Covid-19 Experten: Verzögerung der zweiten Impfdosis könnte gefährlich sein
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12. Januar 2021, 09:48 Uhr
Können mehr Menschen schneller geimpft werden, wenn die zweite Dosis später verabreicht wird? England will so trotz Impfstoffknappheit schneller Herdenimmunität erreichen. Deutsche Experten warnen aber davor.
Zwei Impfstoffe gegen Corona sind in der EU bereits zugelassen, weitere werden in den kommenden Monaten folgen. Die Hersteller haben bereits mehrere Millionen Dosen geliefert, die nun nach und nach ausgegeben werden. Risikogruppen wie Senioren und Vorerkrankte sowie Beschäftigte von Kliniken und Pflegeheimen erhalten eine erste Impfdosis und nach mindestens 21, spätestens aber 42 Tagen eine zweite Dosis.
Zweite Dosis später geben, um mehr Menschen die erste zu verabreichen?
Doch die Ungeduld in der Öffentlichkeit wächst, viele Menschen wünschen sich schnellere Fortschritte, damit die Einschränkungen zum Schutz vor einer noch schnelleren Ausbreitung von Covid-19 schneller aufgehoben werden können. In England hat der unabhängige Ausschuss für Impfstoffe daher empfohlen, die zweite Impfdosis zu verzögern, um mehr Menschen schneller eine erste Impfung verabreichen zu können.
Die Zulassungsstudien hatten gezeigt: Schon die erste Impfdosis löst eine Immunreaktion gegen Sars-CoV-2 aus, aber erst die zweite erhöht den Schutz auf ein wirklich stabiles Niveau. Ist es daher zulässig und sinnvoll, die zweite Dosis zu verzögern? Die in Deutschland für solche Fragen verantwortliche Ständige Impfkommission (Stiko) hat am vergangenen Freitag davon abgeraten. In der aktualisierten Empfehlung heißt es, die zweite Dosis solle maximal 42 Tage nach der ersten verabreicht werden, so wie es von den Zulassungsstudien abgedeckt worden sei.
Virus könnte durch Verzögerung resistent gegen Impfung werden
Thomas Mertens, Virologe und Vorsitzender der Stiko, befürchtet, dass gerade bei älteren, besonders von Corona gefährdeten Menschen die Zahl der Antikörper gegen das Virus nach nur einer Impfdosis rasch wieder unter das notwendige Schutzniveau fallen könnte. Das zeigten Erfahrungen mit anderen Impfstoffen. Zudem seien Veränderungen bei den Zeiträumen für die Impfdosen nicht von den bisher gemachten Studien für die Zulassung abgedeckt. "Wir können nur etwas empfehlen, was gesichert sicher und gesichert wirksam ist", sagte Mertens bei einer Pressekonferenz des Science Media Centers.
Tatsächlich birgt eine Veränderung der Impfzeiträume theoretisch sogar immense Risiken. Florian Krammer, Impfforscher an der Icahn School of Medicine in New York, hält es für denkbar, dass eine solche Veränderung die Mutationsrate der Viren erhöht. Zwar entstehe zehn bis 14 Tage nach der ersten Impfung ein Impfschutz. Allerdings sei die Zahl der sogenannten neutralisierenden Antikörper, also der Antikörper die das Sars-Coronavirus-2 tatsächlich zerstören, dann noch gering. Das könne dazu führen, dass es nach der ersten Impfung zu asymptomatischen Infektionen kommen kann, was bei der Zulassungsstudie von Moderna auch nachgewiesen worden sei.
Virologe: Keine Vorteile durch Verlängerung der Zeiträume
Die Gefahr sei also, dass in solchen Menschen die Viren überleben, die den wenigen neutralisierenden Antikörpern ausweichen können. Solche Mutationen wiederum könnten dann wahrscheinlich auch den anderen Impfstoffen ausweichen, die derzeit noch entwickelt werden. Denn die meisten Vakzine richten sich gegen das Spike-Protein von Corona. Ist das Virus hier nicht mehr angreifbar, werden eine Menge Impfstoffe unwirksam. Wie hoch dieses Risiko tatsächlich ist und ob es wirklich das Risiko von Mutationen überwiegt, die im allgemeinen Pandemieverlauf entstehen können, sei derzeit nicht abschätzbar, sagt Krammer.
