ein Konfliktberater verraten alltagsnahe und praktische Tipps und Tricks für konstruktives, faires und zielführendes Streiten – egal ob in der Beziehung, unter Freunden, in der Familie oder im Job.
Nicht zu streiten heißt, sich selbst zu verleugnen
In der Welt von Christian Reinicke ist Streit etwas Positives. "Wenn alle konfliktscheu und harmoniebedürftig wären, glaube ich, dann gäbe es nicht so viel Veränderung und viele Menschen wären unzufrieden", sagt der Mediator und Supervisor mit eigener Praxis in Berlin. Denn wir alle haben Bedürfnisse und Interessen – kleine alltägliche wie auch große lebensumspannende. Und die gilt es auch zu klarzumachen.
"Es geht darum, auch für sich einzustehen", so Reinicke. "Denn, wenn wir immer nur zusagen: Ja, wir machen es so, wie du das gern hättest, und das, was ich denke, brauche und fühle, ist eigentlich irrelevant, dann verleugnen wir ein bisschen was von uns selbst." Sich darauf einzulassen und Probleme auch anzusprechen, fällt uns manchmal gar nicht so leicht und ist für viele ein großer Schritt. "Aber es lohnt sich", sagt Reinicke.
Wir haben gutes Streiten nie gelernt
Doch es gibt ein Problem: "Zum einen ist Streiten anstrengend, vor allem, wenn ich viel von mir und meinen Gefühlen und Wünsche zeige. Zum zweiten ist Streiten ein unsicheres Terrain, weil wir Streiten nie gelernt haben – vor allem nicht gut", so Reinicke.
Was wir implizit lernen, ist, wie im eigenen Elternhaus mit Konflikten umgegangen wurde – vom Totschweigen über lautes Herumbrüllen und Teller-gegen-die-Wand-Werfen bis hin zur offenen Gesprächsrunde beim allwöchentlichen Familienrat. Die Bandbreite ist groß. "Doch die meisten Menschen haben nicht gelernt, gut miteinander zu streiten."
Und: Vielen Menschen fehlt das Vokabular, um gut darüber zu reden. Auch das kann ein Grund sein, warum man sich nicht traut, in die Auseinandersetzung zu gehen, weil man gar nicht so richtig weiß, wie man sich ausdrücken soll. "Weil: über sich selbst und über sein Innerstes zu reden, ist schwierig. Das ist eine Herausforderung." Aber man kann es üben.
Konkret bleiben und Vorwürfe vermeiden
Alles, was wir sagen, hat immer auch eine Wirkung. Besonders im Streit, wo manchmal das kleinste Wörtchen genau das falsche sein kann. Deshalb rät die Gesundheitspsychologin Anne Milek von der Universität Witten/Herdecke dazu, Vorwürfe zu vermeiden. "Man sollte sich immer überlegen: wie ist das für den anderen, wenn ich ihm oder ihr jetzt so etwas einfach an den Kopf knalle? Kann ich das vielleicht auch schonender formulieren? Kann ich das so formulieren, wie ich es gerne hören würde?"
All das gelingt natürlich besser, wenn wir unsere Gefühlslage mit mehr Worten als gut und schlecht beschreiben können, wenn es uns gelingt Probleme klar zu benennen, statt stumpf zu verallgemeinern. Begriffe wie nie und gar nicht, ständig oder immer sind dabei selten förderlich, weiß Milek.
"Ideal ist es, ein Streitthema tatsächlich an einer konkreten Situation aufzuziehen und dem anderen an einem Beispiel die Problematik zu verdeutlichen", so Milek. Verallgemeinern wir aber alles, führt das meist dazu, dass sich unser Gegenüber nur angegriffen fühlt und in die Defensive geht.
Wie es besser geht
Die konkrete Benennung des Problems ist also ein erster wichtiger Schritt. Aber noch nicht die Lösung. Die Frage ist nämlich oft: Was verbirgt sich eigentlich dahinter? Denn gern verwechseln wir in einer Streitsituation den Auslöser ("Nie bist du pünktlich zum Abendessen zu Hause und hängst nur auf deiner Arbeit rum") und die Ursache ("Ich habe das Gefühl, dass dir die Arbeit wichtiger sein könnte als gemeinsam mit mir Zeit zu verbringen") eines Konflikts.
