Drei Minuten Zukunft Corona & Co.: Mit vegetarischer Ernährung und "One Health" gegen die Pandemien der Zukunft
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11. Juli 2022, 10:49 Uhr
Wer nach den Schuldigen der Covid-19-Pandemie sucht, landet schnell bei Fledermäusen, einem Fleischmarkt in Wuhan oder Verschwörungstheorien in jeder Geschmacksrichtung. Die eigentlichen Ursachen sind aber viel tiefer in unserer Gesellschaft verwurzelt und unserem Verhältnis zu Tieren. Gut, dass wir das selbst in der Hand haben.
Eines der ersten Dinge, die uns im Zuge der Covid-19-Pandemie schon im Frühling 2020 eingebimst wurden: Nähe, so heimelig sie sein mag, gilt es unverzüglich zu vermeiden. (Das war die Zeit, als Sie Ihren Freundinnen und Freunden auch ohne Isolationsverordnung nur vom Balkon zugewunken haben, Sie erinnern sich sicherlich.) Sagen wir es so: Hätten sich alle Menschen seit Pandemiebeginn stets im Abstand von zwei Metern befinden können, dann hätten wir längst wieder präpandemische Zustände. Coronaviren schnappen sich in ihren Verbreitungsbestrebungen eben die erstbeste Nebenfrau oder den erstbesten Nebenmann, solange nicht genug Abstand dazwischen ist.
Damit es dazu erst kommen konnte, musste das Virus irgendwann mal – also vermutlich Mitte-Ende 2019 – von Tier zu Tier auf den Menschen springen, so unser derzeitiger Wissensstand. Das ist kein Problem, weil der Mensch eben auch nur ein Tier ist und unsere menschliche Kultur dem Virus in diesem Falle herzlich egal war. Im Grunde waren wir zu einem gewissen Zeitpunkt anderen Tieren also näher als gut gewesen wäre. Aber wie nah ist eigentlich zu nah? Diese Frage geht an Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Löffler-Instituts. Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit ist traditionell auf Riems im Greifswalder Bodden verortet und damit wohl die einzige wissenschaftliche Einrichtung in Deutschland, die fast so groß ist wie die Insel, auf der sie gebaut wurde. Und eine der wenigen mit Meerblick. Mettenleiter, selbst Tierfreund und bekennender sowie berittener Pferdefan, sagt, dass zu viel Nähe nicht alles ist: "Ich nenne es mal kuscheln. Es ist ja etwas, was es in unserer Umwelt hauptsächlich mit den Haustieren passiert, aber Erreger können natürlich auch über die Nahrung übertragen werden."
Dass eine Übertragung vom Tier zum Menschen passiert, ist für Mettenleiter kein besonderes Ereignis. "Es ist ganz normale Biologie. Und es gibt keine besondere Barriere zwischen den nicht-menschlichen Tieren und dem Mensch als Teil des Tierreichs." Dass das passiert, seitdem es Menschen gibt, weiß Mettenleiter, weil er sich den ganzen Tag mit dem Thema beschäftigt. Die Gesellschaft tat das bis kurz vor Corona eher weniger. Wobei, nicht ganz: "Die erste wirklich nachvollziehbare Beschreibung einer solchen Infektion, die von Tier auf den Menschen übergeht, also eine Zoonose, die auch wieder zurückspringen könnte, ist die Tollwut." Und die ist richtig alt: Schon in alten ägyptischen Darstellungen seien tollwütige Hunde zu sehen.
Die Bandbreite der Zoonosen ist dabei so vielfältig wie die von menschlichen Viren ausgelösten Krankheiten: Neben Hirnentzündungen, zu denen auch die Tollwut zählt, sind klassische Beispiele auch Leberentzündungen, ausgelöst durch Hepatitis E, das West-Nil-Virus, hämorraghisches Fieber wie bei Ebola, Atemwegserkrankungen wie im Falle von Corona und Hautausschlag – da sind die Affenpocken das wohl aktuellste Beispiel.
