Fusionskraftwerk Warum die Kernfusion unser Energieproblem (noch) nicht löst
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17. Januar 2025, 12:34 Uhr
Der Energiebedarf in unserer Gesellschaft wächst, künftig werden wir immer mehr Strom brauchen – zum Heizen, zum Fahren, für technische Anwendungen wie Künstliche Intelligenz. Im aktuellen Bundestagswahlkampf ist das Thema Energie deshalb eines der besonders relevanten und umstrittenen. CDU/CSU und FDP benennen die Fusionsenergie als mögliche Option der Energieversorgung und wollen sie fördern. Aber ist das Fusionskraftwerk wirklich die Lösung für unser Energieproblem?
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Die Energiewende scheint ein gefühltes Sorgenkind unserer Zeit zu sein, denn häufig taucht die Frage auf, wie die Energieversorgung eigentlich gesichert werden kann ohne die fossilen Quellen, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint. Auch Medienvertreter befeuern die Angst vor der Dunkelflaute. Umso mehr kam deshalb zuletzt auch im Rahmen des Bundestagswahlkampfs eine mögliche Energiequelle, die konstant Energie liefern könnte, wieder vermehrt ins Gespräch: die Fusionsenergie. Sowohl CDU/CSU als auch die FDP haben in ihren Wahlprogrammen festgeschrieben, diese "Zukunftstechnologie" künftig stärker fördern zu wollen. Also statt "Atomkraft - nein danke" jetzt "Fusionsenergie - ja bitte"?
Das Konzept klingt schon verlockend, seit es Mitte des letzten Jahrhunderts aufgekommen ist, denn die Kernfusion verspricht klimafreundliche, kontinuierlich verfügbare Energie mit geringem Flächenbedarf und vor Ort verfügbaren Brennstoffen. Und auch die zu erwartenden radioaktiven Abfälle sollen handhabbar sein und die Gefahr eines nuklearen Unfalls besteht Fachleuten zufolge nicht.
Das große Problem ist jedoch: Das Ganze funktioniert noch nicht und auch einen funktionierenden Fusionsreaktor gibt es ebenfalls noch nicht. Bisher ist es lediglich gelungen, mithilfe von Lasertechnologie ein Plasma zu erzeugen, das mehr Fusionsenergie freigesetzt hat als Energie zur Aufheizung des Plasmas nötig war. Der Weg zu einem richtigen Kraftwerk ist also noch weit. Kritiker sagen deshalb, dass die Technik zu spät kommen und zu teuer sein wird, um einen sinnvollen Beitrag in einem klimaneutralen Energiesystem zu leisten.
Was ist Kernfusion?
Bei der Kernfusion verschmelzen leichte Atomkerne miteinander, sodass neue Elemente mit einer höheren Anzahl an Teilchen in ihrem Kern entstehen. Zum Beispiel können zwei Wasserstoff-Atomkerne zu Helium-Atomkernen fusionieren. Je nachdem welche Elemente beteiligt sind, wird bei der Fusionsreaktion Energie frei.
Die Fusionsforschung hat sich zum Ziel gesetzt, diesen in der Sonne fortlaufend stattfindenden Prozess auf der Erde zur Stromerzeugung nutzbar zu machen. Das stellt hohe Anforderungen an die verwendeten Anlagen: Damit es zur Kernfusionsreaktion kommt, sind sehr hohe Temperaturen und teils hohe Drücke nötig.
Quelle: ESYS
Der Zeithorizont
"Das ist jetzt einfach ein Zufall, dass der Bericht zu dem Zeitpunkt erscheint, an dem er gerade erscheint", sagt Reinhard Grünwald vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Mit dem Wahlkampf habe das aber gar nichts zu tun. Tatsächlich hatten die Fachleute bereits länger den Auftrag, einzuschätzen, welche Wissenslücken und Forschungsbedarfe es auf dem Weg zum Fusionskraftwerk gibt. Diese Kompakt-Studie liegt jetzt vor und Autor Grünwald fasst das Ergebnis so zusammen: "Der Weg bis zu einer Energieerzeugung mit Plasma ist noch weit und auch die Herausforderungen, die danach kommen, sind im Vergleich dazu keinesfalls zu unterschätzen. Es wird noch lange Zeit dauern und erfordert massive Anstrengungen in vielen verschiedenen wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Bereichen, so ein Kraftwerk zu bauen."
