Umstieg auf Erneuerbare und Wasserstoff Energiewende auch ohne Netzausbau möglich, aber nicht so lukrativ
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17. Juli 2023, 15:18 Uhr
Forschende aus Deutschland und Dänemark haben durchgerechnet, wie viel Einsparung verschiedene Ausbau-Varianten des Energienetzes in Europa bringen. Und fast nebenbei entdeckt: Es geht sogar ohne, wird aber unterm Strich nicht so günstig.
Zu den Totschlag-Argumenten gegen eine schnelle Energiewende zählt bekanntlich: Erst muss die Infrastruktur her, dann die Windräder und Wasserstofftanks. Forschende sehen das in einer aktuellen Studie aber ein bisschen anders.
Das Team hat an der TU Berlin und der dänischen Universität Aarhus verschiedene Simulationen durchlaufen lassen und kommt zu dem Ergebnis: Eine Energiewende kann auch gelingen, wenn das Netz so bleibt wie es ist. Das prognostiziert zumindest ein selbstentwickeltes Planungswerkzeug, das auf den Namen PyPSA hört und ein Modell des europäischen Energiesystems enthält. Ein Software-Tool, das sogar von der EU-Kommission empfohlen werde, heißt es. Pluspunkt: Durch die Anlage als quelloffene Open-Source-Software lassen sich die Berechnungsschritte transparent nachvollziehen. Aber der Reihe nach.
Energiewende: Unterschiedliches Zusammenspiel zwischen Stromerzeugung, Wasserstoffspeichern und Netz möglich
Für eine valide "Was-wäre-wenn" Berechnung braucht es ordentlichen Sack voll Daten: Wetterdaten, die für Solar- und Windenergie relevant sind, die Architektur der Energienetze verschiedener Länder, verfügbare Flächen für Windkraft- und Photovoltaikanlagen. "Dies beinhaltet auch die Regionen, in denen Wasserstoff in unterirdischen Salzkavernen gespeichert werden könnte, sowie die Standorte von Industrieanlagen, wo CO2 aus Industrieprozessen abgeschieden werden kann“, so Fabian Neumann, der die Entwicklung von PyPSA an der TU Berlin begleitet. "So können wir bestimmen, was es braucht, um kosteneffizient bis spätestens Mitte des Jahrhunderts nicht nur den Stromsektor, sondern auch den Gebäudesektor, Mobilität und Industrie auf Netto-Null-CO2-Emissionen zu bringen."
Das Modell schaue im Zuge der Simulation nicht nur, wo neue Anlagen zur Stromerzeugung und Netzinfrastruktur gebaut werden müssen. Sondern auch, wo zum Beispiel Energiespeicher stehen müssen oder Anlagen, die Wasserstoff herstellen. Die Forschenden haben insgesamt vier Szenarien durchgespielt, bei denen jeweils ein kompletter Umstieg auf Erneuerbare ohne Energieimporte außerhalb Europas erfolgt.
1. Szenario: Stromnetz ausbauen, Wasserstoffnetz nicht
Dieses Szenario würde gegenüber dem heutigen Netz helfen, sechs bis acht Prozent der gesamten Kosten für die Energieversorgung in Europa einzusparen. Hierin seien auch schon die Kosten für den Ausbau des Stromnetzes mit eingerechnet, das sich dafür mehr als verdoppeln müsste.
2. Szenario: Wasserstoffnetz ausbauen, Stromnetz nicht
Zwischen 64 und 69 Prozent des künftigen Wasserstoffnetzes könnten aus umgerüsteten Erdgasleitungen bestehen. Würde man nur das Gasnetz in ein Wasserstoffnetz umwandeln und einige zusätzliche neue Wasserstoffleitungen bauen, wären Einsparungen von zwei bis drei Prozent der Gesamtkosten für das Energiesystem in Europa möglich, sagen die Forschenden. Der geringere Effekt erkläre sich dabei vor allem aus der Tatsache, dass für die Herstellung von grünem Wasserstoff der Strom aus Windkraft und Solaranlagen genutzt werde, der sonst direkt ins Stromnetz eingespeist werden könnte, Stichwort Energieverluste.
3. Szenario: Wasserstoff- und Stromnetz ausbauen
Laut den Forschenden wäre ein Ausbau beider Netze die günstigste aller Varianten. Zehn Prozent Einsparungen seien möglich, was etwa siebzig Milliarden Euro pro Jahr in Europa entspreche. Weil die gesellschaftlich tragfähigsten Lösungen für den Infrastrukturausbau aus einer Vielzahl an Alternativen gewählt werden könnten, würde sich der Prozess der Energiewende möglicherweise beschleunigen, so die Forschenden.
Fabian Neumann: "Die Baukosten sowohl für Strom- wie auch für Wasserstoffleitungen, vor allem bei Umbau der Erdgasnetze, fallen bei der Gesamtkostenrechnung nicht groß ins Gewicht, man kann hier also recht flexibel entscheiden."
4. Szenario: Kein Ausbau von Netzen
Den Forschenden zufolge ist auch eine Energiewende ohne Netzausbau möglich. Anlagen wie Wärmepumpen oder Elektrolyseure, mit denen aus Strom und Wasser Wasserstoff gewonnen wird, müssten aber auf Netzschwankungen vorbereitet sein. Es bedürfe hierbei einer weitreichenden Digitalisierung des Energiesystems durch den flächendeckenden Einbau von Smartmetern und der Einführung von regionalen dynamischen Stromtarifen.
Die Simulation ist in zweierlei Hinsicht eine gute Nachricht: Zum einen untermauert sie, dass mit dem zügigen Aufbau von Windkraftanlagen und dergleichen nicht gewartet werden muss, bis die Netze stehen. Zum anderen scheint der europäische Gedanke ein besonders cleverer zu sein, wenn es um die Energieversorgung geht. Also ein länder- und sektorenübergreifender Ausbau der Infrastruktur. Fabian Neumann: "Um Klimaneutralität kosteneffizient erreichen zu können, müssen die Standorte von Energieerzeugung, -transport, -umwandlung und -speicherung verstärkt integriert geplant werden, da sie stark voneinander abhängen."
flo
Links/Studien
Die Studie The potential role of a hydrogen network in Europe erschien am 12. Juli 2023 im Fachblatt Joule.
DOI: 10.1016/j.joule.2023.06.016
Die Ergebnisse können in einem interaktiven Szenario-Explorer untersucht werden.
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