Geplanter Raketenstart von einem Schiff in der Nordsee
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Raumfahrt Made in Germany Deutscher Weltraumbahnhof: Nur Schaum in der Nordsee?

05. August 2024, 09:42 Uhr

Die Einweihung eines deutschen Weltraumbahnhofs wird nicht vor dem Jahr 2025 erfolgen. Die jetzigen Hindernisse sind schon lange bekannt. Hat sich die Betreibergesellschaft Gosa verkalkuliert? Oder sollte die Schuld bei der Bundesregierung gesucht werden?

Am 20. Juli ist Weltraumforschungstag. Er erinnert an die Landung auf dem Mond, an Neil Armstrong und Buzz Aldrin, die am 20. Juli 1969 mit der Mission Apollo 11 die Mondoberfläche erreichten. Und an die Raumsonde Viking 1, die 1976 am gleichen Tag erfolgreich auf dem Mars landete. Weltraumforschung – für den Verband Deutscher Ingenieure (VDI) ist das die Grundlage, um Deutschland im "New Space" fit zu machen. Kleinsatelliten stehen im Fokus, sagt VDI-Mitglied Simon Jäckel aus Anlass des diesjährigen Weltraumforschungstages. Es gehe schließlich um den Schutz "kritischer Infrastruktur und das Aufbauen industrieller Produktionskapazitäten in diesem strategisch wichtigen Bereich".

Da würden vermutlich auch Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) zustimmen. "Die Fähigkeit, jederzeit auch im All handeln und Satelliten in Umlaufbahnen bringen zu können, ist kommerziell, aber auch verteidigungspolitisch unerlässlich", sagte Scholz Anfang Juni auf der Internationalen Luftfahrtausstellung (ILA) in Berlin. Und Pistorius ergänzte in dieser Woche bei seinem Besuch des Weltraumkommandos: "Es gibt kaum einen Bereich in unserem Alltag, der nicht von Weltrauminfrastruktur abhängt." Die Sache hat nur einen Haken: Deutschland kommt nicht allein ins All. Dabei war das anders gedacht.

Wieder ein Start verschoben

In diesem Sommer hatte die Gosa (German Offshore Space Alliance) die Einweihung ihrer mobilen Startplattform für Raketenstarts – den ersten deutschen kommerziellen Weltraumbahnhof – auf der Nordsee geplant. Der Start musste erneut verschoben werden und vor dem Jahr 2025 wird keine Rakete von deutschem Hoheitsgebiet abheben.

Vor allem behördliche Hindernisse werden von den Betreibern der Startplattform als Grund für die Verschiebung angegeben. Dabei sind es altbekannte Themen, die der Kommerzialisierung der deutschen Raumfahrt im Wege stehen: ein fehlendes nationales Weltraumgesetz und Umweltbedenken.

Kritik an der Gosa gerechtfertigt?

Hindernisse, die auch der Gosa bekannt waren. Kann man der Weltraum-Allianz also einen viel zu optimistischen Zeitplan vorwerfen? Die Bürokratiemühlen in Deutschland laufen nun mal langsam, das ist kein Staatsgeheimnis.

Im September 2023 wollte der Haushaltsbeschluss der deutschen Bundesregierung das Vorhaben eines mobilen Startplatzes für Trägerraketen mit zwei Millionen Euro fördern – und das bis zum Jahr 2025, heißt es bei Heise Online.

Die Gosa hat dafür innerhalb von fast fünf Jahren nicht nur ein Konzept für einen deutschen Weltraumbahnhof aufgestellt, sondern auch eine (voraussichtlich) funktionstüchtige Startplattform fertiggestellt. Dabei handelt es sich um das umgebaute Schwergutschiff Combi Dock I, heißt es in der im Juni 2024 vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) herausgegebenen Studie zu Potenzialen und Risiken eines unabhängigen Zugangs zum Weltraum.

