Repräsentative Umfrage Unerwartet hohe Zustimmung zu Klimaschutz und Energiewende
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14. Juli 2023, 16:45 Uhr
Die Deutschen befürworten Klimaschutz-Maßnahmen viel stärker, als sie es sich gegenseitig zutrauen. Das ist eine von vielen Erkenntnissen aus dem Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer 2023 mit 6.500 repräsentativ Befragten.
Ob ein Zustimmungswert bei einer wichtigen gesellschaftlichen Frage bei 59 Prozent oder bei 32 Prozent liegt, ist nicht ganz unerheblich. Aber exakt so groß ist zum Beispiel die Wahrnehmungskluft beim Thema Windkraft. Während die Deutschen im Mittel nur 32 Prozent ihrer Mitmenschen zutrauen, dass sie mit dem Ausbau der Windkraft im eigenen Wohnumfeld einverstanden sind, kommt man bei direkter Befragung auf 59 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung.
Solaranlagen, Tempolimit und weniger Heizen: Mehr Zustimmung, als erwartet
Bei anderen Klimaschutzmaßnahmen ist eine ähnliche Kluft zwischen geschätzter und tatsächlicher Befürwortung vorhanden.
- Solaranlagen auf Freiflächen im eigenen Wohnumfeld? 25 Prozentpunkte mehr Zustimmung als geschätzt.
- 120-km/h-Tempolimit auf Autobahnen? 17 Prozentpunkte mehr.
- Bereitschaft zum Energiesparen durch kühlere Raumtemperatur? 25 Prozentpunkte höher als gedacht.
Bei drei der vier Maßnahmen liegt die 50-Prozent-Marke innerhalb dieser Kluft. Mit anderen Worten: Die Bevölkerung glaubt bei den meisten Maßnahmen, dass nur eine Minderheit zustimmt, in Wahrheit ist es aber eine Mehrheit.
Falsche Einschätzung der Meinungen zur Energiewende führt zur Blockade
In der Sozialpsychologie wird das Phänomen beschrieben, dass man gern auf Mehrheitszeichen von anderen Gruppenmitgliedern wartet, wenn man selbst nicht weiß, wie man sich bei schwierigen Fragen entscheiden soll. Wenn die anderen aber auch ratlos sind, spricht man von pluralistischer Ignoranz, die entstehen kann und dann dazu führt, dass am Ende niemand etwas tut.
Genau diese Gefahr sehen auch die Macherinnen und Macher des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers vom Ariadne-Team des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS).
Ortwin Renn, bis Ende 2022 RIFS-Direktor, sagt: "Eine verzerrte Wahrnehmung der tatsächlichen Meinungsverhältnisse zum Ausbau Erneuerbarer Energien kann sich negativ auf die Genehmigung solcher Anlagen auswirken und der Politik einen falschen Eindruck vermitteln, nach dem Motto: Vor Ort will keiner mitmachen, wenn es um die Umsetzung der Energiewende geht."
Dementsprechend wichtig sei die Aufklärung über Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse für den politischen Diskurs und Entscheidungsprozess, sagt der seit einem halben Jahr pensionierte Soziologe und Nachhaltigkeitsforscher.
Weniger Zustimmung zu Energie- und Verkehrswende als vor einem Jahr
Auch wenn die tatsächlichen Zustimmungszahlen über 50 Prozent liegen und höher sind als die geschätzten Werte, sind sie binnen eines Jahres doch gesunken, auch das gehört zur Wahrheit. Waren es 2022 noch 74,1 Prozent, die die Energiewende tendenziell befürworteten, sind es jetzt 68,3 Prozent.
Und bei der Verkehrswende ist der Zustimmungsschwund noch etwas größer, von 62,9 Prozent vor Jahresfrist auf 54,5 Prozent jetzt, wenn man jeweils die Werte für "stimme voll und ganz zu" und "stimme eher zu" addiert.
