Klimagipfel Diese Mitteldeutschen sind in Glasgow dabei
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15. November 2021, 10:01 Uhr
30.000 Menschen aus der ganzen Welt nehmen an den Klimaverhandlungen in Glasgow teil. Darunter auch einige aus Mitteldeutschland. MDR WISSEN hat sich mit zweien ausgetauscht. Ein Forscher und eine junge Frau: Prof. Reimund Schwarze ist Klimaökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und Pia Jorks ist Thüringerin und mit der Jugendklimaorganisation "Klimadelegation" in Glasgow.
"Die Ökonomie des Klimawandels" – so heißt ein Buch, das Prof. Reimund Schwarze geprägt hat. Das Buch ist der sogenannte "Stern-Report", ein Bericht von Nicholas Stern, dem ehemaligen Weltbank-Chefökonom, der darin für die britische Regierung 2006 die Kosten des Klimawandels auf fünf bis 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes geschätzt hat. Vor kurzem hat Stern ein Update (hier als PDF) vorgelegt und gesagt, man hätte damals die Gefahren unterschätzt.
Die Kosten des Klimawandels sind beziffert
Für den studierten Volkswirtschaftler Schwarze ist "Die Ökonomie des Klimawandels" ein wichtiger Meilenstein der Umweltökonomie gewesen, sagt er in einem Video des Helmholtz-Zentrums. Schwarze berät zum Beispiel Sachsen-Anhalts Umweltministerium, wie das Klima- und Energieprogramm des Landes umgesetzt wird. Und Schwarze bloggt auch zum Thema Umweltökonomie.
Dort schrieb er Anfang November, Klimapolitik sei ab sofort strategische Machtpolitik und Klimaschutz Handelspolitik, weil der Klimawandel auch Absatzmärkte bedroht. Denn: "Wenn ärmere Länder unsere Produkte nicht mehr kaufen können, wirkt sich das auch auf unsere Wirtschaft aus."
Beim Klimagipfel in Glasgow ist Schwarze als Beobachter. "Ich trete gewissermaßen als Lobbyist der Wissenschaft auf und dränge darauf, dass wissenschaftliche Argumente in den internationalen Entscheidungsprozessen hinreichend gehört werden." Außerdem könne er dort die Prozesse der internationalen Politik verfolgen.
Mit 30.000 Teilnehmenden ist die Veranstaltung in Glasgow besonders groß. Schwarze sagt, es seien ungewöhnlich viele Delegationen angereist. Und wegen der Pandemie lasse sich eine solche Massenveranstaltung nur schwer fehlerfrei organisieren. "Da gibt es manche Pannen beim Einlass und in der Nutzung der Infrastruktur, die sich aber bisher in Grenzen halten."
Pariser Ziele umsetzen
Dass so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Glasgow sind, sei den hohen Erwartungen an diese Konferenz geschuldet, glaubt Schwarze. Und auch er erhofft sich ein Mindestergebnis: "Unverzichtbar wäre es, das schon drei Jahre lang vertagte Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Übereinkommens zu beschließen und sich dabei auf mehr als den kleinsten Nenner zu verständigen." Jeder zusätzliche Beschluss von Glasgow wäre ein Zugewinn, sagt Schwarze.
Auch wenn es für ein endgültiges Urteil über den Gipfel noch zu früh sei, zur Halbzeit des Gipfels wirkt Schwarze zurückhaltend optimistisch:
Das Treffen in Glasgow könnte mehr bewirken als skeptische Beobachter, zu denen ich mich zähle, erwartet haben.
Die Vorzeichen seien nicht gut gewesen, weil die Pandemie den normalen Gang der Verhandlungen gestört habe. Außerdem schien die britische Verhandlungsdiplomatie etwas glücklos, weil die Regierungschefs von Russland und China ihre Teilnahme abgesagt haben.
Zu früh für Hoffnung
"Jetzt gab es ein eindrucksvolles Auftakttreffen der Staats- und Regierungsoberhäupter und Entscheidungen beim Treffen der G20 in Rom, die Hoffnung machen, dass hier ein außerordentliches Ergebnis herauskommen könnte."
Es ist aber noch zu früh, um das jetzt zu beurteilen.
Schwarze spüre außerdem, dass auf dem Gipfel zum Beispiel von "Fridays for Future" eine Dynamik ausgehe. Es gäbe sogar politische Forderungen, der Bewegung Vetorechte einzuräumen. Schwarze: "Die Dynamik führt möglicherweise dazu, Jugendvertretungen in den Prozess der Klimaverhandlungen stärker einzubinden."
