Debatte um Pilotprojekt Forscher wollen das Genom aller Babys bei der Geburt sequenzieren
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19. November 2021, 17:37 Uhr
Ein Pilotprojekt in Großbritannien sieht die Genomsequenzierung von 200.000 Babys vor. Für US-Forscher die Zukunft. Doch Kritiker warnen auch vor Missbrauch. Sollte das Genom aller Neugeborenen sequenziert werden? Pro und Kontra zu einem heiklen Thema.
In Großbritannien soll eine große Zahl von Babys unmittelbar nach der Geburt auf genetische Krankheiten und Krankheitsrisiken untersucht werden. Ein entsprechendes Pilotprojekt mit 200.000 Neugeborenen kündigte das staatliche Unternehmen Genomics England, das vom britischen Ministerium für Gesundheit und Soziales gegründet wurde, an. Das seit Jahren kontrovers diskutierte Thema DNA-Tests für Neugeborene dürfte damit weiteren Auftrieb erhalten. Doch wo führt das hin? Sollte künftig das gesamte Genom aller Babys bei der Geburt sequenziert werden?
Plädoyer für routinemäßige Genomsequenzierung
Geht es nach Forschern des US National Human Genome Research Institute (NHGRI), einer Abteilung des Nationalen Gesundheits-Instituts des US-Gesundheitsministeriums, wird es eine routinemäßige Genomsequenzierung bei Neugeborenen irgendwann geben. So argumentieren Leslie Biesecker und seine Kollegen in der britischen medizinischen Fachzeitschrift BMJ, dass umfangreiche klinische Nachweise gezeigt hätten, dass das Screening auf genetische Krankheiten Leben retten könne. Außerdem habe die Forschung bewiesen, dass die Genomsequenzierung von Menschen kosteneffizient sein kann.
Nicht sofort auf alle Krankheiten untersuchen
Nach Ansicht der NHGRI-Wissenschaftler sollten Neugeborene allerdings nicht sofort auf alle Krankheiten untersucht werden. Vielmehr sollte deren Genomsequenz bei der Geburt zwar erstellt, aber erst mit fortschreitendem Alter sukzessive offengelegt werden, um auf genetische Störungen reagieren zu können. Derartige Maßnahmen müssten allerdings von Aufsichtsgremien begleitet und von der Zustimmung der Betroffenen abhängig gemacht werden.
Nur durch die Sequenzierung des gesamten Genoms einer Person in einem frühen Stadium des Lebens könne das volle Potenzial der Genomdiagnose ausgeschöpft werden, argumentieren die NHGRI-Forscher. Dies biete die Möglichkeit, Diagnosen schneller und genauer zu erstellen und gezielte Therapien mit minimaler Verzögerung einzusetzen.
Routinemäßige Sequenzierung unbegründet
Doch eine derart zukunftsgläubige Herangehensweise wird nicht von allen Humangenetikern geteilt. David Curtis vom Genetics Institute des University College London (UCL) warnt, dass das Genom eines Menschen eine riesige Menge an persönlichen Daten enthält. Es gebe keinen Grund, diese routinemäßig von allen Bürgern zu erfassen, bevor diese alt genug seien, um dem selbst zuzustimmen. Ohnehin würde nur eine sehr winzige Anzahl von genetischen Erkrankungen entsprechende medizinische Maßnahmen im Kindesalter erfordern. Zudem gebe es bereits Verfahren, um Neugeborene auf solche seltenen Erkrankungen zu testen.
Außerdem gibt Curtis zu bedenken, dass eine Genomsequenzierung auch Aufschluss über Risiken für Krankheiten geben könnte, für die es keine spezifischen Maßnahmen gebe. Aber auch wenn Erwachsene an solchen Risikoinformationen interessiert seien, sei es nicht gerechtfertigt, das Gesundheitsrisiko von Neugeborenen ohne deren Zustimmung zu bewerten.
Warung vor massenhaftem Missbrauch
Zudem warnt der UCL-Honorarprofessor davor, dass persönliche Daten missbraucht werden könnten. In diesem Zusammenhang verweist er auf Berichte, denen zufolge bereits heute Regierungen massenhaft DNA-Sammlungen anlegen, um diese für repressive Praktiken bis hin zu zwangsweisen Organentnahmen verwenden zu können.
Curtis fragt, warum man die Genomsequenzierung von Babys in Erwägung ziehen sollte, wenn man sich noch nicht einmal bei Erwachsenen auf dieses Verfahren geeinigt habe. Deshalb müsse zunächst eine entscheidende Frage geklärt werden:
Sollten alle Erwachsenen ihr Genom sequenzieren lassen? Wenn die Antwort nein lautet, dann sollten wir die medizinischen Tests an Neugeborenen auf die wenigen Krankheiten beschränken, bei denen man sich einig ist, dass die Tests einen echten Nutzen bringen.
(dna)
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