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Fr 28.06.2024 13:35Uhr 01:26 min

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Das Schiff ermöglicht laut der Studie "die Beladung über eine im Heck eingebaute Rampe, über die Frachten mit einem Gewicht von bis zu mehreren tausend Tonnen an Bord gerollt werden können" und ist damit keineswegs zu klein dimensioniert. Mehrere tausend Tonnen erreichen derzeit nur das Starship von SpaceX (rund 5.000 Tonnen) oder die SLS-Rakete für die Artemis-Mission der Nasa (2.500 Tonnen). Die gerade gestartete Ariane 6 wiegt ähnlich wie die Falcon 9 über 500 Tonnen.

Die Raketen für vertikale Starts werden in einer Launch Box untergebracht, "einem mobilen System, das die Trägerrakete einschließlich ihrer Nutzlast in einer horizontalen Position sowie die Startsysteme umfasst".

Von Bremerhaven aus soll das Schiff zum sogenannten Entenschnabel in der Nordsee aufbrechen, einem nach Nordwesten reichenden Festlandsockelsektor, der die deutsche Wirtschaftszone ausmacht. Während des Transports soll die Launch Box gesichert sein. "Erst bei Erreichen des Zielorts wird die Trägerrakete betankt, die Launch Box geöffnet und die Startrampe in eine vertikale Position gebracht."

Demonstrationsflug nur Suborbital

Erst dann soll die Rakete, bei der es sich um eine Kleinrakete (Microlauncher) handelt, gen Weltraum aufbrechen. Auch wenn beim Erststart nur ein suborbitaler Flug angestrebt wird. Der 3,60 Meter lange und rot-weiß gestrichene Flugkörper wurde von Studierenden der RWTH, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, gebaut.

Jetzt lagert der suborbitale Microlauncher Aquila Maris (Adler des Meeres) in einer alten Industriehalle in Aachen. Wegen der kalten Jahreszeit sei das Meer zu rau, weswegen ein Start für die 22 Studierenden nur im Sommer möglich sei - der aber nun abgesagt wurde. Das Team weiß zurzeit nicht, ob bei einem möglichen Start im Jahr 2025 überhaupt dabei sein kann.

Bürokratie als Stolperstein der Raumfahrt

Derzeit ist die rechtliche Lage eines Starts von Deutschland aus ungeklärt. Ein deutsches Weltraumgesetz würde die Haftungsfragen und Rechtssicherheiten zwischen Unternehmen und Staat klären. Dieses wurde bereits im Koalitionsvertrag der vorherigen schwarz-roten Regierung vereinbart, bis heute aber nicht umgesetzt.

Einen Grund dafür nannte der Deutsche Bundestag am 27. Mai 2024: "Die Eckpunkte für ein nationales Weltraumgesetz" befinden sich "noch in den Ressortabstimmungen". Deswegen könne derzeit keine Auskunft über ein "Gesetzgebungsverfahren für ein Weltraumgesetz" erfolgen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) strebt einen neuen Anlauf für ein nationales Weltraumgesetz an, heißt am 3. Mai 2024 seitens des Staatssekretärs Udo Philipp. "Zunächst soll jedoch die im Koalitionsvertrag vorgesehene Verabschiedung einer neuen Raumfahrtstrategie erfolgen. Das Weltraumgesetz wird als Vorhaben angeschlossen." Einen konkreten Zeitplan gibt es damit nicht.

Eventuell könnte das europäische Weltraumgesetz, das die EU-Kommission in diesen Sommer vorstellen will, die Erstellung eines nationalen Weltraumgesetzes vorantreiben – oder zumindest wird eine europäische Rechtsgrundlage geschaffen, auf die sich die Startanbieter beziehen können.

Der Schwerpunkt des europäischen Weltraumgesetzes wird auf Cybersicherheit liegen. Inwieweit Haftungsfragen für Raketenstarts aus Europa geregelt sein werden, ist derzeit unklar. Und auch die Veröffentlichung dieses Gesetzes wurde bereits mehrfach verschoben.

