Drei Minuten Zukunft Biodiversität: »Natürlich ist man mindestens einmal am Tag verzweifelt.«
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Gespräch mit Katrin Böhning-Gaese
15. Juni 2022, 17:22 Uhr
Nach den Ackergiften ist vor dem Klimawandel: Die Artenvielfalt geht dramatisch zurück – menschgemacht. Die Forscherin Katrin Böhning-Gaese kämpft dagegen an. Im MDR WISSEN-Gespräch erzählt sie, wie ernst die Lage ist, wo sie die Gründe sieht, wann sie verzweifelt ist und was ihr Hoffnung macht.
Frau Böhning-Gaese, hat man als Ornithologin eigentlich einen Lieblingsvogel oder liebt man sie einfach alle?
Ich habe sehr, sehr verschiedene Lieblingsvögel. Ein Lieblingsvogel ist definitiv der Bienenfresser. Das ist so eine ganz bunte, fast tropische Art, die bei uns brütet und in Afrika überwintert. Sie breitet sich jetzt mit dem Klimawandel aus und ist damit auch gewissermaßen Bote für den Klimawandel.
Sie sind 1964 geboren – zwei Jahre vorher erschien Rachel Carsons Jahrhundertwerk "Der stumme Frühling". Darin ging es um Gifte, die wir auf den Äckern versprühen, was letztendlich zum DDT-Verbot und dem Beginn der Umweltbewegung führte. Wie aktuell ist denn dieses Buch noch?
Rachel Carson hat dieses wunderbare Bild des stummen Frühlings geschaffen, also dass die Vögel aufhören zu singen und es still um uns ist. Sechzig Jahre später hat sich an dieser Dramatik nicht viel geändert. Die Vogel-Diversität, da haben wir gute Daten, hat in den letzten Jahrzehnten alle zehn Jahre etwa zehn Prozent abgenommen. Die Ursachen sind aber vielfältiger geworden.
Irgendwie reden wir über Biodiversität immer so, als schauen wir da nur von außen drauf und gehören gar nicht dazu. Sind wir eine Extrawurst?
Wir Menschen sind im Laufe der Evolution aus der Natur entstanden und immer noch auf millionenfache Art und Weise mit der Natur verbunden. Wir beziehen auch unglaublich viele Leistungen aus der Natur. Die Luft, die wir atmen, das Essen, das wir essen. Unsere Medikamente sind immer noch zum größten Teil aus Naturstoffen inspiriert. Wir sind damit als Menschen ganz fundamental von der Biodiversität abhängig.
Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese … ist eine deutsche Biologin und Vogelkundlerin. Sie leitet das Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. Sie forscht u.a. zum Einfluss von globalem Wandel auf Lebensgemeinschaften von Tieren und ist seit 2015 Mitglied der Leopoldina.
Das dürfte aktuell auch immer mehr Menschen klar werden, zudem sind Artensterben und der Funktionsverlust von Ökosystemen im Zuge der Klimakrise so gegenwärtig wie nie. Wie schlimm sieht’s denn aus?
Der Klimawandel beeinflusst, wie wir in Zukunft auf der Erde leben. Ein vollständiger Verlust der Biodiversität würde dazu führen, dass auch die Menschheit aussterben würde. Das heißt: Der Klimawandel bedeutet, wie wir auf der Erde leben und die Biodiversität, ob wir auf der Erde leben. Die großen Faktoren, die zum Rückgang der Biodiversität beitragen, sind der Landnutzungswandel – vor allen Dingen die Ausweitung der Landwirtschaft. Dass wir in den Tropen Wälder abholzen oder bei uns in Deutschland ganz intensive Landwirtschaft betreiben, aber auch die Ausbeutung der Arten. Das ist vor allem in den Meeren relevant, wo wir Fischfang betreiben. Daneben der Klimawandel per se, aber auch die Umweltverschmutzung und die Einwanderung von fremden Arten.
