Wissen-News Vincent van Gogh war offenbar auch ein Naturtalent in Physik
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19. September 2024, 11:04 Uhr
Ein halbes Jahrhundert, bevor der berühmte sowjetische Mathematiker Andrei Kolmogorow sein bis heute gültiges Modell für die Struktur von Wirbeln entwarf, brachte ein Mann solche physikalisch perfekten Wirbel schon mit Öl auf die Leinwand: Vincent van Gogh auf seinem berühmten Bild "Sternennacht". Der geniale Maler muss also auch ein Naturtalent in Physik gewesen sein.
Es ist eines der berühmtesten Gemälde der Welt. Die "Sternennacht" von Vincent van Gogh begeistert mit ihrem wirbelnden blauen Himmel, an dem der gelbe Mond und viele Sterne leuchten. Der Himmel ist eine Explosion von Farben und Formen, wobei jeder Stern in gelbe Wellen eingekapselt ist, die im Licht schimmern wie Spiegelungen auf dem Wasser. Van Goghs Pinselstriche erzeugen eine Illusion von Himmelsbewegungen, die so überzeugend ist, dass sich Forscher fragten, wie gut diese Malerei mit der Physik des realen Himmels übereinstimmt.
Auf Meereswissenschaften und Strömungsdynamik spezialisierte Wissenschaftler aus China und Frankreich haben van Goghs Gemälde analysiert. "Der Maßstab der Pinselstriche spielte eine entscheidende Rolle", sagt Studienautor Yongxiang Huang. "Mit einem hochauflösenden digitalen Bild konnten wir die typische Größe der Pinselstriche genau messen und mit den Skalen vergleichen, die von den Turbulenztheorien erwartet werden."
Um verborgene Turbulenzen aufzudecken, nutzten die Autoren die Pinselstriche im Gemälde wie Blätter, die in einem Windtrichter wirbeln, um die Form, Energie und Skalierung der atmosphärischen Eigenschaften der ansonsten unsichtbaren Atmosphäre zu untersuchen. Sie verwendeten die relative Helligkeit (Luminanz) der verschiedenen Farben als Ersatz für die kinetische Energie der physischen Bewegung. Und sie waren begeistert vom physikalischen Naturtalent van Gogh, dem sie ein tiefes und intuitives Verständnis von Naturphänomenen zuschreiben. "Van Goghs präzise Darstellung von Turbulenzen könnte aus dem Studium der Bewegung von Wolken und der Atmosphäre stammen oder aus einem angeborenen Gespür dafür, wie man die Dynamik des Himmels einfangen kann."
Wirbel stimmen mit erst viel später formuliertem Gesetz überein
Die Forscher untersuchten den räumlichen Maßstab der 14 wichtigsten wirbelnden Formen des Gemäldes, um herauszufinden, ob sie mit der Theorie der kaskadierenden Energie übereinstimmen, die die Übertragung kinetischer Energie von groß- auf kleinskalige turbulente Strömungen in der Atmosphäre beschreibt. Sie entdeckten, dass das Gesamtbild mit dem erst Mitte des 20. Jahrhunderts formulierten Kolmogorow-Gesetz übereinstimmt, das atmosphärische Bewegungen und Größenordnungen entsprechend der gemessenen Trägheitsenergie vorhersagt.
Indem sie bis in den Mikrokosmos der Pinselstriche selbst vordrangen, wo die relative Helligkeit über die gesamte Leinwand verteilt ist, entdeckten die Forscher außerdem eine Übereinstimmung mit der Batchelor-Skalierung, die Energiegesetze in kleinräumigen, passiven skalaren Turbulenzen infolge atmosphärischer Bewegungen beschreibt. Es ist selten, dass beide Skalen in einem atmosphärischen System zu finden sind.
Nicht die erste Forschung zu van Gogh und physikalischer Korrektheit
Die chinesisch-französische Forschungsgruppe war nicht die erste, die auf die Idee kam, van Goghs Wirbel auf physikalische Korrektheit zu überprüfen. Schon 2006 hatte das beispielsweise ein mexikanisch-spanisches Team getan – wenn natürlich auch mit damaligen technischen Mitteln und nur in Bezug auf das Kolmogorow-Gesetz. Aber auch damals war die Erkenntnis: van Gogh malte die Wirbel physikalisch perfekt. Und übrigens nicht nur in der "Sternennacht", sondern auch auf den Bildern "Straße mit Zypresse und Stern" und "Weizenfeld mit Krähen".
In den Wolkenwirbeln des weltberühmten Bilds “Der Schrei” vom Norweger Edvard Munch fanden die Forscher 2006 hingegen keine solchen Formen. Dafür wird dort mittlerweile vermutet, dass Munch als sehr guter Beobachter einen echten Abendhimmel mit seltenen sogenannten Perlmuttwolken gemalt hat.
Forschungsgegenstand waren vor knapp 20 Jahren auch schon mal van Goghs Sonnenblumen. Und ja, auch die sind besonders realistisch, fanden britische Forscher damals heraus. Studiendesign und Ergebnis waren damals sehr einleuchtend: Hummeln fühlten sich von van Goghs Blumen mehr angezogen als von Blumendarstellungen anderer Maler.
Links / Studien
- Die neue Studie "Hidden turbulence in van Gogh's 'The Starry Night'" ist im Fachjournal "Physics of Fluids" erschienen.
- Die ältere Studie "Van Gogh painted perfect turbulence" wurde 2006 im Fachjournal "Nature" veröffentlicht.
(rr)
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 18. September 2024 | 17:30 Uhr
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