Mentale Gesundheit Welche Auswirkungen hat Social Media auf Kinder und Jugendliche?
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16. Dezember 2023, 05:06 Uhr
Sie verzerren die Wahrnehmung des eigenen Körpers, zerstören die Aufmerksamkeitsspanne und überhaupt hängen Kinder und Jugendliche nur noch auf Tik Tok, Snapchat oder Instagram. Das kann ja gar nicht spurlos an ihrer Psyche vorbeigehen! Wirklich? In der Forschung wird noch diskutiert, welche Auswirkungen die Sozialen Medien tatsächlich auf die mentale Gesundheit haben. Gibt es die sogenannte Soziale-Netzwerk-Nutzungsstörung tatsächlich?
Mehr als die Hälfte der Menschheit nutzt Schätzungen zufolge Social Media-Netzwerke – zwischen viereinhalb und fünf Milliarden Menschen. Die sozialen Medien haben in fast allen Lebensbereichen Einzug gehalten. Besonders intensiv nutzen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene die Plattformen. Was das für die jungen Menschen bedeutet, ist heiß umstritten. Die Forschung kann noch kaum Antworten liefern, aber verschiedene Studien deuten zumindest auf einen Zusammenhang mit Ängsten, schlechtem Wohlbefinden, Depressivität, Essstörungen und Stress hin. Zusätzlich stehen die sozialen Medien in Verdacht, süchtig zu machen und das Sozialverhalten zu beeinflussen.
Aber was ist da dran? Die Frage, welche Auswirkungen die Nutzung von Social Media-Plattformen auf Psyche und Verhalten junger Menschen hat, lässt sich nicht pauschal beantworten. Denn wie so oft gibt es auch hier nicht nur Schwarz und Weiß, sondern sehr viele Grautöne. Und dann werden die Nutzungsdaten, die Forschenden Aufschluss darüber geben könnten, welche Eigenschaften von sozialen Medien sich in welcher Weise auf die Psyche der Nutzerinnen und Nutzer auswirken, von den großen Firmen wie Meta, ByteDance oder X meist nicht herausgegeben. Die Forschung, die es zur Social Media-Nutzung gibt, legt außerdem nahe, dass der Zusammenhang vielschichtig und komplex zu sein scheint. Welche Aussagen lassen sich also überhaupt treffen?
Die vier Gefahren der Social Media-Nutzung
Der Kommunikationswissenschaftler Adrian Meier von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg räumt auf diese Frage erstmal mit einem Mythos auf: Es stimmt nicht, dass die Folgen des Social Media-Konsums negativer werden, je mehr Zeit man mit ihnen verbringe. Es herrsche Konsens, dass diese Bildschirmzeithypothese nicht stimme. "Wir können nicht davon ausgehen, dass jede vor Social Media verbrachte Minute gleich schlecht ist. Es scheint vielmehr darauf anzukommen, wer da vorm Bildschirm sitzt, was diese Person genau sieht und wie sie die Inhalte und die Erlebnisse verarbeitet", erklärt Meier.
Der Kommunikationswissenschaftler sieht allerdings insgesamt vier Risikofelder, für die es ausreichend starke Evidenz gebe, damit die Gesellschaft darüber nachdenken sollte, wie sie mit der Problematik umgehen wolle oder bei denen es sogar Regulierungsbedarf gebe:
Sozialer Vergleich
Der soziale Vergleich berge bei Kindern und Jugendlichen insbesondere die Gefahr, dass sich die Darstellungen auf Social Media negativ auf das Körperbild, die Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl auswirkten, so Meier. Es sei demnach gut belegt, dass die jungen Menschen, sich mit den unrealistischen Körperdarstellungen vergleichen würden - selbst dann, wenn sie wüssten, dass die Bilder bearbeitet seien.
Sozialer Aus- beziehungsweise Einschluss
Auch der Effekt des sozialen Aus- beziehungsweise Einschlusses ist Meier zufolge gut belegt. Zum einen gebe es da das Phänomen der "Fear of missing out" - also dem Gefühl, etwas zu verpassen, wenn man nicht auf Sozialen Medien unterwegs ist, aber zum anderen seien auch Phänomene wie Cyber-Mobbing oder bewusstes Ausschließen aus Klassenchats zu beobachten. Das wiederum könne sich negativ auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen auswirken.