Klimaaktivistin aus Thüringen
Genau dafür ist auch Pia Jorks in Glasgow. Sie kommt aus Thüringen, hat Politik und Wirtschaft studiert und ist Vorständin für Klimapolitik beim Klimadelegation e.v. Der Verein mit Sitz in Mühlheim setzt sich für globale und generationenübergreifende Klimagerechtigkeit ein. Sie sagt: "Gemeinsam mit vielen jungen Menschen weltweit versuche ich den Verhandler*innen auf die Finger zu schauen."
Mit Gesprächen und Aktionen erinnern wir sie daran, dass sie über unsere Zukunft verhandeln.
Und auch Jorks nimmt auf dem Gipfel eine Dynamik wahr. "Es ist definitiv zu spüren, dass viele Länder mit einer großen Ernsthaftigkeit und Motivation angereist sind." Die Erwartungen und der Druck seien hoch, das Regelwerk des Pariser Abkommens fertigzustellen, es hätte deutlich intensivere Vorverhandlungen gegeben. Dazu hätte auch der UN-Bericht zu den Klimaplänen der Staaten beigetragen, der vor dem Gipfel veröffentlicht wurde. "Er hat die kollektive Ambitionslücke deutlich gemacht und die Länder in die Pflicht genommen", sagt Jorks.
Sie kritisiert, dass die Staatschefs von China und Russland nicht nach Glasgow gekommen sind:
Ein schlechtes Signal war, dass China als derzeit größter Emittent und Russland als fünfgrößtes Verschmutzerland nicht vertreten waren.
Nach den ersten Verhandlungstagen sagt Jorks: "Insgesamt blieben die Ankündigungen weit hinter dem zurück, was notwendig wäre für generationengerechte, 1,5 Grad konforme Klimapolitik." Das gelte auch für unser Land. "Deutschland kommt auch weiterhin nicht genügend seiner nationalen Verantwortung nach." Das nationale Emissionsreduktionsziel würde immer noch nicht zu dem 1,5 Grad Ziel von Paris passen.
Nach jetzigem Stand steuern wir immer noch auf einen Temperaturanstieg um 2,7 Grad Celsius zu. Um die Erderhitzung bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen, müssen bis 2030 die globalen Emissionen halbiert werden.
Neben Schwarze und Jorks sind auch mehrere Vertreter des Umweltbundesamtes (UBA) aus Dessau in Glasgow. Unter anderem sind UBA-Präsident Dirk Messner und weitere Expertinnen und Experten aus den UBA-Abteilungen Teil der offiziellen deutschen Verhandlungsdelegation. Die Delegation äußert sich naturgemäß nicht zu laufenden Verhandlungen.
Der Blick aus der Ferne nach Glasgow
Ein Forscher aus Mitteldeutschland, der in Glasgow zwar nicht dabei ist, aber dessen Papier dort viele gelesen haben dürften, ist Dr. Sönke Zaehle. Er ist einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena und war einer der zwei mitteldeutschen Forscher, die am IPCC-Bericht mitgeschrieben haben, der die wissenschaftliche Grundlage für die Vereinten Nationen ist.
Aus der Ferne sagt Zaehle zur Halbzeit des Klimagipfels: "Es ist sehr positiv, dass es bei Methan-Emissionen eine Einigung gibt. Und auch bei der Entwaldung haben wir deutliche Fortschritte gemacht. Jetzt heißt es, warten, ob es ähnliche gute Fortschritte auch für die CO2-Emissionen gibt."
Ich hoffe, dass sich die Verhandelnden die Kernaussagen des IPCC-Berichts zu Herzen nehmen und verbindliche Zusagen machen, wie sie nachhaltige, schnelle und umfassende Änderungen der CO2-Emissionen hinbekommen, sodass wir das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen können.
Was Sönke Zaehle zum bisherigen Verhandlungsstand sagt – hören Sie in diesem Audio
Auf eine Formel können sich Klimaschützer und Forscher vermutlich leicht einigen: Klimaschutz ist billiger als unambitionierter Klimawandel. Viel Geld ist trotzdem nötig. Aber gerade die Pandemie hat gezeigt, wie schnell Entscheiderinnen und Entscheider viel Geld bereitstellen können.
Umweltökonom Reimund Schwarze vom UFZ in Leipzig arbeitet gerade an einer Studie, die herausfinden soll, wie wirksam die teuren Aufbauprogramme nach der Pandemie sind. Er sagt: "Riesige Geldmengen wie noch nie bestimmen über unsere Zukunft. Hier und heute werden die Weichen für die nächsten zwanzig Jahre gestellt." Und was für die Bewältigung der Pandemie gilt, gilt für die Verhandlungen in Glasgow allemal.
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