Fine orangene Dübel vor grauem Hintergrund - diese sogenannten PVCs könnten künftig die Genomeditierung voranbringen
Aufgereinigte Photorhabdus-Virulenzkassetten (PVCs), abgebildet mit einem Transmissionselektronenmikroskop. Sie könnten eines Tages als eine Art "molekulare Spritze" dabei helfen, Therapeutika wie die Gen-Schere CRISPR an ihren Einsatzort in der (richtigen) Zelle zu bringen. Bildrechte: Joseph Kreitz, Broad Institute of MIT and Harvard, McGovern Institute for Brain Research at MIT

Fortschritt für die Krebs- und Gentherapie Gen-Therapie: Molekulare Spritze auf Bakterien-Basis tötet Krebs Zelle für Zelle

31. März 2023, 16:02 Uhr

Ein Forschungsteam, das teilweise auch 2012 an der Entdeckung der CRISPR/ Cas9-Genschere beteiligt war, hat nun eine potenzielle neue Möglichkeit gefunden, Therapeutika direkt in die Zelle zu transportieren. Das könnte eine mögliche Lösung für das "Liefer-Problem" der Gen-Editierung sein, aber der Weg bis in die Praxis ist noch lang.

Forschende am Massachusets Institute of Technology (MIT) und der Harvard University in den USA haben eine neue Technologie getestet, die eines Tages dabei helfen könnte, Krebs und andere Erkrankungen auf Zellebene mittels Genom-Editierung zu bekämpfen. Im Versuch sei es bereits gelungen, fast 100 Prozent der Krebszellen zu töten, ohne dabei die gesunden Zellen in Mitleidenschaft zu ziehen, teilt das Forschungsteam mit.

Krebs entsteht auf Zellebene Die Entstehung von Krebs im Körper ist ein komplexer Vorgang. Ausgangspunkt sind die Gene innerhalb einer Zelle, genauer drei verschiedene Gene: Die Reparaturgene, die Onkogene und die Tumorsuppressor-Gene. Alle drei kommen auch in normalen Zellen vor und spielen eine wichtige Rolle beim Wachstum und der Ausdifferenzierung von Zellen. Wenn innerhalb dieser Gene Veränderungen, sogenannte Mutationen, auftreten, greift normalerweise das körpereigene Reparatursystem ein. In seltenen Fällen versagt dieses System allerdings – dann entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Onkogenen und Tumorsuppressor-Genen, das ein unkontrolliertes Zellwachstum nach sich zieht.

Im Gegensatz zu gutartigen Tumoren neigen bösartige dazu, sich im Körper unkontrolliert auszubreiten. Sie wachsen nach und nach in das umliegende Gewebe ein und nutzen im schlechtesten Fall das Lymph- und Blutgefäßsystem, um in andere Organe zu gelangen und dort ebenfalls zu wachsen.

Weil Krebs auf Zellebene entsteht, versuchen Forschende aktuell, ihn auch direkt auf dieser Ebene zu bekämpfen. Ein Schlüsselproblem dabei ist es, die entsprechenden Wirkstoffe zielgenau in die befallenen Zellen zu bringen. Die "molekulare Spritze", die dabei nun helfen könnte, kommt von einem Forscherteam, das teilweise auch schon an der Entdeckung der "Genschere" CRISPR/Cas9 im Jahre 2012 beteiligt war. Diese Genschere erlaubt es, das Erbgut einer Zelle zu verändern, ähnlich der "Suchen und ersetzen"-Funktion eines Text-Dokumentes.

Ex-vivo vs. in-vivo Geneditierung

Damit die revolutionäre Genschere allerdings in den Zellen arbeiten kann, muss sie erstmal in den Zellen ankommen. Das kann im Rahmen einer ex-vivo Methodik passieren, nachdem die entsprechenden Zellen aus dem Körper entnommen wurden – oder als in-vivo Gen-Editierung direkt im Körper. Bei letzterer Methode ist es natürlich etwas kniffeliger, die Genschere zielgenau an ihren Einsatzort mitten im menschlichen Körper zu bringen.

Das "Delivery-problem" der Geneditierung

Eine normale Spritze oder gar eine Tablette reicht hier nicht aus, weil weder RNA-Moleküle, noch Enzyme (wie Cas9) die Membran einer Körperzelle passieren können. Beide würden im Verdauungstrakt zerstört oder von den Immunzellen in der Blutbahn als Fremdkörper entdeckt und angegriffen. Es braucht also eine Art Transportvehikel, das die entsprechenden Teile ins Innere einer Zelle "einschleust" und dabei im besten Falle selbst keinen Schaden im Körper anrichtet. Man spricht in diesem Zusammenhang vom "Delivery-Problem". Bislang verwendete man für diese Zwecke Viren oder sogenannte Liposomen, kleine Fetttropfen, die das Genschere-Modul vor einer vorschnellen Zersetzung im Körper schützen können. Ein weiteres – und möglicherweise besseres – Vehikel könnte die nun vorgestellte "molekulare Spritze" darstellen.