Prof. Dr. Thomas Mettenleiter … … ist Molekularbiologe und Virologe und forscht vor allem zu Tierviren. Einer seiner Schwerpunkte sind Herpes-Viren, die u.a. durch ihn besser verstanden sind und denen durch neuartige Impfstoffe besser begegnet werden kann. Er leitet das Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems an der Vorpommerschen Ostseeküste und ist seit 2000 Mitglied der Leopoldina.
Ohnehin ist die Grenzziehung hier so einfach nicht: "Ich möchte darauf hinweisen, dass Sars-CoV-2 zwar ursprünglich höchstwahrscheinlich aus einem tierischen Ressort stammt, aber natürlich eine humane Pandemie darstellt, also hauptsächlich von Mensch zu Mensch weitergegeben worden ist", betont Thomas Mettenleiter. Was die Frage aufwirft, ob es sich überhaupt lohnt, einen Unterschied zwischen Zoonosen und Nicht-Zoonosen zu machen. Frei nach dem Motto: Virus ist Virus und es ist nach Möglichkeit zu meiden.
Prävention: Hygiene, Impfung – und genug Lebensraum für alle
An diesem Grundprinzip ist nichts auszusetzen, wenn es um die akute Unterbindung von Infektionsketten geht, Stichwort Hygiene: "Das haben wir jetzt in den letzten zwei Jahren ja wieder gelernt mit dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz, mit dem Waschen von Händen und Desinfektionen, dass es auch sinnvoll ist, mal Räume durchzulüften und eben auf Sauberkeit zu achten." Thomas Mettenleiter nennt das "nicht-pharmazeutische Intervention". Salopp gesagt also Hausmittelchen. Bei den Nicht-Hausmittelchen wird’s schon komplizierter: Während bakterielle Infektionen gut mit Antibiotika zu behandeln sind, fehlt’s bei Virusinfektionen oft an der passenden Pille.
Also am besten erst gar nicht so weit kommen lassen: "Prävention heißt zum einen natürlich auch Impfung", so Mettenleiter. "Das ist eine der großen Errungenschaften der Medizingeschichte, dass wir Impfungen im großen Umfang einsetzen können und dass sie ihren Wert auch zeigen." Zum anderen natürlich Kontaktvermeidung und Hygiene, zwischen Mensch-Tier und Tier-Tier. Dass wir mehr Zoonosen erleben könnten, hängt aber im Grunde auch mit unseren Reproduktionsbestrebungen zusammen: "Die menschliche Bevölkerungszahl wird bald die Acht-Milliardengrenze erreichen. Und da ist es auch rein zahlenmäßig eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Mensch und Tier in einen kritischen Kontakt kommen, sei das nun direkt oder indirekt."
Also wenn wir den Punkt Prävention vollumfänglich ernst nehmen, dann ist es in der Tat so, dass wir auch unser Verhalten ändern müssen.
Und dann hilft als Prävention nicht nur Impfen und ein bisschen Sauberkeit. Um Epidemien und Pandemien mit tierischem Ursprung zu begegnen, müsse sich das Verhalten der Menschen grundsätzlich ändern. "Da ist es dann nicht mit vorbereitet sein auf die nächste Epidemie oder Pandemie getan. Und genau diesem Ansatz dient ein neues Konzept. Das nennt sich One Health, also die eine Gesundheit, die eben jetzt nicht nur auf die Gesundheit von Mensch und Tier fokussiert, sondern die Gesundheit der Umwelt mit einbezieht – Umwelt und Ökosysteme und letztendlich die Gesundheit des gesamten Planeten." Wenn die Erde gesund ist, bleiben wir es also auch. Thomas Mettenleiter macht das an einem Beispiel fest:
"Annähernd acht Milliarden Menschen wollen ernährt sein, annähernd acht Milliarden Menschen haben auch ein zunehmendes Bedürfnis nach tierischem Protein. Das heißt, dann müssen auch die landwirtschaftlichen Nutztiere ernährt sein." Logisch. Und das braucht entsprechenden Boden: "Dadurch dringt der Mensch in Habitate ein, in die er vorher nicht vorgedrungen ist und kommt somit natürlich dann wieder mit Erregern in Kontakt, die er früher vielleicht nur sehr selten – wenn überhaupt – getroffen hat."