Selbstkontrolle und Prokrastination
Ein unkontrolliertes und wenig selbst reguliertes Nutzungsverhalten kann auch negative Auswirkungen haben, so Meier, wenn es zu Zielkonflikten komme. Das bedeute, dass etwa wichtige Aufgaben vernachlässigt würden wie zum Beispiel das Erledigen der Hausaufgaben. Hier gebe es durchaus auch eine Nähe zum Begriff der Sucht.
Schlafdefizite
Die vierte Gefahr ist dem Kommunikationswissenschaftler zufolge, dass die abendliche Social Media-Nutzung zu Schlafproblemen bei Kindern und Jugendlichen führen könne. Dabei gehe es nicht nur darum, dass sie zu spät einschlafen, sondern etwa auch um Gedanken, die ausgelöst werden könnten. Außerdem fehle ein Zur-Ruhe-Kommen vor dem zu Bett gehen durch ein erhöhtes Erregungslevel.
Social Media kann auch nützlich sein
Doch Kommunikationswissenschaftler Meier sieht auch Vorteile, die Social Media den jungen Menschen bringen kann. So könnten sie etwa soziale Ressourcen aus ihnen ziehen, sodass sie das Gefühl hätten, ihnen stehe mehr soziale Unterstützung zur Verfügung. "Seien das jetzt Informationen, die sie von Freunden bekommen können, oder auch emotionale Unterstützung, vor allem über Messenger", so Meier. "Auch, dass man sich online gewisse Communitys suchen kann. Das ist vor allem relevant für statistische Minderheiten, zum Beispiel die LGBTQ-Community."
Weniger gut dokumentiert seien dagegen positive Auswirkungen im Bereich der Unterhaltung und Erholung. Es sei aber davon auszugehen, so Meier, dass junge Leute die sozialen Medien durchaus auch "durchbrowsen" wie andere Unterhaltungsmedien, ohne dass dieses Nutzungsverhalten problematisch sei. Außerdem seien auch inspirierende und motivierende Effekte zu beobachten - zum Beispiel in Hinblick auf Reisen und Natur oder auch den aktuellen Trend zu Sport und Fitness.
Social Media Thema in der Psychotherapie – Betroffene immer jünger
Die sozialen Medien sind auch in der Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen immer wieder Thema, sagt die Leiterin der Forschungsgruppe Internetbezogene Störungen und Computerspielsucht am Universitätsklinikum Tübingen, Isabel Brandhorst. Am deutlichsten sehe man den Einfluss im Krisendienst des Klinikums. An die Kriseninterventionsstation wendeten sich demnach häufiger Familien, die mit Aggressionsausbrüchen oder Suizidgedanken konfrontiert sind, die mit der Social Media-Nutzung zusammenhingen. Insbesondere bei Jugendlichen führten Phänomene wie Cyber-Mobbing, Hate-Speech oder Nacktbilder, die an die Öffentlichkeit geraten, zu so großer Not, dass sie über Suizid nachdenken, so Brandhorst.
Aber auch aggressive Eskalationen kämen vor, wenn die Eltern etwa versuchten, die Bildschirmzeit zu reglementieren. "Das hat dann meistens eine längere Vorgeschichte", ergänzt sie. "Und irgendein Auslöser führt dann dazu, dass Eltern sehr restriktiv werden, den Router ausschalten oder das Handy wegnehmen. Und dann kommt es eben auch zu Handgemengen oder zu Auseinandersetzungen, die so eskalieren, dass die Eltern sich beispielsweise von ihren Kindern sogar ernsthaft bedroht fühlen."
Die zweite Station, auf der Social Media einen deutlich negativen Einfluss habe, sei die Station für Essstörungen. Dort seien die Auswirkungen der unrealistischen Schönheitsvorstellungen mit verzerrten Körperbildern klar zu erkennen. "Und dann haben wir natürlich auch viele verschiedene Seiten oder Influencer, die pathologisches Denken und Verhalten bei Kindern und Jugendlichen fördern können. Da geht es auch um Pro-AnaSeiten, die Anorexie-Verhalten fördern", so Brandhorst.
Mittlerweile gibt es für den Kontrollverlust beim Gebrauch der Sozialen Medien bei jungen Menschen eine Diagnose: Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung. Die ist allerdings noch umstritten und nicht offiziell anerkannt. Brandhorst zufolge ist die Störung unter anderem mit Symptomen wie Depressionen, Ängsten, Selbstverletzung, Suizidalität und falscher Selbstwahrnehmung assoziiert. Sie merkt außerdem an, dass sich ein Trend erkennen lässt: Die Kinder, die wegen Problemen, bei denen soziale Medien eine Rolle spielen, behandelt werden müssten, würden immer jünger.