Diese Spritze ist eher im metaphorischen Sinne eine Spritze und eigentlich ein Teil eines Bakteriums. Genauer dessen extrazelluläre kontraktile Injektionssysteme, im Englischen kurz mit eCIS benannt. Das sind natürliche "Spritzen", die viele Mikroorganismen einsetzen, um in die Zellen ihrer Wirte einzudringen, ihnen Proteine spritzen und den Stoffwechsel zu ihren Gunsten zu manipulieren. Sie binden an bestimmte Zellen und spritzen dann direkt Proteine durch die Zellmembran – genau diese Barriere soll auch die Genschere CRISPR überwinden, deswegen könnten eCIS hier einen wertvollen Beitrag leisten.

Das Bild zeigt einen Körper, in den CRISPR-CAS-Komplexe mittels PVCs eingebracht werden (schematische Darstellung)
Schematische Darstellung, so könnte es eines Tages funktionieren: Die Genschere wird mittels molekularer Spritze in den Körper eingebracht. Aktuell ist die Forschung von Experimenten mit dieser Technologie an lebenden Menschen aber noch weit entfernt. Bildrechte: MDR / StudioAraminta - stock.adobe.com

Die Forschenden am MIT um Feng Zhang konnten nun eCIS an einem spezifischen Bakterium namens Photorhabdus asymbiotica so nachbauen, dass sie besondere Rezeptoren an der Zelloberfläche erkennen und so an ausgewählten Zielzellen andocken. Injiziert wurde dann aber nicht das Bakterium selbst, sondern eine aufgereinigte Zusammenstellung seiner Proteinstruktur, genannt Photorhabdus-Virulenzkassette, kurz PVC. Zhang selbst sagt dazu, die Verabreichung therapeutischer Moleküle, wie beispielsweise einer Genschere sei ein großer Engpass für die Medizin und man werde künftig eine Vielzahl an Optionen benötigen, die diese Therapien an die richtigen Zellen im Körper bringen: "Indem wir von der Art und Weise gelernt haben, wie die Natur Proteine transportiert, konnten wir eine neue Plattform entwickeln, die dazu beitragen kann, diese Lücke zu schließen."

Bis in die Praxis ist es noch ein langer Weg

Diese neue Technologie ist zum einen wichtig für die bereits angesprochene Krebstherapie, aber auch für andere genbasierte Therapien. Im Hinterkopf behalten sollte man dabei allerdings: Bis derartige Technologien irgendwann in der Praxis eingesetzte werden könnten, wird es vermutlich noch lange dauern. Die entsprechende Forschung befindet sich eher im Anfangsstadium und ist vermutlich vielmehr als eine Art Hoffnungsschimmer zu verstehen, dass wir Genkrankheiten und Krebs eines Tages besser behandeln können.

Forschende aus Deutschland schätzen die aktuelle Studie als innovativ und "cool" (Prof. Dr. Stefan Raunser, Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie, Dortmund) ein, betonen aber ebenfalls, sie sei eher ein erster Schritt in die hoffentlich richtige Richtung. Prof. Dr. Julian Grünewald von der Technischen Universität München sagt, kürzlich gezeigte Strategien mit Viral-like Particles würden ebenso wie die PVC die Anlieferung von Proteinen ermöglichen. Vor diesem Hintergrund stelle die Studie von MIT und Harvard University keineswegs den einzigen Ansatz zur Lösung des "Delivery-Problems" dar.

Eine neue Schlüsseltechnologie für die Krebsbehandlung?

Die Tür ist jetzt aufgestoßen!

Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing

Eine sehr optimistische Stimme kommt von Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing: "Es sieht so aus, dass wir an der Schwelle einer neuen Entwicklung stehen, die eine ähnlich große Bedeutung haben könnte, wie wir dies vor zehn Jahren mit der CRISPR/Cas-Technologie bereits erlebt haben – kein Zufall, dass auch hier dieselbe Gruppe den entscheidenden Aufschlag für diese revolutionäre Technologie gemacht hat. Trotz aller Vorläufigkeit ist das Potenzial von PVCs als neue Schlüsseltechnologie, nicht zuletzt für die Onkologie, keinesfalls zu unterschätzen – die Tür ist jetzt aufgestoßen!"

Dr. Guy Reeves vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön betont, es sei allerdings immer noch unklar, wie lokal die Verabreichung der PVCs sein müsse. "Ohne die Möglichkeit einer intravenösen Infusion bleibt unklar, wie nützlich diese Methode bei in vivo-Therapien am Menschen, etwa bei der Behandlung von Krebs, sein wird." Außerdem sei noch zu klären, was mit den verbrauchten PVCs passiere, nachdem sie ihren Job im Körper erledigt hätten.

Links/Studien

Die aktuelle Studie ist hier online Nachzulesen.

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https://www.mdr.de/wissen/krebsbehandlung-kinder-tablette-statt-bestrahlung100.html

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