Forschung aus Dresden Entdeckt: Das Gen, das unser Gehirn wachsen ließ
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19. Juni 2020, 09:22 Uhr
Warum ist gerade unser Gehirn so viel größer als das andrer Primaten? Diese Frage beschäftigt uns schon seit langem. Forscher des Max-Planck-Instituts für Zellbiologie und Genetik in Dresden haben jetzt offenbar eine Antwort darauf gefunden: Den Impuls für das rasante Wachstum gibt ein Gen, das sich vor etwa fünf Millionen Jahren teilweise verdoppelt hat. MDR Wissen hat die Untersuchungen der Wissenschaftler dazu ein Jahr lang begleitet.
Unser menschliches Gehirn ist etwa dreimal so groß wie das eines Schimpansen und größer als das aller Primaten. Warum das so ist, daran haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Zellbiologie und Genetik in Dresden lange Zeit geforscht und nun offenbar das Rätsel gelöst. Ihre Ergebnisse sind im Wissenschaftsjournal "Science" erschienen. Die Wissenschaftler fanden ein Gen, das nur im menschlichen Hirn aktiv ist. Sie pflanzten es verschiedenen Tieren ein und konnten beobachten, dass es bei ihnen ein außergewöhnliches Hirnwachstum auslöst.
Zufällige Genverdoppelung vor fünf Millionen Jahren
Bei einer Zellteilung wurde vor etwa fünf Millionen Jahren das Gen ARHGAP 11 teilweise doppelt kopiert. Es entstand ARHGAP 11A und ARHGAP 11B. Das ist kein seltenes Ereignis. Solche partiellen Genverdopplungen kommen öfter vor. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Zelle damit die Möglichkeit bekommt, neue Funktionen auszuführen. Dieser Vorgang ist vielleicht damit zu vergleichen, wenn wir uns auf den Schreibtisch ein neues, weißes, leeres Blatt legen oder Speicherplatz auf dem Handy frei machen, weil wir uns eine neue App downloaden möchten. Wir haben dann erst einmal neue Kapazitäten, aber noch keine Inhalte. Auch die Genverdoppelung allein verändert funktional noch nichts.
Die Genverdoppelung allein ändert an der Hirngröße noch gar nichts, wenn man sie in die neuronalen Stammzellen einer Maus einbringt.
Im Hinblick auf das menschliche Hirnwachstum passiert also drei bis vier Millionen Jahre lang nichts. Erst eine Mutation, eine plötzliche Veränderung innerhalb von ARHGAP 11B ändert alles. Sie ist winzig und findet nur an einer einzigen Nukleinbase von insgesamt drei Milliarden Basenpaaren unseres Erbguts statt, völlig zufällig.
Diese Punktmutation ändert alles. Sie gibt dem Gen ARHGAP 11B die Fähigkeit, die Stammzellen zu vermehren und das Gehirn zu vergrößern.
Extreme Zellteilung wie bei Tumoren
Dieses Gen initiiert eine extreme Zellteilung, ähnlich wie bei Tumoren. Allerdings läuft dieser Prozess kontrolliert ab und hört dann irgendwann wieder auf. Um seine Wirkung zu erforschen, wurde es unter anderem Embryonen von Weißbüschelaffen eingesetzt. Sie hatten später 30 Prozent mehr Hirnstammzellen als ihre Artgenossen ohne ARHGAP 11B. Ihre Hirnrinde war nicht glatt wie bei Weißbüschelaffen ohne Genveränderung, sondern ähnlich gefaltet wie beim Menschen, allerdings wesentlich schwächer.
Es könnte sein, dass unsere Großhirnrinde deshalb so groß ist, weil ARHGAP 11B während der Hirnentwicklung in Föten vorübergehend einen krebsartigen Zellteilungsmechanismus auslöst.
Auch die experimentelle Gegenprobe zeigte die Bedeutung dieses Gens. Schaltet man es aus, nimmt das Hirn nicht an Stammzellen zu. 14 Gene sind neben ARHGAP 11B im menschlichen Hirn aktiv, die bei keinem anderen Lebewesen gefunden wurden. Die Wissenschaftler haben sie alle auf ihre Auswirkungen auf das Hirnwachstum überprüft: Nur ARHGAP 11B hatte es so dramatisch beeinflusst. Für Prof. Wieland Huttner sind die Ergebnisse daher eindeutig:
Ich würde schon sagen, dass das Gen identifiziert wurde, das mit höchster Wahrscheinlichkeit für die evolutionäre Vergrößerung unserer Großhirnrinde verantwortlich ist.
Ein größeres Hirn allein macht uns nicht klüger
Die Dresdner Wissenschaftler sind sich jedoch bewusst, dass ARHGAP 11B und seine Wirkung nicht allein für unsere spezielle Form der Intelligenz verantwortlich ist. Nur ein größeres Gehirn macht uns noch nicht klüger als andere, betont Prof. Wieland Huttner:
Chancen für Alzheimer- und Parkinsontherapien
Prof. Wieland Huttner und seine Team haben offenbar herausgefunden wann und warum in der Evolution unser Hirn größer wurde. Die Dresdner Forscher erhoffen sich darüber hinaus, dass das Wissen, wie sich Hirnstammzellen bilden und welcher Prozess dafür zuständig ist, auch in der Medizin genutzt werden kann. Möglicherweise bieten diese Ergebnisse neue Behandlungs-Ansätze für Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson, bei denen Hirnzellen absterben.
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