Sars-CoV-2 Schwere Covid-19-Verläufe: Wie das Immunsystem verwirrt wird

26. Oktober 2021, 21:53 Uhr

Forscher der Berliner Charité haben entdeckt, dass Menschen mit einem schweren Covid-19-Verlauf einen bestimmten dämpfenden Botenstoff zu früh ausschütten und das Virus anschließend die typischen Schäden anrichtet.

Hat unser Immunsystem einen Krankheitserreger erfolgreich bekämpft, dann schüttet es den Botenstoff TGFβ (Transforming Growth Factor Beta) aus. Der sorgt in unserem Körper unter anderem dafür, die Immunreaktion wieder herunterzufahren. Patienten, die einen schweren Covid-19-Verlauf haben, schütten TGFβ aber offenbar zu früh aus. Dadurch kann das Virus zunächst nicht richtig bekämpft werden, breitet sich weiter aus und richtet die typischen Schäden an. Diesen Mechanismus haben Forscher der Berliner Charité und des Leibniz-Instituts DRFZ entdeckt und jetzt in einer neuen Studie im Magazin "nature" beschrieben. Der Ablauf sei zugleich offenbar besonderes Merkmal einer Covid-19 und trete nicht bei durch andere Erreger ausgelösten Lungenentzündungen auf, schreibt das Forscherteam um Mario Witkowski.

Botenstoff blockiert natürliche Killerzellen

Das falsche Timing der TGFβ-Produktion hemmt vor allem die sogenannte humorale Immunabwehr, also unser angeborenes Abwehrsystem. Das ist praktisch die erste Verteidigungslinie unseres Körpers, die sofort aktiv wird, wenn wir von einem neuen Krankheitserreger angegriffen werden. Zu dieser angeborenen Abwehr gehören unter anderem sogenannte "Natürliche Killerzellen" (NK-Zellen). Die NK-Zellen sind darauf spezialisiert, mit Viren befallene Körperzellen anhand der veränderten Zellhülle zu erkennen und deren Selbstzerstörung einzuleiten.

Die Forschenden stießen auf das Phänomen, als die das Blut von Patientinnen und Patienten mit unterschiedlich schweren Verläufen analysierten. Dabei zeigte sich, dass eine verfrühte Ausschüttung von TGFβ die NK-Zellen genetisch so einstellte, dass sie abgehalten wurden, von Viren befallene Zellen zu zerstören. Patienten mit leichten Verläufen hatten NK-Zellen, die die Virusproduktion im Rachen rasch unterbrachen und die Virusmenge schnell wieder absenken konnten. Das war bei schwer Erkrankten anders.

"Unsere Daten zeigen, dass NK-Zellen bei Patientinnen und Patienten mit Covid-19 zwar früh aktiviert, aber dann durch TGFβ gleich wieder blockiert werden. Die NK-Zellen können dann schlechter an virusinfizierte Zellen andocken und sie deshalb nicht unschädlich machen", erklärt Mir-Farzin Mashreghi, dessen Arbeitsgruppe am DRFZ Gen-Analysen durchführte.

Infektion irritiert die angeborene Immunabwehr

Besonders überraschend für die Forscher: Bei Patienten, deren schwere Lungenentzündungen von anderen Viren ausgelöst wurden, fanden sie keine Hinweise auf eine Hemmung der NK-Zellen durch TGFβ. Andreas Diefenbach, Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité und Leiter der Studie fasst das Fazit so zusammen:

Vermutlich ist das angeborene Immunsystem bei den meisten COVID-19-Betroffenen in der Lage, das Virus schon kurz nach der Infektion zurückzudrängen.

Professor Andreas Diefenbach

Bei manchen Patientinnen und Patienten reagiere das Immunsystem jedoch so stark auf den Erreger, dass der Körper gegenreguliert und den dämpfenden Botenstoff TGFβ bildet, so Diefenbach weiter. "Das blockiert unter anderem die Funktionsfähigkeit der NK-Zellen. Zu dem Zeitpunkt ist Sars-CoV-2 jedoch noch nicht beseitigt, das hemmende Signal kommt also zu früh. Diese fehlgeleitete Immunreaktion führt schließlich dazu, dass das Virus nicht effizient bekämpft werden kann und die für schwere Verläufe typischen Schäden entstehen. Eine solche starke Aktivierung und gleichzeitige Hemmung von NK-Zellen konnten wir bei anderen Infektionen wie zum Beispiel der Influenza nicht beobachten, das scheint eine Besonderheit von COVID-19 zu sein."

Angeborene Immunabwehr entscheidet

Die Studie ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Corona vor allem die angeborene Immunabwehr verwirrt. Schon zuvor hatten unter anderem schottische Forscher entdeckt, dass Sars-CoV-2 den Botenstoff Interferon hemmt. Der wiederum kann aber Corona blockieren, wenn er durch andere Erkältungsinfektionen aktiviert wird. Das führt zu dem interessanten Effekt, dass ein aktiver (nicht Corona bedingter) Schnupfen eine Ansteckung mit Sars-CoV-2 hemmen kann.

(ens)

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