Blick in eine aufgehende Blüte. 45 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Frauengesundheit Schluss mit dem Tabu: Was Sie über die Vulva wissen sollten

13. März 2025, 17:11 Uhr

Während schon jedes Kind weiß, wie ein Penis aussieht, verwechseln sogar noch erwachsene Frauen die Vulva mit der Vagina. Das weibliche "da unten" ist nach wie vor für viele Menschen ein Tabuthema. Dabei ist es schon allein für die Gesundheit wichtig, dass mehr über die Vulva gesprochen wird.

Das Problem beginnt schon bei der Sprache: Wenn es um das weibliche Geschlechtsorgan geht, ist vom Schambereich die Rede, von den Schamlippen und den Schamhaaren. Dass das, was diese Begriffe bezeichnen, aber nichts zum Schämen ist, das wurde vielen jungen Frauen und Mädchen lange kaum vermittelt. Erst in den vergangenen Jahren begann sich das zu ändern – ein Prozess der Enttabuisierung, der längst noch nicht abgeschlossen ist.

Zensur in Anatomie-Lehrbüchern

Aber wie kam es dazu, dass das weibliche Geschlechtsorgan so tabuisiert wurde, während das beim Mann nicht der Fall war? Fakt ist: Das war einmal anders. Alte Anatomie-Lehrbücher aus dem 18. Jahrhundert zeigen teils sehr detaillierte Darstellungen des Geschlechtsorgans. Dass sich das änderte, lag also nicht am medizinischen Wissen, sondern war eine politisch-gesellschaftliche Entscheidung.

Der emeritierte Biologe Daniel Haag-Wackernagel ist dieser Frage nachgegangen, dass insbesondere im viktorianischen England und in Deutschland und Frankreich dann ab dem ersten Weltkrieg aktiv Zensur betrieben wurde. Die detaillierten Zeichnungen der Anatomen verschwanden demnach einfach aus den Büchern, Klitoris und sexuelle Lust der Frau seien für unwichtig erklärt worden.

Flache Schale mit reliefartig modellierter Frau mit markanter Vulva.
Die Vulva war in der Menschheitsgeschichte nicht immer so tabuisiert. Bildrechte: imago/UIG

Und so bilanziert der Biologe, dass es ein Mittel gewesen sei, die Stellung des Mannes zu schützen, den Frauen die Sexualität abzusprechen. Denn die erstarkten Ende des 19. Jahrhunderts gesellschaftlich – eine Entwicklung, der man entgegenwirken wollte. Und mit der Sichtbarkeit ging auch das Wissen über die Vulva mit der Zeit verloren. Selbst Frauenärztinnen und -ärzte kennen bis heute nur wenige der bekannten Strukturen, bemängelt Haag-Wackernagel in einem Interview.

Was ist die Vulva? Die Vulva ist der gesamte äußere Bereich des weiblichen Geschlechtsorgans. Dazu zählen also die äußeren und inneren Vulvalippen (auch: Schamlippen), der Venushügel und die Klitoris. Als Vagina wird hingegen das schlauchförmige Organ im Inneren bezeichnet. Sie ist also nicht sichtbar.

Seit gerade einmal drei Jahren bildet selbst der Lernatlas "Prometheus" des Medizin-Fachverlags Thieme die Vulva vollständig ab. Vorher gab es konkret von der Klitoris nur eine sehr vereinfachte Darstellung, im September 2022 verkündete Herausgeber Michael Schünke dann: "Soweit wir es überblicken, haben wir damit jetzt tatsächlich die ersten Darstellungen der Klitoris und der sie umgebenden Strukturen in der deutschsprachigen Fachliteratur seit mehreren Jahrzehnten, die alle aus funktionell-anatomischer Sicht notwendigen Details zeigen! Das ist ein Meilenstein – nicht nur für die Anatomie."

Eine Grafik zeigt unterschiedlich geformte Vulven.
Vulven kommen in vielen Formen und alle sind normal. Bildrechte: Colourbox.de

Und auch in vielen Schulbüchern änderte sich im Jahr 2022 etwas: Nach Kritik aus der Lehrerschaft brachten die Schulbuchverlage Klett, Cornelsen und Westermann ihre Darstellung der Vulva auf den korrekten Stand.