Die Bundesregierung scheint sich dessen bewusst zu sein. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach auf seiner Rede zur ILA in Berlin, dass das Gesetz kommt: "Die Wirtschaft und die Forschung fordern das schon lange. Nun kommt es, und das Ziel ist klar: mehr Rechtssicherheit und mehr Wachstumsmöglichkeiten für New Space und die gesamte Raumfahrtwirtschaft." Wann ist "nun"? Den konkreten Termin hatte er nicht im Redemanuskript.

Sind langsame Behörden das Problem?

Hinzu kommen die Umweltfragen. "Zu berücksichtigen sind etwa potenzielle Schäden an Ökosystemen, Luft- und Wasserverschmutzung sowie der Energieverbrauch während des Betriebs der Plattform", heißt es in der bereits erwähnten Studie.

Ein wichtiger Aspekt, der auch in anderen Ländern zur Vergabe oder Verweigerung von Startlizenzen führt. Nach dem Fehlstart einer Falcon-9-Rakete von SpaceX am 11. Juli 2024 hat die US-Luftfahrtbehörde FAA (Federal Aviation Administration) dem Unternehmen vorerst seine Startlizenz entzogen. Bisher wurden die Bedenken, bei denen es neben der Umwelt auch um die Sicherheit der Menschen geht, nicht geklärt, so die Behörde.

Vom deutschen Weltraumbahnhof überzeugt

Jörn Spurmann, einer der Geschäftsführer von RFA
Jörn Spurmann, einer der Geschäftsführer von RFA Bildrechte: RFA

Auch die deutschen Raketenbauer auf dem Microlauncher-Markt kennen diese Probleme. Eine kommerzielle Startplattform in Deutschland zu betreiben, sei schwierig, meint Jörn Spurmann, der CCO (Chief Customer Officer, der Hauptverantwortliche für den Kontakt mit den Kunden des Unternehmens) von der Rocket Factory Augsburg (RFA) gegenüber MDR WISSEN im Interview.

"Von daher muss der Staat in Deutschland sagen: Ja, wir wollen das! Damit dann auch sämtliche Umweltauflagen, Wasserwirtschaft und so weiter, einem keine Steine in den Weg legen."

Die RFA und Gosa haben bereits ihr gegenseitiges Interesse für eine zukünftige Zusammenarbeit bekundet. Für ihren Erststart hat sich der Raketenbauer jedoch einen anderen Weltraumbahnhof ausgesucht: den SaxaVord Spaceport auf den schottischen Shetlandinseln.

Künstlerische Darstellung der RFA One
Künstlerische Darstellung der RFA One Bildrechte: RFA

Dennoch hofft Spurmann, dass die Bundesregierung an der Startplattform in der Nordsee festhält: "Die Fähigkeit vom Wasser zu starten, ermöglicht auch, dass man später auf dem Wasser wieder landen kann."

Der Traum vom deutschen Weltraumbahnhof ist bisher nicht ausgeträumt. Ob sich dieser jedoch erfüllen lässt oder ob er wie Seifenblasen in einer schaumigen Nordsee zerplatzen wird, bleibt vorerst abzuwarten.

Links/Studien

TAB-Studie vom Juni 2024 als PDF: Ein Weltraumbahnhof in Deutschland – Potenziale und Risiken eines unabhängigen Zugangs zum Weltraum

Beitrag auf Heise-Online vom 15. Juli 2024: Studie: Noch viele Fragen offen beim geplanten deutschen Weltraumbahnhof

Pressemitteilung vom Deutschen Bundestag vom 27. Mai 2024: Nationales Weltraumgesetz in der Ressortabstimmung

BMWK-Antwort vom 3. Mai 2024: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage – Nr. 20/6439

Pressemitteilung der RFA vom 11. Januar 2023: Rocket Factory Augsburg's first launch to take place from SaxaVord Spaceport (Erster Start der Raketenfabrik Augsburg vom SaxaVord Spaceport).

Dieses Thema im Programm: 3sat | nano | 08. Juli 2024 | 18:30 Uhr

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