Erreger gelangen ganz flugs um die Erde
Pflanzliche Ernährung statt tierischer Proteine ist also eine unumstößliche Präventionsmaßnahme, wenn es darum geht, die Zahl künftiger Epidemien zu reduzieren. Oder sagen wir mal: Ihre Zunahme zu verhindern. Denn wohlweislich auch die Globalisierung trägt zum Ausbreiten von Krankheitserregern bei: "Wir haben einen globalen Reiseverkehr. Das heißt jeder Erreger, der irgendwo auf diesem Planeten auftaucht, hat zumindest grundsätzlich innerhalb von wenigen Tagen die Möglichkeit, jede andere Ecke dieser Erde dann auch zu erreichen", so Thomas Mettenleiter. Das würde dazu führen, dass sich lokale Ausbrüche schnell über den Erdball verbreiten – eine Epidemie also zur Pandemie wird.
Zwar sorgen unsere pandemischen Scheuklappen derzeit dafür, nur Corona und evtl. die Affenpocken im Blick zu haben. Das ist aber freilich nur ein Bruchteil der Virenwahrheit: "Die Herausforderungen sind zum einen, dass wir erkennen, wie vielfältig die Welt der Erreger eigentlich ist. Wir haben uns in der Vergangenheit sehr wesentlich fokussiert auf den Menschen und auf die Tiere, die direkt mit den Menschen zu tun haben", gesteht Thomas Mettenleiter ein. "Wir haben natürlich im Bereich der Wildtiere ein gigantisches Reservoir und wir wissen auch, dass wir dort ein gigantisches Reservoir an Infektionserregern inklusive Viren haben. Das heißt, eine der Herausforderungen ist dieses Reservoir anzuerkennen, sich zu erschließen." Eine noch viel größere Herausforderung wird dann zweitens sein: Einzuschätzen, wie gefährlich diese Erreger für den Menschen werden können.
Nicht nur auf Coronaviren gucken
Dass derzeit so viel auf Covid-19 und damit Coronaviren geschaut wird, ist auch nicht ganz ungefährlich. Die großen Pandemien des letzten Jahrhunderts wurden von Grippeviren (Influenza) hervorgerufen – ebenfalls Viren, die aus einem tierischen Reservoir stammen und dort gleich eine ganze Reihe von Stationen absolviert haben: Mutmaßlich stammen Influenzaerreger von wildlebenden Vögeln, die dann über Nutzgeflügel und mutmaßlich das Schwein zum Menschen gelangt sind. Das betreffe die Spanische Grippe genauso wie die asiatische oder die Hongkong-Grippe, betont Virologe Thomas Mettenleiter. "Wir dürfen die Erreger der vorangegangenen Pandemien nicht außer Acht lassen. Aber wir müssen auch ein Augenmerk darauf haben, was denn an neuen möglichen Erregern hier aufgetaucht ist. Und da spielen unter anderem sicherlich auch Flaviviren eine Rolle." Die lösen Krankheiten wie Gelbfieber, Dengue-Fieber oder das West-Nil-Fieber aus. Die räumliche Distanz zum Nordosten Afrikas suggeriert falsche Sicherheit: 2018 tauchte das West-Nil-Virus zum ersten Mal in Deutschland auf, und zwar an einer Eule in Halle. Der Erreger kann nicht nur einem Kauz gefährlich werden, sondern auch dem Menschen und unter Umständen Hirnhautentzündungen oder Nierenversagen auslösen.
Letztendlich, und diese Notiz richtet sich an die Lesenden mit Empathie gegenüber all jenen Tieren, die kein Mensch sind, sei darauf hingewiesen, dass Zoonosen keine Einbahnstraße sind. Was für uns Tierseuchen sind, sind für Tiere Menschenseuchen, die kein Vierbeiner und kein Zweiflügler haben möchte. Corona ist nicht der Beginn einer Serie von Pandemien mit Ursprung Tierreich, betont Thomas Mettenleiter: "Die Menschheitsgeschichte ist voll von Epidemien und Pandemien. Es war also nicht der Anfang und es wird ganz sicher auch nicht das Ende sein."
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