Wie funktioniert ein Kernfusionskraftwerk?
Die Forschung konzentriert sich dem ESYS-Projekt der Akademien der Wissenschaften zufolge für die Energiegewinnung auf zwei grundlegende Technologieansätze: die Magnet- und die Laserfusion (Trägheitsfusion). Für beide Ansätze braucht es grundsätzlich die gleichen Brennstoffe und es handelt sich um thermische Kraftwerke. Das heißt, dass Bewegungsenergie in Wärme umgewandelt wird, auf deren Grundlage dann Wasserdampf erzeugt und über Turbinen zur Stromerzeugung durch Generatoren genutzt wird. Denn während der Kernfusionsreaktion werden in der Regel Neutronen freigesetzt, die dann von der Innenwand des Reaktorgefäßes abgebremst und eingefangen werden.
Bei der Magnetfusion (Magnetic Confinement Fusion – MCF) befindet sich der Brennstoff für die Fusionsreaktion in einem Plasma, das durch starke Magnetfelder im Reaktor eingeschlossen wird. Dort wird es für einige Sekunden auf mehr als 100 Millionen Grad Celsius erhitzt, damit das Gemisch zünden kann. Ist das der Fall, entsteht so viel Wärme, dass das Plasma sich selbst erhält.
Beim Konzept der Trägheitsfusion (Inertial Confinement Fusion – ICF) bringen hochenergetische Laser- oder Ionenstrahlen die notwendige Energie in ein sogenanntes Target ein. Beim Target handelt es sich um eine Kugel von mehreren Millimetern Durchmesser aus den tiefgefrorenen Brennstoffen, die miteinander fusionieren sollen. Von Trägheitsfusion wird gesprochen, weil die Massenträgheit entscheidend für die Zündung des Plasmas ist: Sie sorgt dafür, dass während des sehr kurzen, intensiven Energiebeschusses der Brennstoff unter der äußeren Schicht des Targets so stark komprimiert wird, dass die benötigten Temperaturen, Drücke und Dichten entstehen, um das Plasma zu zünden. Im Gegensatz zur Magnetfusion werden die Fusionsbedingungen jeweils nur für einen sehr kurzen Zeitraum – in der Regel wenige Nanosekunden lang – erreicht.
Quelle: ESYS
Was ist also beim heutigen Stand von Technik und Forschung ein realistischer Zeithorizont bis zum Bau kommerzieller Fusionskraftwerke? Darüber herrscht in der Forschung relative Einigkeit, sagt TAB-Experte Grünwald. "Soweit ich das wahrnehme, geht man davon aus, dass unter optimalen Bedingungen – also wenn heute der Beschluss fallen würde, ein massives Förderprogramm zu starten – innerhalb von 20 Jahren ein Demonstrator erstellt wird, der alle Technologien, die man für so ein Kraftwerk braucht, integriert hat und bei dem alles funktioniert." Das sei dann allerdings ein Technik-Demonstrator, betont er, und noch kein kommerzielles Kraftwerk.
Erst einmal müsse man demonstrieren, dass die beiden Ansätze überhaupt so funktionieren könnten, wie man sich das in der Theorie vorstellt, betont der Professor für Hochenergiedichtephysik an der Universität Rostock, Dominik Kraus. Er forscht vor allem an der Laserfusion. "Die Forschung lohnt sich auf alle Fälle, aber man kann jetzt heutzutage noch nicht sagen, dass das unser aller Rettung sein wird", sagt er und verweist ebenfalls auf den Zeitrahmen von etwa 20 Jahren. Das Fachgebiet von Christian Linsmeier vom Forschungszentrum Jülich ist die Magnetfusion. Er zeigt sich zunächst glücklich, dass die Ampel-Regierung mit dem Förderprogramm Fusion 2040 für die kommenden Jahre knapp 400 Millionen extra zur Verfügung gestellt habe. Denn das Geld sei der große Haken bei der Entwicklung eines ganzen Kraftwerks. "Fusion braucht ja eine Infrastruktur, sie braucht große Anlagen, die man nicht von heute auf morgen baut", so Linsmeier. Er spricht deshalb von grob 40 Jahren, bis es funktionierende Fusionskraftwerke in Deutschland geben könne. Mit einer Summe von 20 Milliarden sei man in der Lage, einen Prototyp zu bauen. "Dieser Prototyp wird zum ersten Mal Strom liefern und von da ist es dann natürlich auch nochmal ein Schritt zu den ersten industriellen Anlagen", so Linsmeier.
Vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), das an der Entwicklung der Fusion-Roadmap der Europäischen Union beteiligt war, heißt es zur Frage des Zeithorizonts, dass Fusionsenergie zu Beginn der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts verfügbar sein soll. "Die Entwicklung eines Fusionskraftwerks ließe sich beschleunigen, indem wir mehr parallelisieren. Bei deutlich höherer Förderung und für die Fusion passenden Genehmigungsverfahren könnte ein erstes Kraftwerk bereits etwa 20 Jahre nach dem Start eines ambitionierten Programms ans Netz gehen", sagte die wissenschaftliche Direktorin, Sibylle Günter, dem Science Media Center.
TAB-Experte Grünwald zeigt sich bei der Frage nach dem Zeithorizont aber auch nachdenklich. Die "Roadmaps" und Zahlen aus der Forschungscommunity bildeten einen Optimalfall ab, sagt er. "Und wenn man sich mal die Fusionshistorie ein bisschen anschaut in den letzten 20, 30 Jahren, was das geplant war und was dann tatsächlich geschafft wurde, das klafft dann doch ein bisschen auseinander." Deshalb müsse man sich zumindest darauf einstellen, dass das wieder passieren könne.
Die technische Umsetzung
Aktuell sei aber noch nicht klar, welcher Ansatz der Kernfusion sich durchsetzen wird, sagt der Rostocker Kraus. Aus Forschungssicht sei man bei der Laserfunktion bereits weiter, weil hier die Demonstration bereits gemacht wurde. Das soll bei der Magnetfusion erst mit ITER gelingen. Doch technisch sei dieser Ansatz in Richtung eines Kraftwerkskonzepts schon deutlich weiterentwickelt, bilanziert er.
Das große Problem seien die Temperaturen, die erreicht werden müssten. Das sei ungefähr das Zehnfache dessen, was wir im Zentrum unserer Sonne hätten, so Kraus. Die beiden Ansätze erreichten das auf unterschiedlichen Wegen. Für die Magnetfusion brauche es ein Magnetfeld, in dem das Plasma schwebend in einem Vakuum gehalten werde. Hier sei die technische Herausforderung, dieses Magnetfeld so zu gestalten, dass dieser "Einschluss" effektiv gestaltet werden könne. Außerdem sei die Frage, wie das in großen Anlagen gelingen könne.
Bei der Laserfusion hingegen beschieße man sehr geringe Mengen des Brennstoffs von allen Seiten mit Lasern. Dadurch entstehe eine Mini-Fusionsexplosion, die schließlich zum Plasma führe. Das US-Experiment zur Demonstration habe zwar gezeigt, dass das grundsätzlich funktioniere, aber bisher könnte dieser Prozess nur einmal am Tag gemacht werden. Um aber ein Kraftwerk zur Energiegewinnung zu betreiben, erklärt der Physiker, müsste der Beschuss zehn Mal pro Sekunde stattfinden. "Und so gibt es viele scheinbar kleine Dinge, die sich dann am Ende stark aufsummieren, bei denen noch viele Entwicklungsschritte geleistet werden müssen an vielen Fronten, um das Ganze zu einem Kraftwerk zu machen."
Der Brennstoff
Zwar ließe sich die Kernfusion theoretisch mit verschiedenen Brennstoffen erreichen, doch es hat sich in der Fusionsforschung bereits eine Kombination durchgesetzt: Deuterium und Tritium. Sie gilt als die reaktionsfreudigste Kombination mit den geringsten Ansprüchen etwa an Plasmatemperatur oder Druck. Fachleuten zufolge werden diese Stoffe sehr wahrscheinlich auch in der späteren Praxis zur Anwendung kommen, denn bei der Deuterium-Tritium-Reaktion ist auch das Verhältnis aus Energieausbeute und Energieeintrag theoretisch am höchsten.
