Fake News? So viel Klimawandel steckt in den Hitzerekorden Südeuropas
Hauptinhalt
27. Juli 2023, 19:36 Uhr
Südeuropa ächzt unter einer Hitzewelle, in den USA und China gibt es Orte mit Temperaturen über 50 Grad Celsius. Die Medien berichten von Temperatur-Rekorden. Und in Deutschland: Regenjacken-Wetter. Da fragen sich einige, ob das alles so mit rechten Dingen zugeht in Sachen Rekorde. Und hat das wirklich mit dem Klimawandel zu tun? Eine aktuelle Studie aus Großbritannien legt indes nahe, dass solche extremen Hitzewellen ohne die Klimaerwärmung deutlich unwahrscheinlicher wären.
- In der Mittelmeerregion werden aktuell Allzeit-Temperatur-Rekorde gemessen
- Diese Rekordtemperaturen sind laut Forschenden ohne den von Menschen verursachten Klimawandel nicht zu erklären
- Es gibt aber verschiedene Messwerte, je nachdem, ob die Lufttemperatur, die Bodentemperatur oder die Landoberflächentemperatur gemessen wird
Es hat sich abgekühlt in Deutschland. Das gilt zwar für das Wetter, aber keinesfalls für die Gemüter. Denn die hat das kühlere Wetter eher angeheizt: Klimaerwärmung? Wo ist die denn plötzlich hin? Dürre und Trockenheit? Es regnet doch die ganze Zeit! Solche Kommentare von Menschen, die den anthropogenen Klimawandel bezweifeln oder leugnen, gibt es derzeit zu Hauf in den Sozialen Netzwerken. Das Klima scheint nach der Corona-Pandemie das neue Lieblingsstreitthema der Deutschen zu werden.
Besonders entzündet hatte sich dieser Streit zuletzt an den prognostizierten Hitzerekorden in Südeuropa. Denn da vermuteten so einige Social Media-Nutzer Manipulation und Panikmache aufgrund einer vermeintlich fehlinterpretierten Pressemitteilung der Weltraumorganisation ESA. Andere konnten gar nicht glauben, dass es so heiß wie berichtet gewesen sein soll in Italien, Griechenland oder der Türkei, denn an dem konkreten Ort, an dem sie sich befunden haben, sei die Temperatur ganz anders gewesen. Ganz so als sei das Wetter keine lokal begrenzte Angelegenheit. Alles Fake News also?
Der wichtige Unterschied zwischen Wetter und Klima Wetter ist ein kurzfristiges Phänomen. Es beschreibt den kurzfristigen Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Das Klima hingegen ist ein langfristiger Zustand. Die klimatischen Verhältnisse lassen sich nur über einen Zeitraum von mindestens mehreren Dutzend Jahren anhand einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen beschreiben. Deshalb kann man aus einer Einzelbeobachtung, zum Beispiel einer regnerischen Woche im Juli, keine Rückschlüsse auf das Klima ziehen. Erst mithilfe jahrzehntelanger Beobachtungen aller Tage im Juli über Jahre können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen, ob diese eine regnerische Woche zu den typischen Klimaverhältnissen der beobachteten Region passt. Beim Klima handelt es sich also um langfristige Tendenzen.
Regen und kühle Temperaturen im Juli: Ein Sommer, wie er früher einmal war
Der Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) sagt, es ist nur eine Phase - also das aktuelle Wetter in Deutschland. "Im Prinzip haben wir jetzt einen Rückfall in einen normalen Sommer, wie ihn vielleicht die Älteren unter uns noch vor 20, 30 Jahren regelmäßig erlebt haben", bilanziert er.
Denn üblicherweise habe der Sommer in Mitteleuropa zu dieser Zeit noch nicht vor allem aus Hitzewellen und Temperaturen über der 30-Grad-Marke bestanden. Es habe immer wieder Phasen gegeben, "wo es auch mal regnet, wo es mal kühl ist, wo die Luft vom Atlantik kommt und wir Temperaturen haben, wie wir sie jetzt diese Woche erleben".
Kühles Regenwetter steht nicht im Widerspruch zur globalen Erwärmung
Das heiße jedoch nicht, dass sich das nicht schnell wieder ändern könne. Denn dass es trotz Klimaerwärmung mit immer neuen Rekord-Werten auch immer wieder solche kühleren Phasen gebe, sei nicht überraschend. "Also insofern ist es jetzt kein Widerspruch zur Klimaerwärmung, sondern mal ein vorübergehender Rückgang in die Normalität", so Friedrich.
Das Wetter ist kein Widerspruch zur Klimaerwärmung, sondern mal ein vorübergehender Rückgang in die Normalität.