Wie erforscht man sowas eigentlich?
Mein Forschungsansatz ist die Makroökologie. Da nimmt man einen ganz großen Blick auf die Natur, tritt sozusagen zwei Schritte zurück und schaut nach den großen und langen Mustern. Zum Beispiel: Wie haben sich die Bestände der Arten über die letzten Jahrzehnte verändert? Welche Arten sind zurückgegangen? Aber auch wo sind die Hotspots der Artenvielfalt? Wo gibt es die meisten Arten auf der Erde? Und gerade mit der Makroökologie kann man dann modellieren, welche alternativen Zukunftsszenarien möglich sind. Wollen wir eher mehr Klimawandel und dafür weniger Biodiversitätsschutz? Oder wollen wir eher mehr Biodiversitätsschutz und weniger Klimawandel? Und durch diese unterschiedlichen Szenarien setzen wir die Gesellschaft und auch die Politik in die Lage, zwischen diesen unterschiedlichen Zukünften zu entscheiden.
Wir brauchen eine Agrarwende und eine große Transformation. Einen fundamentalen Umbau der ganzen Gesellschaft.
Solche Entscheidungen gab's auch schon in der Vergangenheit, immerhin mit der erfreulichen Feststellung, dass unsere Luft und Gewässer sauberer geworden sind. Sie sagten zudem, dass mittlerweile nicht nur die Ackergifte der Artenvielfalt zu schaffen machen …
Was wir heute angehen müssen, ist der Verlust der Artenvielfalt – eben vor allen Dingen der Vögel und der anderen Organismen in unserer Agrarlandschaft. Wenn wir die Umweltgifte in den Griff kriegen, ist das schon ein gewisser Beitrag – dazu muss sich die ganze Agrarlandschaft ändern. Wir brauchen eine Agrarwende und eine große Transformation, bei der sich die Politik ändert, bei der sich die Wirtschaft ändert. Einen fundamentalen Umbau der ganzen Gesellschaft.
Welchen Beitrag leisten Sie konkret, damit das gelingt?
Zum einen betreibe ich Grundlagenforschung und versuche zu verstehen, wie Biodiversität funktioniert und welche Folgen das für uns Menschen hat, um dann auch Zukunftsszenarien zu entwerfen, die man der Politik und der Gesellschaft an die Hand geben kann. Und auf der anderen Seite bin ich sehr aktiv an der Schnittstelle zur Politik, mache sehr viel Politikberatung, bin bei der Senckenberg-Gesellschaft im Museum und in der Kommunikation aktiv und versuche, die Themen in die Öffentlichkeit zu tragen.
Wir haben die Wahl.
Sind sie denn zuversichtlich?
Natürlich ist man mindestens einmal am Tag verzweifelt. Man sieht, dass es nur so ganz langsam vorankommt. Auf der anderen Seite gibt es auch viele Indizien dafür, dass das Thema Artensterben in die Öffentlichkeit kommt und dass wir langsam die ersten Schritte dagegen unternehmen. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat es zum Beispiel geschafft, zwischen den Umweltschützern auf der einen Seite und den Landwirtschaftsverbänden auf der anderen Seite einen Kompromiss zu finden, ein gemeinsames Positionspapier aufzusetzen. Das heißt, hier ziehen Umweltschutz und Landwirtschaft gerade an einem Strang und versuchen, die Agrarwende zu befördern.
Und wenn nicht – wann ist der Frühling stumm?
Wenn wir unsere Zahlen aus der Agrarlandschaft nehmen und wissen, dass die Vogelvielfalt alle zehn Jahre um zehn Prozent zurückgegangen ist und das extrem extrapolieren [hochrechnen], dann ist der Frühling in siebzig Jahren stumm. Das heißt aber nicht, dass wir keine Wahl haben. Wir haben die Wahl.
Frau Böhning-Gaese, herzlichen Dank.
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