Anatomisches Bild vom Gehirn der Patientin, aufgenommen mithilfe der Magnetresonanztomographie. Die roten Kreise kennzeichnen die Läsionen auf beiden Hirnseiten, die durch die Schlaganfälle verursacht worden (L - linke Gehirnhälfte; R - rechte Gehirnhälfte). 6 min
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Hirnforschung Der Preis der Evolution: Unsere Gehirne werden mit dem Alter anfälliger

02. September 2024, 10:37 Uhr

Es war nur ein kleiner Schritt zum großen Gehirn. Aber dieser Schritt hin zum Denken erforderte Kompromisse, zeigt eine neue Studie. Wir merken das erst, wenn wir älter werden. Denn dann verlieren wir immer mehr Substanz, im wahrsten Sinne des Wortes.

Vergleichen wir uns mit unseren genetisch nächsten noch lebenden Verwandten, den Schimpansen, spricht physisch wenig für uns. Erst die Entwicklung leistungsfähigerer Gehirne brachte uns in der Evolution den entscheidenden Vorteil.

Doch wo Vorteile sind, gibt es auch die Schattenseiten. Und die hat ein Forscherteam aus Deutschland und den USA jetzt entdeckt. Im Austausch für mehr geistige Kapazität und größere Hirnrinde sind die Menschen möglicherweise anfälliger für den altersbedingten Verlust der grauen Substanz geworden. Dies deute "auf einen Zusammenhang zwischen der evolutionären Entwicklung bestimmter kortikaler Areale beim Menschen und einer erhöhten Anfälligkeit für neurodegenerative Prozesse hin", schreiben Sam Vickery und Kollegen. Einer dieser Kollegen ist Robert Dahnke aus Jena. Als Softwareingenieur hat er bereits für seine Promotion über Hirnanalysen von Magnetresonanzbildern (MR Bilder) geforscht und in Jena sogar eine neuartige Toolbox zur Analyse von Hirnscans mit entwickelt. In der aktuellen Untersuchung hat er diese MR Bilder aufbereitet, um so die graue Hirnsubstanz zu erkennen und zu vermessen.

Die letzten, die sich entwickeln, die ersten, die verloren gehen

Das Forscherteam untersuchte MRT-Scans von 189 Schimpansen- und 480 menschlichen Gehirnen. Mit diesen Scans und den daraus gewonnenen Daten wollten sie der sogenannten "Last-in-First-out"-Hypothese auf den Grund gehen. Sie beschreibt die Gehirnentwicklung beim Menschen. Dabei geht es um die Theorie, dass Menschen größere Gehirnkortiken (die Hirnrinde, abgeleitet vom lateinischen Cortex) haben als nicht-menschliche Primaten, da sich der Mensch entwickelt hat, um zusätzliche kognitive Aufgaben auszuführen. Das schließt insbesondere den präfrontalen Kortex (PFC) ein. Der PFC ist für unsere Entscheidungsfindung zuständig, hier planen wir, manche verorten dort unsere Persönlichkeit. Diese Regionen sind nach der Hypothese die letzten, die während unserer Gehirnentwicklung reifen (Last-in) und die ersten (First-out), die während des Alterns an Dichte verlieren.

Und genau das konnten die Forscher nachweisen: "Mit zunehmendem Alter kommt es zu deutlichen Veränderungen in der Morphologie und Organisation des menschlichen Gehirns mit einem ausgeprägten räumlichen Muster, das teilweise auf Zellatrophie im späteren Leben zurückzuführen ist." Zellatrophie, Gewebeschwund in der grauen Hirnsubstanz, tritt auch bei Schimpansen auf, so das Ergebnis, jedoch in viel geringerem Ausmaß. "Die umfangreiche Ausdehnung des PFC und anderer kortikaler Assoziationsbereiche in der jüngeren menschlichen Evolution seit der Abspaltung von einem gemeinsamen Vorfahren mit Schimpansen hat den Preis einer erhöhten altersbedingten Verwundbarkeit", schreiben die Autoren.

Können wir etwas gegen den Verfall tun?

Und Robert Dahnke weist noch auf einen anderen Zusammenhang hin, den die Studie festgestellt hat: Dieser Prozess in der grauen Hirnsubstanz kann durch altersbedingte Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson und andere neurodegenerative Erkrankungen weiter beschleunigt werden. Auch das hätten die Bilder gezeigt, so Dahnke gegenüber MDR WISSEN, "dass wir bei neurodegenerativen Erkrankungen eben eine stärkere und schnellere Atrophie in bestimmten Arealen wie beispielsweise dem Hippocampus sehen können". Und man kann nichts dagegen tun, dass einem die grauen Zellen abhandenkommen als Preis für die Evolution? "Doch", sagt Dahnke, wenn auch augenzwinkernd "mit gesunder Lebensweise".

Links/Studien

Die aktuelle Studie ist in Science Advances erschienen: Die Einzigartigkeit der menschlichen Anfälligkeit für die Alterung des Gehirns in der Evolution der Menschenaffen

Die Jenaer Studie erschien in Giga Science: CAT: eine Toolbox für die computergestützte Anatomie zur Analyse struktureller MRT-Daten

gp

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Zufall Mensch? Der kleine Schritt zum großen Gehirn | 09. Januar 2022 | 22:50 Uhr

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