Insgesamt sehe die Halbzeitbilanz des meteorologischen Sommers (Anfang Juni bis Ende August) nämlich etwas anders aus: Es war laut DWD deutlich zu warm und vor allem viel zu trocken - insbesondere in der Mitte und dem Osten Deutschlands. "Also insofern können wir bisher wieder von einem Sommer sprechen, der typisch für die Klimaerwärmung ist: zu warm, zu trocken und zu viel Sonnenschein", erklärt der Meteorologe. "Dass es jetzt mal ein paar Tage kühler ist, ändert da nichts prinzipiell an dieser Geschichte."
Was in Deutschland passiere, das sei ja auch immer nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Weltklima, betont der Fachmann. Und global gesehen gebe es auch immer mal wieder Gebiete auf der Welt, in denen es gerade mal zu kalt sei. "Aber in der Summe sind halt die zu warmen Gebiete klar in der Oberhand und insofern rechnen auch Klimatologen damit", so Friedrich. "Und es spricht vieles dafür, dass wir vielleicht sogar das heißeste Jahr ever bekommen werden in der Klimageschichte – seit wir die Daten haben weltweit."
Echte Allzeit-Rekorde an Wetterstationen in der Türkei, Griechenland und Süditalien
Diese These stützt der Blick nach Südeuropa: Dort ist es nämlich schon seit Wochen nur heiß. Wie steht es also um die Rekordhitze am Mittelmeer?
DWD-Meteorolge Friedrich sagt, er habe sich extra noch einmal bei seinen Kolleginnen und Kollegen rückversichert. Tatsächlich sei es so, "dass es in einigen Regionen - vor allem in der Türkei, in Süditalien, aber auch in Griechenland - wirklich Allzeit-Rekorde an vielen Stationen gab." Das heiße, seit Beginn der Wetteraufzeichnungen sei es in den betroffenen Regionen noch nie so heiß gewesen. "In der Türkei und in Süditalien hatten wir über 47 Grad, in Griechenland über 45 Grad", sagt der Meteorologe.
Ein Grund für diese extreme Hitze sei das El Niño-Phänomen. Dieses Wetterphänomen, das sich vor allem im Pazifischen Ozean abspiele, führe dazu, dass die Temperaturen global gesehen höher lägen als in anderen Jahren, so Friedrich. "Und das könnte dazu führen, dass wir am Ende dieses Jahres praktisch da wieder einen neuen Temperatur-Rekord vermelden können."
El Niño El Niño bezeichnet – vereinfacht gesagt – eine im Schnitt alle vier Jahre auftretende Erwärmung des Oberflächenwassers im Südpazifik. Die hat Auswirkungen auf das globale Wetter: El Niño sorgt etwa für höhere Temperaturen und damit Dürre sowie Starkregen-Ereignisse.
Rekordwerte wurden von wissenschaftlich normierten Wetterstationen gemessen
Aber wie seriös sind die ständigen Hitze-Rekordmeldungen denn nun? Meteorologe Friedrich erklärt, dass es sich um gesicherte Werte handelt: "Das sind alles Messstationen, die von den nationalen Wetterdiensten betrieben werden. Das sind jetzt keine privaten Messstellen, wo irgendjemand am Balkon sein Thermometer hinhängt, sondern das sind nach internationalen Standards gemessene Temperaturen."
Und wenn an so einer Station ein Rekordwert gemessen werde, dann werde der sogar noch einmal gesondert überprüft, erläutert der Fachmann. Deshalb würden solche Rekordwerte manchmal erst nach Tagen bestätigt. "Man schaut sich dann die Messergebnisse an, ob das alles plausibel ist, ob es da keine Irregularitäten gab." Und der Meteorologe ergänzt: "Das wird auch bei diesen Rekorden gemacht, die jetzt im Mittelmeerraum gemessen wurden."
Klimaszenarien sind keine Wetterberichte
Meteorologe Friedrich zeigt sich angesichts von Zweiflern verständnisvoll: Die Menschen würden heute viel mit Klima und Klimaerwärmung konfrontiert, sagt er. "Und dann gibt es Berichte, in denen unser Klima abgeschätzt wird für die nächsten Jahrzehnte. Und da hört man dann auch immer Klagen von Bürgern: Ja, jetzt versuchen die Klimatologen oder die Meteorologen uns zu erzählen, wie es in 20 Jahren sein wird. Dabei wissen die ja noch nicht mal, wie das Wetter morgen in Dresden wird."
Und das sei die Herausforderung, ergänzt Friedrich: "Den Unterschied muss man immer erklären, dass das keine Wettervorhersage ist, sondern eine Berechnung für die die nächsten Jahrzehnte." Und dann sei ja auch die Wettervorhersage eine komplizierte Berechnung, beeinflusst vom Chaos in der Atmosphäre. Deshalb sei eben nicht für alle nachvollziehbar, dass eine Wetterprognose auch Ungenauigkeiten enthalte und es immer nur um Näherungen und Wahrscheinlichkeiten gehe.