Politische Umsetzung, Inflation, höherer Energiepreise: Die Unzufriedenheit wächst
Trotz mehrheitlicher Zustimmung zur Energiewende sind die Deutschen mit den bisherigen Entlastungsmaßnahmen zur Abfederung der Inflation und gestiegener Energiepreise unzufrieden. Das sagt Ingo Wolf vom RIFS. "Die Mehrheit empfindet die Verteilung der Entlastungen als insgesamt ungerecht und bemängelt insbesondere, dass Menschen mit niedrigen Einkommen nicht ausreichend entlastet werden." Und RIFS-Kollegin Benita Ebersbach ergänzt, es gehe den Bürgerinnen und Bürgern "nicht nur um finanziellen Ausgleich, sondern um eine gleichberechtigte Teilhabe am Verkehrssystem.“
Gleichzeitig nimmt auch Unzufriedenheit über die Fortschritte in Verkehrs- und Energiewende und die Kritik an deren Umsetzung immer weiter zu. Mangelnde Handlungsbereitschaft und Vorausschau sowie Inkompetenz der Politik werden dabei am häufigsten bemängelt.
Die konkreten Kritikpunkte unterscheiden sich zwischen Energie- und Verkehrswende nur geringfügig. An erster Stelle werden das zu langsame Vorankommen in der klimafreundlichen Umgestaltung des Energie- und Verkehrssystems bemängelt (Beispielantwort Energiewende: "Es passiert nichts, alles braucht so viel Zeit. Gute Ideen werden nicht schnell genug verwirklicht."). Diesem folgen Äußerungen, die die fehlende Handlungsbereitschaft der Politik (Beispielantwort Verkehrswende: "Es wird zu viel geredet, aber zu wenig gemacht!") sowie die mangelnde Vorausschau und Planung bei der Gestaltung kritisieren (Beispielantwort Energiewende: "Die Umsetzung ist unüberlegt und nicht zu Ende gedacht.").
Weiterhin fallen unter diese Kategorie Antworten, die der Politik im Kontext der Energiewende inkompetentes Handeln oder bezüglich der Verkehrswende auch zu wenig regulatorisches Eingreifen vorwerfen.
Andere Probleme zum Teil wichtiger als Klima, Umwelt und Energie
Der Rückgang der Zustimmungswerte zu Energie- und Verkehrswende könnte auch damit zusammenhängen, dass andere Probleme von der Bevölkerung als mindestens genauso wichtig oder sogar wichtiger angesehen werden. Zwar gibt es dazu keine Vergleichswerte aus den Vorjahren, aber im Befragungszeitraum 2023 wurden Inflation und Einwanderung von fast genauso vielen Menschen als wichtigstes oder zweitwichtigstes Thema angesehen wie Klima/Umwelt und Energie/Energiewende. Und noch weitaus dominanter in den Köpfen der Menschen ist laut Befragung alles, was mit Ukraine-Krieg, Außenpolitik und Verteidigung zu tun hat.
Dennoch ist der politische Themenkomplex Klima/Umwelt gemäß dieser Befragung der zweitwichtigste. Und würde man ihn mit Energie / Energiewende zusammenlegen, wäre es sogar der wichtigste. Jean-Henri Huttarsch vom RIFS, Co-Autor der Studie zum Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer, sagt deshalb: "Selbst vor dem Hintergrund von Krieg und Inflation halten die Menschen in Deutschland den Klimawandel für eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme. Verantwortlich für die Lösung dieses Problems sind in den Augen der BürgerInnen alle - die Bevölkerung selbst, aber neben Wirtschaft und Industrie vor allem auch die Politik. Ein klarer Appell, weiter an wirksamen und sozial ausbalancierten Klimaschutzmaßnahmen zu arbeiten."
Das Ariadne genannte Projekt wird von einem Konsortium von mehr als 25 wissenschaftlichen Partnern durchgeführt. Viele weitere Erkenntnisse aus der diesjährigen Befragung finden Sie unter den folgenden Links.
Links/Studien
Soziales Nachhaltigkeitsbarometer 2023: Hier klicken.
PDF-Broschüre mit zusammenfassenden Texten und Daten: Hier klicken.
Interaktive Datenvisualisierung: Hier klicken.
(rr)
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