Dementsprechend braucht es also Deuterium. Das lässt sich relativ einfach aus Wasser gewinnen, sagt Physiker Kraus. "Für so ein Gigawatt-Kraftwerk brauchen wir ein paar Badewannen Wasser am Tag". Anders ist das beim Tritium, erklärt TAB-Experte Grünwald. Denn um etwa das Plasma in einem Magnetfeld-Fusionsreaktor zu starten, brauche es zunächst ein Grundinventar an Tritium. "Grob geschätzt braucht es eine Größenordnung von ungefähr zehn Kilogramm Tritium, um ein Kraftwerk zu starten." Doch Tritium hat nur eine Halbwertszeit von zwölf Jahren, natürlich kommt es also nicht vor. Es entsteht auch als Nebenprodukt in bestimmten Kernkraftwerken. Aktuell gebe es aber auf der Welt nur 25 Kilogramm ziviles Tritium, erklärt Grünwald. Allein die Hälfte davon sei bereits verplant für die Experimente am sich im Bau befindlichen Versuchsreaktor ITER in Südfrankreich. Zwar gebe es auch im militärischen Sektor Tritium-Vorräte, da es auch zur Zündung moderner Atomwaffen gebraucht würde, aber ob man da für zivile Zwecke herankäme, sei natürlich fraglich. "Und auch, ob sie da rankommen wollen, weil das den Militärkomplex mit dem Energieerzeugungskomplex verknüpft und das möchte man vielleicht nicht unbedingt haben."
Das Tritium für die Fusionskraftwerke müssten diese also selbstständig erzeugen – die Fachleute sprechen auch vom Brüten. "Das Tritium müsste man aus Lithium erbrüten", erläutert Kraus. "Also aus dem sehr begehrten Material, das aktuell in Batterien-Akkus verwendet wird. Wir bräuchten etwa das Lithium von 1.000 Handy-Akkus am Tag oder den Akku eines Tesla-Autos, um ein Gigawatt-Kraftwerk zu betreiben." Die Neutronen, die bei der Fusionsreaktion entstehen, würden in der ersten Reaktorwand (Blanket) auf Lithium treffen, wodurch Tritium entstünde. Das sei also im Prinzip ein sich selbst erhaltener Prozess, der aber erstmal angeworfen werden müsse.
Das bedeute also, erklärt Grünwald, ein kommerzieller Reaktor müsse dann – so denn genug Tritium zum Start vorhanden ist – selbst sofort Tritium produzieren. "Das heißt, die komplette Technologiekette, wie man dann im Fusionsreaktor Betrieb Tritium erbrütet und es wieder als Brennstoff zur Verfügung stellt, muss funktionieren, sonst steht man am Ende ohne genug Tritium da", so Grünwald. Das Problem sei aber, dass diese Technologie noch nicht besonders weit entwickelt sei. Es gebe bisher keine getesteten Prototypen für die sogenannten Blankets – also die erste Hülle um das Plasma, die auch zur Tritiumgewinnung dienen soll. "Dafür gibt es Ideen und Engineering-Konzepte und Berechnungen, aber es gibt keine Tests, es gibt noch nichts, was man anfassen kann, und das ist ein Problem."
Die Baumaterialien
Dabei stünde Linsmeier vom Forschungszentrum Jülich in den Startlöchern. Hier wird diese Materialforschung für die "erste Wand" nämlich gemacht. Er sagt: "Wir haben einen Satz von Materialien, mit denen wir einen Reaktor bauen können. Der mag noch nicht optimal sein, man muss weiter forschen, aber diesen ersten Satz haben wir." Es wäre also möglich, ein Blanket zu bauen, das geeignet ist, auch Tritium aus Lithium zu brüten. Dafür, wie genau das gestaltet werden könne, gebe es mehrere Konzepte, so Linsmeier, aber um es wirklich zu testen brauche man eben Neutronen. "Das heißt, wir brauchen erst einmal einen Fusionsreaktor. Da muss man sich so ein bisschen voran hangeln. Man hat genug Tritium weltweit, um den ersten Reaktor in Betrieb zu nehmen und den Start zu machen und dann kommt aber eigentlich erst noch der Schritt, diese eigentliche Bruttechnologie noch weiter zu treiben."