Dennoch spreche nichts für eine Verlängerung der Zeiträume zwischen den beiden Impfungen, glaubt auch Hartmut Hengel, leitender Virologe am Uniklinikum Freiburg. In der Diskussion sei eine Erhöhung von 42 auf 60 Tage gewesen. Das bringe bezüglich der Impfstoffmenge aber kaum Vorteile gegenüber den bisherigen Zeiträumen. "Die Daten der Zulassungsstudie zu verlassen, ist gegen die guten Regeln. Ob man das wirklich in der Pandemie tun sollte, kann man sehr kritisch sehen."
Sollten Menschen geimpft werden, die Corona bereits hatten?
Eine wichtigere Frage ist dagegen, ob Menschen, die bereits eine Corona-Infektion durchgemacht haben, trotzdem auch geimpft werden sollen. Die aktuelle Impfempfehlung der Stiko gibt dieser Gruppe von Patienten nur eine nachgeordnete Priorität. Dennoch könne eine Booster-Impfung für diese Menschen aber sinnvoll sein, glaubt der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens: "Wir wollen nicht nur irgendwelche Antikörper erreichen, sondern neutralisierende." Solche könnte die Impfung mitunter besser fördern als eine Infektion. "Da brauchen wir aber mehr Daten", sagt Mertens.
Diese Daten wollen die Forscher um Florian Krammer bald liefern. Sie beobachten vor allem die Klinikmitarbeiter in New York, von denen viele bereits Corona hatten und die nun eine Impfung erhalten.
Gibt es Ansteckungen trotz Impfungen?
Einige Medien berichten derzeit über Corona-Infektionen bei Senioren kurz nach einer Impfung. "Ich kenne diese Berichte nicht, aus Sicht der Immunologie ist das aber durchaus möglich", sagt der Freiburger Forscher Hartmut Hengel. "Sieben Tage nach der Impfung gibt es noch keinen ausreichenden Schutz gegen das Virus."
Auf andere Berichte, wonach einzelne Impfzentren Impfdosen weggeworfen haben, weil nicht genügend Menschen zur Impfung kamen, reagieren die Experten mit einer Empfehlung. Impfen sei immer besser als Wegwerfen, daher sei es völlig in Ordnung, wenn in solchen Fällen auch Menschen zum Zuge kommen, die nicht oberste Priorität bei der Impfempfehlung haben. "Es muss aber sauber dokumentiert werden, es darf keine Schwarzimpfung geben", sagt Mertens. "Bei uns wird das bereits praktiziert. Hier gehen restliche Dosen an die Klinikmitarbeiter, hier wird nichts weggeworfen", sagt Hengel.
Können Geimpfte das Virus weitergeben?
Immer noch offen ist die Frage, ob geimpfte Menschen das Virus trotzdem bekommen und vielleicht, ohne selbst Symptome zu entwickeln, weitergeben können. Florian Krammer empfiehlt daher, die bei den Zulassungsstudien von Moderna und Biontech genommenen Blutproben nochmal zu analysieren. Sie könnten darauf untersucht werden, ob sie auch Antikörper gegen die Nukleoproteine der Coronaviren enthalten. Solche Antikörper würden nur bei Kontakt mit dem echten Virus gebildet, seien daher ein Hinweis auf asymptomatische Infektionen von Geimpften.
"Viele Impfstoffe, die wir bereits haben, verhindern nicht zu 100 Prozent eine Infektion", sagt der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens. Das sei schon bei Masern- und Mumps-Vakzinen so. Die wichtige Frage sei daher: Wie viel Virus werde von solchen Geimpften ausgeschieden? Diese Viruslast sei entscheidend für die Epidemiologie und müsse durch weitere Studien erfasst werden.
(ens/smc)
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