Was passiert bei der Social Media-Nutzung im Gehirn?
Aber welche Auswirkungen hat die Nutzung sozialer Medien tatsächlich auf das menschliche Gehirn? Damit beschäftigen sich Neurowissenschaftler wie der Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm, Christian Montag. Er sagt allerdings, dass die Evidenz in diesem Forschungsbereich noch recht dünn sei und das, obwohl im Zusammenhang mit Social Media immer wieder medizinische Sprache verwendet werde, wenn etwa von "Dopamin-Triggern" oder "Brain-Hacks" die Rede sei. "Wir reden also wirklich von vielleicht 20, 30 MRT-Studien, die wir haben, aber ein Großteil ist eben von der Stichprobe sehr, sehr klein", so Montag.
Dennoch gewährten einige Arbeiten ein paar Einblicke. US-Forscher hätten sich etwa mit dem Like-Button beschäftigt und der Frage, wie der auf Heranwachsende wirke. Dazu hätten Probandinnen und Probanden im Hirnscanner Instagram-Posts mit viel und wenig Likes gezeigt bekommen. "Und wenig überraschend sieht man eben, wenn man gerade auch eigene Bilder mit mehr Likes versehen worden sind, dass das Belohnungssystem des Gehirns angeregt wird", erklärt Montag. Das erkläre auch ein Stück weit, warum die Jugendlichen immer wieder auf die Plattform zurückkehrten, um wieder etwas zu posten.
Und diese Effekte veränderten sich auch mit zunehmenden Alter, ergänzt Montag: "Studien konnten zeigen, dass über die Phase der Adoleszenz hinweg diese Effekte stärker werden. Das heißt, dass das Gehirn stärker auf diese Mechanismen anspringt." Ein zweites großes Altersthema, das durch Metaanalysen gestützt werde, sei eine steigende Anfälligkeit für eine exzessive Form der Social Media-Nutzung mit sinkendem Alter der Nutzerinnen und Nutzer – je jünger, desto intensiver. "Eine der Theorien, die immer wieder ins Feld geführt wird, ist, dass die Hirnreifung noch nicht abgeschlossen ist. Das heißt, der präfrontale Cortex als zentrale Struktur im Gehirn, der für Selbstregulation wichtig ist, ist noch nicht ausgereift", ergänzt Montag. Es gebe keine finalen Zahlen, aber man gehe davon aus, dass das bis in die 20er-Jahre dauere, bis diese Entwicklung abgeschlossen sei.
Aber noch zwei weitere Persönlichkeitsmerkmale gehen offenbar mit einer exzessiven Nutzung der sozialen Medien einher, ergänzt Montag. Das sei zum einen der Neurotizismus. "Das heißt Personen, die eher zur negativen Emotion neigen von Natur aus, berichten in der Regel auch von einer mehr problematischen Social Media Nutzung", sagt der Forscher. Zum anderen seien Menschen gefährdet, die eher weniger Gewissenhaftigkeitswerte hätten. Allerdings sei hier die Wirkrichtung noch unklar, aber er gehe davon aus, dass die Persönlichkeit eher stabil sei und diese also die Ursache der exzessiven Nutzung und nicht anders herum.
Die Fragmentierung des Tages: Sucht oder nicht?
Die Frage nach dem Wie bei der Nutzung ist bei der Erforschung von Auswirkungen der sozialen Medien besonders wichtig. Denn es sei schon ein gewaltiger Unterschied, ob jemand am Stück eine Stunde online sei oder 60 Mal eine Minute. "Also was die Fragmentierung des Alltags ausmacht, das ist sehr wohl ein Unterschied, nämlich mit Hinblick auf die Wechselkosten, die sich die ständigen Unterbrechungen entstehen", erläutert Montag. Das gewohnheitsmäßige Checken des Smartphones hält auch Kommunikationswissenschaftler Meier für problematisch. Studien zeigten, dass diese intensivere, "suchtartige" und fragmentierte Nutzung damit zusammenhänge, ob mehr prokrastiniert werde – also mehr Aufgaben aufgeschoben würden.
Ab wann spricht man von Online-Sucht?