Hitzewellen ohne Klimawandel unwahrscheinlich
Doch nicht nur Südeuropa, auch andere Teile der Welt ächzen unter Hitzewellen. Im Death Valley im US-Bundesstaat Kalifornien und im Nordwesten Chinas wurden sogar mehr als 50 Grad Celsius registriert. In China handelte es sich um die höchste je gemessene Temperatur.
Eine aktuelle Studie des Imperial College in London legt einen direkten Zusammenhang solcher Hitzewellen mit der Klimaerwärmung nahe. Das Ergebnis sei nicht überraschend gewesen, sagte Mitautorin Friederike Otto. "Die Welt hat nicht aufgehört, fossile Kraftstoffe zu verbrennen, das Klima wird weiterhin wärmer und Hitzewellen werden extremer."
Für ihre Untersuchung haben die Forschenden die Durchschnittstemperaturen in drei Regionen der Welt im Juli analysiert, die besonders stark von Hitzewellen betroffen waren. Anschließend verglichen sie die Daten dann mit denen eines Modells. Das simulierte die Temperaturen in einer fiktiven Welt ohne den anthropogenen Klimawandel. Auch dieses Forschungsteam weist auf das Wetterphänomen El Niño hin. Denn auch das habe wohl zu den Hitzewellen beigetragen, heißt es. Hauptgrund für ihre Schwere sei aber der Anstieg der globalen Temperaturen infolge des Verbrennens fossiler Kraftstoffe, bilanziert das Team vom Imperial College in seiner Studie.
Was ist was: Luft-, Boden- und Landoberflächentemperatur
In sozialen Medien wird angesichts der Nachrichten zur Hitze am Mittelmeer bezweifelt, dass die richtigen Werte miteinander vergleichen werden. Deswegen an dieser Stelle noch einmal eine Erklärung: Wenn wir beim Wetter von Rekordtemperaturen sprechen, dann ist immer nur die Lufttemperatur gemeint. Die wird standardmäßig in zwei Meter Höhe gemessen, über einer möglichst natürlich bewachsenen Grasfläche und mit einem Thermometer, das im Schatten ist, erklärt Meteorologe Friedrich. Nur so würden die Temperaturen auch international vergleichbar.
Dann gebe es noch eine sogenannte Bodentemperatur. Die werde in fünf Zentimeter Höhe gemessen, aber eigentlich nicht tagsüber. "Das ist ein Wetterwert, der nachts von Relevanz ist", sagt der Experte." Wenn wir nämlich Bodenfröste feststellen, dann wird auch in fünf Zentimeter Höhe noch ein Thermometer abgelesen. Und dort ist gerade im Winter die Temperatur oftmals noch deutlich kühler als in zwei Meter Höhe, wo die Standardtemperaturen gemessen werden."
Landoberflächentemperatur: Schwarze Straßen heißer als grüne Wiesen
Weitere Temperaturmessungen seien für die Wetter-Fachleute nicht relevant. Aber es gibt noch andere Werte - so wie etwa die Landoberflächentemperatur, die zuletzt immer mal wieder im Gespräch war. Diese werden von Satelliten aus gemessen, erläutert Friedrich. Dabei handelt es sich um die konkrete Temperatur von einer aufgeheizten Oberfläche - so als halte man direkt ein Thermometer darauf. Das kann dann natürlich deutlich verschieden ausfallen: Ein schwarzes Auto wird natürlich deutlich heißer als eine grüne Wiese oder eine weiße Fassade. "Das sind Werte, mit denen man vielleicht Waldbrände erkennen kann, denn da sind natürlich auch die Oberflächentemperaturen viel höher", sagt Friedrich. Darüberhinaus taucht sie auch als eine mögliche Variable in Klimamodellen auf.
Dass die Landoberflächentemperatur bei anhaltend extremen Temperaturen künftig noch relevanter werden könnte, zeigt sich derzeit in den USA. Dort ist es in einigen Regionen des Bundesstaats Arizona so heiß, dass Menschen sich beim Kontakt mit dem Boden Verbrennungen zuziehen - also etwa, wenn sie auf Asphalt hinfallen.
Link zur Studie
Zachariah, Mariam et. al.: Extreme heat in North America, Europe and China in July 2023 made much more likely by climate change. DOI: https://doi.org/10.25561/105549.
(kie/dpa)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 25. Juli 2023 | 21:45 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/aa83abb8-fe13-46ce-b1a2-2b9bbba09321 was not found on this server.