Nachdenkliche Ärztin in Corona-Schutzkleidung
Nachdenkliche Ärztin in Schutzkleidung: Das Thema Corona verschwindet seit Monaten nicht aus den Köpfen. Bildrechte: imago images/Westend61

Medienpsychologie Corona in den Köpfen

22. November 2020, 05:00 Uhr

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vergeht kein Tag, an dem das Thema keine Rolle spielt. Die Pandemie bestimmt unser Leben und damit auch unser Denken. Was macht Corona in unseren Köpfen und wie können wir trotz Corona "gesund" denken? Eine Analyse aus dem Blickwinkel der Medienpsychologie.

Hätte sich irgendwer vor einem Jahr vorstellen können, dass wir nicht wissen, ob wir Weihnachten wie gewohnt mit der Familie feiern können? Seit dem Frühjahr, seit die Pandemie auch bei uns ist, sind wir im Krisenmodus. Felsenfest stehende Dinge sind plötzlich fraglich oder gelten nicht mehr.

Tiefgreifende Verunsicherung

Corona führt zu einer tiefgreifenden Verunsicherung, sagt Medienpsychologin Maren Urner: "Weil einfach so große Veränderungen unseren Alltag bestimmt haben, was zum Beispiel Schulen und Universitäten anbelangt, die Homeoffice-Situation, Reiseeinschränkungen, wir können uns alle noch an geschlossene Grenzen erinnern, und so weiter und so fort. Das hat natürlich dafür gesorgt, dass wir einfach viel mehr Unsicherheit verspüren, wenn es um die großen und kleinen Fragen des Lebens geht - und auch Selbstverständlichkeiten."

Unsicherheit ist nichts Schlechtes

Maren Urner, 2019
Medienpsychologin Urner: "Corona führt zu tiefgreifender Verunsicherung." Bildrechte: imago images / Future Image

Maren Urner beobachtet die Corona-Krise als Psychologin und Kommunikationsforscherin. Ihr geht es darum, wie das Gehirn mit der Pandemie umgeht und wie Corona den Umgang der Menschen und die öffentliche Kommunikation verändert. Unsicherheit an sich ist nichts Schlechtes, sagt sie, im Gegenteil. Sie ist näher an der Realität, erklärt die Psychologin: "Diese Sicherheit ist nie da. Auch vorher war vieles ganz unsicher. Wir haben uns aber Strukturen geschaffen, die dafür sorgen sollten, dass wir uns sicher fühlen. Ganz konkret: Versicherungen zum Beispiel oder eben Abläufe, die jeden Tag oder im Wochen-, Monatsrhythmus ablaufen."

Diese Sicherheit ist nie da. Auch vorher war vieles ganz unsicher.

Dr. Maren Urner, Professorin für Medien- und Wirtschaftspsychologie

Problem für unser Gehirn

Das bringt die trügerische Gewissheit, dass die Dinge, weil sie immer so waren, auch so bleiben. Corona zeigt, dass plötzlich alles anders sein kann. Für unser Gehirn ist das ein Problem. Unser Gehirn? Das ist nichts anderes als eine Vorhersagemaschine. Das heißt: Dieses Gefühl der Sicherheit ist ganz wichtig, um agieren zu können. Weil sonst sehr viel unserer Gehirnkapazität, sehr eingeschränkt ist. Weil wir die ganze Zeit darüber nachdenken: Was passiert als nächstes? Das Gehirn stellt eine Erwartung auf und trifft auf dieser Grundlage Entscheidungen. Wenn stattdessen etwas anderes passiert, gerät das System in Unordnung. Die geplante Entscheidung funktioniert nicht. Das Gehirn braucht schnell eine neue, muss dafür aber erst die veränderte Situation verstehen. Man erlebt solche Momente als Stress, Angst und Hektik.

Stressmodus wird eingeschaltet

Auch das Gehirn selbst schaltet auf Stressmodus, erklärt Neurowissenschaftlerin Urner: "Und dann, was wir aus Studien wissen, werden bestimmte Hirnregionen blockiert. Zum Beispiel haben wir dann einen schlechteren Zugang zu unseren bisherigen Erfahrungen, also alles das, was wir als Gedächtnis zusammenfassen würden. Und wir haben auch einen schlechteren Zugang zu den Regionen, die für die sogenannten höheren kognitiven Fähigkeiten verantwortlich sind, zum Beispiel Probleme zu lösen und gute langfristige Entscheidungen zu treffen." Genauso wie man mit zittrigen Fingern und weichen Knien keine Höchstleistungen bringt, geht es dem Gehirn bei Stress. Es wird dümmer statt schlauer.

Da ist sich die Forschung tatsächlich sehr einig. Niemand hat bisher Ergebnisse finden können, dass wir unter Angst und Stress gute Entscheidungen treffen.