Aber wo ist eigentlich die Grenze zum Suchtverhalten? Diese Definition wird derzeit erarbeitet, erklärt der Ulmer Montag. Unter anderem werde auch diskutiert, inwieweit das Rahmenwerk der Weltgesundheitsorganisation für die Computerspielabhängigkeit auch für die Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung gelten würde. Das seien mehrere Kriterien, so der Forscher: Kontrollverlust, sehr starke Priorisierung und Unbelehrbarkeit. Allerdings, so schränkt er ein, dürfte man auch keine Alltagshandlungen pathologisieren. Das Verhalten müsse schon zu einer funktionellen Beeinträchtigung führen. "Das heißt, wir wollen ja nicht irgendwie Millionen oder Milliarden von Menschen ein Thema andichten, nicht, was sie nicht haben, sondern es muss der notwendige Schweregrad gegeben sein", so Montag. Das sei etwa der Fall, wenn eine romantische Beziehung in die Brüche gehe oder der Ausbildungsplatz auf dem Spiel stehe. "Da muss richtig was passieren, bevor man so ein hartes Label wie 'Sucht' auspackt."
Da muss richtig was passieren, bevor man so ein hartes Label wie 'Sucht' auspackt.
Die Tübinger Expertin Brandhorst erklärt dazu, dass Jugendliche ja auch ganz natürlich Phasen hätten, in denen sie Dinge exzessiv betreiben. "Und das ist nicht nur das exzessive Nutzen von sozialen Medien und Computerspielen, sondern es ist auch exzessives Longboard fahren oder was auch immer. Dinge, die vielleicht sozialverträglicher sind, zumindest wenn man es aus den Augen der Eltern betrachtet." Diese Phasen müsse man Jugendlichen auch zugestehen. Wenn es gut laufe, dann gingen diese Phasen meist etwa ein Jahr, manchmal auch länger.
Eltern müssen sich mit Social Media beschäftigen
Aber wenn Eltern ein schlechtes Bauchgefühl hätten, dann helfe es schon wachsam zu sein, wenn das Verhalten noch nicht sehr lange vorherrsche. "Wachsam zu sein, es zu beobachten und mit ihm im Austausch zu sein und auch die eigenen Sorgen und die eigenen Gedanken, die man sich als Eltern dazu macht, durchaus mit den Jugendlichen zu besprechen, aber nicht anklagend", rät Brandhorst. Außerdem sollten Eltern nicht nur auf Regulation setzen, denn das löse Widerstand aus. Zielführender sei es, sich in einen wertschätzenden Dialog mit dem Jugendlichen zu begeben und die eigenen Sorgen und Befürchtungen zu schildern.
Zumal man den Jugendlichen Social Media ab einem gewissen Alter ohnehin nicht mehr verbieten könne, ohne sie sozial auszugrenzen, bemerkt die Expertin. Deshalb müssten Eltern Kooperationspartner sein, die sie begleiten. Und das heiße wiederum, sie müssen sich auch mit dem Thema beschäftigen, so Brandhorst. "Es reicht nicht, den Kindern das Handy zu geben und zu glauben, das wird sich alles schon selbst regulieren und die kommen damit einfach irgendwie klar."
Für Christian Montag von der Universität Ulm ist vor allem das Alter der Kinder und Jugendlichen wichtig. "Das ist ja was völlig anderes, über eine Oberstufe zu reden oder eben über die Grundschule. Kinder haben über die Lebensspanne ganz unterschiedliche Entwicklungsaufgaben." Während bei Jugendlichen das Thema der Identitätsfindung extrem groß sei und soziale Medien da durchaus dabei helfen könnten, sich auszuprobieren, hätten Grundschulkinder ein ganz anderes Bedürfnis nach körperlichem Ausleben, Toben und Raufen, um die Grobmotorik zu schulen und die sozialen Kompetenzen durch das kindliche Spiel zu erlernen, so Montag.
Dem stimmt auch Brandhorst zu. Sie habe kein gutes Gefühl bei dem Trend, dass Smartphones immer mehr Einzug halten in das Grundschulalter. Denn eine eigenständige und selbstverantwortliche Nutzung von sozialen Medien könne man einem Jugendlichen erst dann zumuten, wenn er die Reife dafür entwickelt habe. "Und das ist auch entwicklungspsychologisch sehr individuell", ergänzt sie. Und dazu komme noch das Problem, dass viele Eltern ihre eigene Social Media-Nutzung nicht im Griff hätten und zum Beispiel im Alltag Interaktionen mit dem Kind immer wieder unterbrechen würden. Deshalb könnten auch Eltern bewusst ein gutes oder auch schlechtes Vorbild sein.
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