Eine weitere Materialfrage für ein funktionierendes Kraftwerk sei die nach der Hitze, sagt TAB-Forscher Grünwald. Denn die Bedingungen im Reaktor seien extrem hart, die Temperaturen außergewöhnlich hoch. "Es ist dort eine hohe Neutronenstrahlung und das Material müsste Wärmeflüsse aushalten, die mit dem Wärmefluss auf der Sonne vergleichbar sind. Und da gibt es technisch nur sehr wenige Vorbilder, wie man das lösen könnte."
Und dann ist da ja noch das Problem mit der Strahlung und der Radioaktivität. Grünwald sagt, dass es eigentlich dringend eine Versuchsanlage brauche, die Neutronenstrahlung bereitstellt und in der Materialproben getestet und qualifiziert werden könnten. "Das ist ja nichts, was man sich im stillen Kämmerlein überlegen kann und dann macht man irgendwann Material und damit baut man dann das Kraftwerk, sondern das muss ja vorher getestet und erprobt werden. Wenn man das jetzt nicht dringend angeht, dann wird in 20 Jahren ein solches Material nicht zur Verfügung stehen."
Die Wirtschaftlichkeit
Wenn all die theoretischen und praktischen Probleme einmal gelöst sein sollten, bleibt immer noch die Frage, ob der Betrieb eines solch großen und komplizierten Kraftwerks innerhalb des Energiesystems der Zukunft überhaupt noch wirtschaftlich ist – insbesondere für private Betreiber. Denn Bescheidenheit ist keine Option bei der Kernfusion, sagt Linsmeier: "Weil das Plasma so heiß ist, braucht es eine gewisse Größe. Der Fusionsreaktor geht nur in der Größenordnung Gigawatt-Anlage."
Und auch was erst einmal gut klingt, könnte wirtschaftlich zum Problem werden. Das Fusionskraftwerk würde kontinuierlich Energie liefern. Doch das Netz soll bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts längst auf die erneuerbaren Energien angepasst sein. Statt eines dauerhaften Grundlastbetriebs, braucht es dann vor allem ergänzende Kraftwerke, die sich bei Bedarf leicht hoch und wieder herunterfahren lassen, argumentieren Fachleute. Die Kraftwerksbetreiber könnten also auf dem Überschuss sitzen bleiben, so das Argument.
Der TAB-Experte Grünwald glaubt, dass die Kosten künftig vergleichbar oder noch höher als bei herkömmlichen Kernspaltungskraftwerken sein werden. Das hieße, dass der ökonomische Anreiz deshalb nur die dauerhafte Produktion sein kann. "Wenn sie abregeln müssen, weil sie nicht einspeisen können, da die Erneuerbaren gerade sehr stark einspeisen oder wenn sie lange Ausfallzeiten, dann ist das ein ökonomisches KO-Kriterium. Das funktioniert einfach nicht, da können sie technisch so viel drehen und machen, wie sie wollen."
Auch der Rostocker Physiker Kraus sieht das größte Problem weniger im technischen als im ökonomischen Bereich: "Es gibt viele Ideen, es gibt sicherlich gute Lösungsansätze und ich bin sehr optimistisch, dass viele von diesen Ansätzen im Prinzip Energie liefern können. Die nächste Frage ist, ob sie das wirtschaftlich können." Die Wirtschaftlichkeit sei künftig die große Herausforderung.
Die Rolle im Energiesystem
In einem Punkt sind sich die Fachleute einig: Die Kernfusion wird in der aktuellen Energiewende weg von den fossilen Energieträgern hin zu klimaneutralen und erneuerbaren Energien keine Rolle spielen. Ob sie später, wenn sie sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts womöglich wirtschaftlich umsetzen lässt, zum Teil dieses neuen Energiesystems werden kann, darüber gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten.
TAB-Experte Grünwald glaubt aufgrund der ökonomischen Problematik, dass die Fusionskraftwerke künftig gar keinen Platz im Stromsystem finden dürften, sondern eher zur Erzeugung von Wasserstoff dienen könnten. "Man könnte die Fusionskraftwerke dann komplett vom Netz abkoppeln, als Insel irgendwo hinstellen und dann im Prinzip nur Wasserstoff erzeugen und den dann in ein Gasnetz einspeisen. Das wäre vielleicht denkbar.