Lustzentrum Klitoris

Für das weibliche Lustempfinden ist die Klitoris zentral. Bis heute hält sich der Mythos, dass es sich dabei um einen Punkt oder eine Art Kügelchen zwischen den Vulvalippen handelt. Doch tatsächlich ist die Klitoris deutlich komplexer. Sie verfügt unter anderem auch über eine Eichel, einen Schwellkörper und eine Art Vorhaut. Außerdem schwillt sie bei Erregung ebenfalls an, allerdings deutlich weniger stark als der männliche Penis. Die Klitoris ist ein äußerst komplexes Organ: Sie enthält mehr als 8.000 Nervenenden. Deshalb ist ihre Stimulation für den weiblichen Orgasmus auch besonders wichtig.

Übrigens kann die Frau ebenfalls ejakulieren. Dank des Biologen Haag-Wackernagel, der eigene Modelle für Vulva und Klitoris entworfen hat, wissen wir heute, dass auch Frauen eine Prostata besitzen. Das Ejakulat wird bei ihnen über die Harnröhre abgegeben. Entdeckt hat der Forscher die weibliche Prostata allerdings nicht: Die hat bereits der niederländische Anatom Reinier de Graaf im 17. Jahrhundert beschrieben.

Was dagegen ein Mythos sei, sind der vaginale Organismus und der G-Punkt, so Daniel Haag-Wackernagel. Hier säßen keine spezialisierten Nervenzellen, aber in einem männerzentrierten Weltbild liege die Erzeugung der weiblichen Lust durch diese Annahme in der Macht des Mannes. Wirklich entscheidend für den weiblichen Orgasmus sei aber die äußere Klitoris.

Vielfalt ist das Normal

Wenn man bedenkt, dass es bis zum Jahr 2022 gebraucht hat, bis eine anatomisch korrekte Darstellung der Vulva und ihrer Bestandteile in den Lehrbüchern deutscher Medizinstudentinnen und -studenten enthalten ist, wundert es auch nicht, dass es hier auch bei der Forschung eine Leerstelle gibt. Die wurde in den vergangenen Jahren nach und nach begonnen zu füllen.

Eine dieser Forscherinnen, die sich daran beteiligt haben, ist die Leipziger Gynäkologin Anne Kreklau: Sie ist Erstautorin einer Studie, die die Vulvalippen von Frauen vermessen hat, um herauszufinden, was als normal gelten kann. Das Forschungsteam vermaß dazu mehr als 650 Frauen. Es ging um die Breite und Länge der äußeren und inneren Vulvalippen und die Abstände zwischen Klitoris, Harnröhre, Scheideneingang und Anus. Was kam heraus? So gut wie alles. Äußere Vulvalippen können beispielsweise zwischen einem und 18 Zentimeter breit sein. Innere Vulvalippen unterscheiden sich zum Teil um bis zu sieben Zentimeter: Und alles ist normal, denn die "normale" Vulva existiert nicht wirklich, bilanzierte Kreklau die Ergebnisse.

Links/Studien

Kreklau, Anne et. al.: Measurements of a 'normal vulva' in women aged 15-84: a cross-sectional prospective single-centre study. In: BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology. 25. Juni 2018. DOI: https://doi.org/10.1111/1471-0528.15387.

Böhm, Amélie: Know your V - Der Einfluss gezielter sexueller Bildung zur Vulva auf das genitale Selbstbild erwachsener Cis-Frauen. Masterarbeit Hochschule Merseburg im Studiengang M.A. Sexologie III. 10. Februar 2023.

Mittelberger, Anna Greta: Unterschiedliche Wahrnehmungen eines gesellschaftlich unterschätzten Körperteils - eine qualitativ-rekonstruktive Analyse des (sexuellen) Erlebens der Vulva. Masterarbeit Universität Wien im Studiengang Gender Studies. 2023. DOI: https://doi.org/10.25365/thesis.73494.

(kie)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Mein Körper. Meine Vulva. | 13. März 2025 | 23:15 Uhr

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/dc7275e5-89a1-4bbd-a66b-6c175913b1ee was not found on this server.

Weitere Artikel

Wissen

Zwei Libellen bei der Paarung. Schrift: Warum hat die Natur den Sex erfunden? 11 min
Bildrechte: MDR