Prof. Maren Urner

Kühlen Kopf bewahren

Kühlen Kopf bewahren ist die alte Lebensweisheit. Aber wie schafft man das? Psychologin Urner empfiehlt, aus der Not eine Tugend zu machen. Es muss ja nicht nur schlecht sein, wenn Gewissheiten nicht mehr gelten, weil eine Pandemie alle Erfahrungen über den Haufen wirft: "Das anzuerkennen, eröffnet dann Spielraum für neue Strukturen, zum Beispiel einer Pandemie zu begegnen, der Klimakrise zu begegnen und uns auch öfter zu fragen, was ist eigentlich wirklich wichtig und worum geht's gerade wirklich?"

Corona zwingt zum Innehalten

Das ist für Maren Urner die positive Wirkung der Corona-Krise. Sie zwingt zum Innehalten, zum sich Besinnen auf die wirklichen Werte. Wenn wegen Corona viele Sicherheiten wegbrechen, zeigt sich im Gegenzug, welche Sicherheiten im Leben wirklich Halt geben: "Sicherheiten auf jeden Fall im Sozialen. Also das, was wir auch eben mittlerweile sehr gut wissen, auch wenn das viele manchmal nicht wahrhaben möchten. Das, was uns Menschen ausmacht, sind die sozialen Strukturen und die Kulturen, in denen wir uns bewegen." Zum Beispiel Weihnachten mit der Familie, das wir in diesem Jahr - wenn es stattfindet - ganz anders wertschätzen können.

Suche nach richtigem Weg

Kommunikationsforscherin Urner sieht einen weiteren wichtigen Punkt, wo die Pandemie wertvolle Erfahrungen geben kann: das gemeinsame Suchen nach dem richtigen Weg in Zeiten von Unsicherheit. Die Wissenschaft ist für sie hier vorbildlich, indem sie seit Beginn der Pandemie ihre Suche öffentlich macht: "Dieser Diskurs der wissenschaftlichen Entwicklung live in den Medien. Also dass eben sehr früh sehr klar war: Wir fahren jetzt alle in einem Kurs, den wir noch nicht kennen. Das zu kommunizieren und Wissenschaft als einen Prozess darzustellen und dass diese Unsicherheit Teil dieses Prozesses ist."

Lösungsorientiertes Denken empfohlen

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Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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Diese Unsicherheit wirft zwar eine Menge Fragen auf. Aber die Entwicklung zeigt auch, dass es auf viele dieser Fragen früher oder später Antworten gibt. Indem das Virus immer besser entschlüsselt wird und indem vielleicht bald ein Impfstoff kommt. Dieses lösungsorientierte Denken empfiehlt Psychologin Urner auch für den privaten Umgang mit der Pandemie: "Dass nicht jeder versucht, 35 Push-Nachrichten gleichzeitig zu lesen, einen Podcast zu hören und den Fernseher laufen zu haben, damit man alles, was jetzt gerade live passiert, mitbekommt. Sondern wirklich sich zu überlegen, was brauche ich eigentlich, um die aktuelle Situation, so gut es geht, nachvollziehen zu können." Besser als die x-te Sondersendung ist für Maren Urner das berühmte Abschalten - oder, wie sie sagt, Umschalten

Wo wir zum Beispiel ohne digitale Geräte rausgehen, vor die Tür gehen und unserem Gehirn Raum und Luft geben, das, was vorher passiert ist, zu verarbeiten.

Maren Urner

Blick weg vom Negativen

Die Krise bleibt so lang lähmend, wie man sich ihr hilflos ausgeliefert fühlt. Damit man aus diesem mentalen Tief rauskommt, rät Psychologin Urner, aktiv zu werden und den Blick weg vom nur Negativen auf entstehende Möglichkeiten und Chancen zu richten: "Das heißt Strukturen und Umgebungen zu suchen, die uns Hoffnung geben, die uns Hoffnung schöpfen lassen und die uns handlungsfähiger werden lassen, das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt."

Die Pandemie lässt vieles in der Welt und im gewohnten Alltag ganz neu erfahren. Wenn daraus auch die Erfahrung kommt, dass wir mit einer solchen Herausforderung umgehen können, wäre das zumindest ein Punkt, wo wir gestärkt aus der Coronakrise kommen.

Beschäftigte mit Mundnasenschutz beim Schichtwechsel im Farmer John Schlachthof in Vernon,, Kalifornien
Beschäftigte eines fleischverarbeitenden Betriebs in den USA: Laut einer Analyse steht die Fleischindustrie in Zusammenhang mit 6 bis 8 Prozent aller Covid-19-Erkrankungen in den Staaten. Bildrechte: imago images / UPI Photo
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