Problematisch wird es auch, wenn aus einer leidenschaftlich geführten Diskussion ein destruktiver Streit wird, wenn wir unser Gegenüber also lediglich abwerten, beleidigen oder Vorannahmen behaupten, die gar nicht stimmen müssen. Helfen kann da die 5:1-Formel: Laut der sogenannten Gottman-Konstante braucht es für jede verbale Verletzung oder jedes negative Erlebnis fünf positive Momente, um alles wieder ins Gleichgewicht zu bringen – beispielsweise ein Lächeln, eine Berührung oder ein gemeinsamer Spaß.
In Beziehungen zählt nicht Logik, sondern Wertschätzung
Überlegen Sie einmal, wie Sie sich auf eine Streitthematik vorbereiten. Ertappen Sie sich dann auch dabei, dass Sie im Kopf schon alle möglichen Pro- und Contra-Punkte auflisten, den Gesprächsverlauf innerlich einmal komplett durchspielen, auf jedes ihrer eigenen Argumente schon die Antwort ihres Gegenübers erahnen und genau zu wissen glauben, wie sie oder er reagieren und handeln wird?
Keine gute Idee, meint Reinicke. Denn dann sind wir oft zu sehr von unseren Gedankenkonstrukten überzeugt und glauben, dass dies der einzig richtige Weg zur Problemlösung sei. Stattdessen empfiehlt Reinicke, sich immer auch eine gewisse Neugier der anderen Person gegenüber zu bewahren und zu erfragen: Wie geht's dir denn in der Situation? Was ist dir denn wichtig? Und passt dir der Zeitpunkt überhaupt? Und wenn nicht, dann einfach gemeinsam einen verbindlichen Termin für das Streitgespräch vereinbaren.
Es geht immer um gemeinsame Lösungen
Was wir Menschen auch gern im Streit machen: Wir benennen nicht nur das Problem, sondern liefern gleich die vermeintliche Lösung mit. "Doch das ist nicht nachhaltig", sagt Konfliktberater Christian Reinicke. Was dabei nämlich fehlt ist gemeinsam herauszufinden, warum beide Seiten eigentlich dieses Problem haben. "Denn erst über das Ausarbeiten der jeweiligen Interessen und Bedürfnisse kommen wir zu einer guten Lösung für alle Beteiligten." Auch das ist Teil des Modells der "Gewaltfreien Kommunikation" (GFK). Durch diesen Ansatz lernen Menschen, einander ernsthaft zuzuhören und sich ehrlich mitzuteilen. Das Modell hilft, Konflikte zu lösen, ohne dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt.
Im Job streiten wir anders als in der Beziehung
Und im Job? Da läuft es meist etwas anders, meint Reinicke. "Das Ziel der Arbeit ist es, die Arbeit fertig zu machen. Das Ziel in der Familie ist hingegen Beziehung: etwa Stabilität herzustellen, Harmonie zu erzeugen, ein Zuhause zu bieten. Und deswegen wird hier auch anders gestritten – und auf anderen Ebenen."
Während in Beziehungskonflikten von Paaren oder der Familie eher über Bedürfnisse, Gefühle und Werte-Vorstellungen gesprochen wird, geht es im Arbeitskontext oftmals um unterschiedliche Interessen, Machtverhältnisse und die Verteilung von Ressourcen. "Man darf nicht vergessen: In einem Arbeitskontext arbeiten Menschen miteinander. Das heißt nicht, dass die Offenheit haben, ihr Inneres zu zeigen."
Stattdessen steht die Verhandlung, der Austausch von Argumenten stärker im Fokus. "Wertschätzung im Arbeitskontext wird anders ausgedrückt als im familiären oder im freundschaftlichen Kontext. Auf der Arbeit argumentieren wir meistens sachlicher, rationaler und mit Argumenten, die im Kontext Arbeit angemessen sind."
Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 25. Oktober 2024 | 12:00 Uhr
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