Ähnlich sieht es auch Max-Planck-Direktorin Günter. Sie verweist auch auf eine mögliche Quelle für Prozesswärme für die Industrie. "Darüber hinaus ist damit zum Beispiel auch denkbar, die Energie zu nutzen, um CO2 aus der Luft abzuscheiden und Meerwasserentsalzungsanlagen zu betreiben." Günter betont, dass Analysen zeigten, dass sich die Kraftwerke künftig gut in das Energiesystem eingliedern ließen, wenn sie etwa nur bei Bedarf Strom zur Verfügung stellen und ansonsten Energie für andere Zwecke bereitstellten. "Außerdem kann man heute weder die Energiesituation Deutschlands noch die der Welt in der zweiten Jahrhunderthälfte seriös prognostizieren." Die Bedarfsprognose sei unsicher, so Günter weiter. So gebe es beispielsweise neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz, die einen enormen Energiebedarf hätten.
Auch der Rostocker Physiker Kraus weist darauf hin, dass wir künftig einen eklatant höheren Energieverbrauch zu erwarten haben: "Wenn wir Schiffe, Flugzeuge und Autos nicht mehr mit fossilen Brennstoffen betreiben wollen, wenn wir vermehrt mit Wärmepumpen heizen wollen, brauchen wir insgesamt viel Strom." Für die Energiewende dahin brauche es den Ausbau der erneuerbaren Energien, so Kraus, aber dennoch sollte man die Forschung zur Fusion nicht vernachlässigen. "Dabei sollten wir aber so realistisch sein, dass es eben noch nicht so weit ist, dass wir sagen können, das ist die Rettung, mit der wir den Klimawandel verlangsamen können."
Sein Jülicher Kollege Linsmeier verweist auch auf den steigenden Strombedarf weltweit. Wenn auch andere Teile der Welt wie etwa China oder Indien mit ihren großen Bevölkerungszahlen auf das Niveau der anderen Industrienationen aufschließen würden, dann steige auch der Strombedarf erheblich. "Die wollen ja auch erstmal dahin kommen, wo wir schon sind. Und warum sollen wir ihnen das nicht zugestehen?" Generell wisse niemand, wie das Energiesystem dann wirklich aussehe. Aber mit der Fusion komme dann eben einfach eine neue Quelle hinzu und das System könne wieder den Charakter ändern. "Ich denke, die Fusion hat trotzdem ihren Platz in einem Energiesystem. Es wäre ehrlich gesagt, ein bisschen dumm zu sagen: Nein, diese Quelle möchte ich jetzt nicht."
Und zum Schluss bleibt ja auch immer noch die Frage nach radioaktivem Abfall. Doch auch die ist noch schwer zu beantworten: Wie viel radioaktive Strahlung entsteht überhaupt? Welche Materialien unterbinden die Bildung radioaktiver Isotope bestmöglich? Wie lange strahlt dieser Abfall und wie schnell ist er womöglich recycelbar? Sicher ist nur, so die Fachleute, dass kein derart radioaktiver Abfall entsteht, dass er geologisch über Jahrhunderte in ein Endlager gepackt werden müsse. Die Rede sei hier laut Physiker Linsmeier eher von einem Zeitraum von etwa 150 Jahren Lagerung in einer speziellen Halle, nach der die Abfälle recycelt werden könnten.
Links und Studien
Grünwald, Reinhard: Auf dem Weg zu einem möglichen Kernfusionskraftwerk – Wissenslücken und Forschungsbedarfe aus Sicht der Technikfolgenabschätzung. In: TA-Kompakt Nr. 1. Dezember 2024. doi:10.5445/IR/1000177720.
Die Ergebnisse des TAB-Berichts gibt es verständlich und kompakt zusammengefasst hier auf der Website des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag.
Die Fachleute im gemeinsamen Projekt der Akademien der Wissenschaften ESYS (Energiesysteme der Zukunft) haben bereits im August 2024 den Impuls "Kernfusion als Baustein einer klimaneutralen Energieversorgung? Chancen, Herausforderungen, Zeithorizonte" herausgegeben. Dieser Bericht kann hier über die Website des Projekts abgerufen werden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 17. November 2024 | 07:17 Uhr
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