Rechtsextremismus Pluralismus oder Einheitspartei: Zur Studie über politische Einstellungen in Ostdeutschland
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29. Juni 2023, 16:01 Uhr
Viele Menschen in Ostdeutschland vertreten laut einer neuen Leipziger Studie rechtsextreme Meinungen. Doch was zeichnet die aus? Und inwiefern sind diese Positionen ein Problem für die Demokratie? Eine Analyse.
Fast jeder zweite Befragte in Ostdeutschland glaubt, Ausländer kämen nur deshalb nach Deutschland, um den Sozialstaat auszunutzen. Mehr als jeder Dritte meint, die Bundesrepublik wäre bereits "gefährlich überfremdet". Ebenfalls mehr als jeder Dritte fordert "endlich mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl". Und jeder Vierte findet, Deutschland solle seine Interessen im Ausland hart und energisch durchsetzen.
Das alles sind Ergebnisse einer aktuellen Studie des Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Instituts, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Autoren um Elmar Brähler und Oliver Decker von der Universität Leipzig argumentieren: Die Abwertung des Auslands und der Ausländer sowie das Aufwerten der eigenen Nation sind zentrale Elemente rechtsextremen Denkens, das in Ostdeutschland teilweise starken Rückhalt in der Mitte der Gesellschaft hat. Setzt man die Frage, ob es grundsätzlich politisch gleiche Rechte für alle Menschen geben sollte oder nicht als ein zentrales Unterscheidungskriterium zwischen "rechtem" und "linkem" Denken, dann ist die von Decker und Brähler gewählte Definition von rechtsextrem zutreffend.
Ist Freiheit gegen Autorität der Kern des Konflikts?
Die Demokratie im Osten sei auf den Hund gekommen, ein Teil der Menschen sei bereit, die Freiheit gegen das Autoritäre einzutauschen, schreiben jetzt Kommentatoren aus dem tiefen Westen.
Die Studie selbst allerdings stellt fest, dass die Verbreitung dieser Ansichten im Osten nicht neu ist. Je nach ostdeutscher Region seien sie in unterschiedlichen Abstufungen schon seit Jahrzehnten stabil vorhanden. Das Neue sei lediglich, dass mit der AfD erstmals eine Partei mit diesen Positionen einen Großteil der Wähler in diesen Gegenden erreichen könne, so die Autoren.
Wie rechtsextrem ist nun der Osten, wie ausgewogen die Studie und wie gefährdet Demokratie? Dazu lohnt sich ein genauer Blick.
Studie: Einseitiger Fokus aber methodisch gut gemacht
Brähler und Decker führen mit ihren Teams bereits seit 2002 Studien zur Verbreitung rechtsextremer Meinungen in der deutschen Bevölkerung durch. Diese zunächst als Mitte-Studien bekannten Arbeiten firmieren seit 2018 als "Leipziger Autoritarismus Studien". Kritisiert wurden sie vor allem dafür, dass ihr Fokus nur auf rechtsextremen Einstellungen liegt, Linksextremismus oder Islamismus dagegen nicht betrachtet wurden. Das trifft auch für die neueste Arbeit zu, die nun einen besonderen Fokus auf die politischen Einstellungen in Ostdeutschland gelegt hat.
Grund dafür ist, dass sich Einstellungen zwischen Ost und West im Lauf der Jahre stark auseinanderentwickelt hätten und es vor allem im Osten starke Schwankungen gebe, so die Autoren. Die Stichprobe im Osten sei aber bislang zu klein gewesen, um tatsächlich repräsentative Aussagen für die Bevölkerung einzelner Regionen treffen zu können. "Dadurch besteht eine Forschungslücke, die Unterschiede in der politischen Kultur innerhalb und zwischen den ostdeutschen Bundesländern konnten bisher bei Einstellungsuntersuchungen nicht ausreichend gewürdigt werden", heißt es in einer begleitenden Mitteilung.
Diese Lücke soll die neue Arbeit nun schließen und hat dafür durchaus gute Methoden gewählt. Insgesamt 3.546 Personen haben die Wissenschaftler befragt. Dafür sind sie zwischen Mai und September vergangenen Jahre in allen fünf ostdeutschen Ländern und in Ostberlin von Haus zu Haus gegangen, haben Fragebögen mitgebracht und die Befragten diese in Ruhe ausfüllen und ihre Antworten in Briefumschläge stecken lassen. Auf diese Weise wollten die Forscher sicherstellen, dass jeder so Auskunft gibt, wie er wirklich denkt und dass keine falsche Rücksicht genommen wird darauf, was die Interviewer denken könnten.
Die AfD kann das seit Jahrzehnten vorhandene Potenzial rechter Meinungen ausschöpfen
Da dieses Mal aber keine Vergleichspersonen aus dem Westen befragt wurden, lässt die Studie nur den Vergleich mit älteren Daten zu. Das ist für die zentralen Aussagen aber weniger wichtig. Denn die Arbeit interessiert sich vor allem für die Entwicklung über die Zeit und hier gibt es durchaus spannende Erkenntnisse. Zum Beispiel: Ausländerfeindliche Positionen werden demnach seit den frühen 2000er-Jahren relativ konstant von 30 Prozent der Befragten geteilt, Nationalismus und eine harte Hand gegenüber dem Ausland von etwa 20 Prozent. Die Schwankungen sind gering.
Früher allerdings konnten Parteien wie die NPD oder die DVU diese Einstellungen nicht in Wahlerfolge verwandeln. Das ist bei der AfD nun anders. Die Forschenden aus Leipzig haben auch danach gefragt, wen man wählen würde, wäre am Sonntag Wahl. Wenig überraschend hätten 57,8 Prozent derjenigen AfD gewählt, die Ausländer abwerten und eine harte Hand gegenüber dem Ausland verlangen.
Daraus ziehen die Forschenden das Fazit:
Der relative Erfolg der AfD beruht auch auf der Unterstützung durch ein kohärent rechtsextrem eingestelltes Milieu und auf dem Zuspruch von Wählerinnen und Wählern, die Bestandteile des rechtsextremen Weltbildes vertreten. Hier liegt kein diffuser Protest vor, sondern ein bewusster Wahlakt auf der Grundlage korrespondierender Einstellungen.
Nationalsozialismus und Diktatur werden nur von Minderheiten gewollt
Heißt das nun, dass die Ostdeutschen die Demokratie ablehnen und eine Diktatur einführen wollen? Ganz explizit danach gefragt, sind aber nur 8,6 Prozent der Befragten der Ansicht, im nationalen Interesse sei eine Diktatur die bessere Staatsform. 14 Prozent finden, ein Führer solle Deutschland mit starker Hand regieren. In beiden Fällen sind das nicht wenige Menschen, aber doch deutlich weniger, als Menschen, die gegen Ausland und Ausländer eingestellt sind.
Ebenfalls klar vorhanden, aber trotzdem Minderheitenmeinungen, sind Verharmlosungen der Zeit des Nationalsozialismus. Sieben Prozent stimmen der Aussage zu, "ohne Judenvernichtung würde man Hitler als großen Staatsmann ansehen", nur jeweils sechs Prozent finden, die Verbrechen des Nationalsozialismus seien in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden und der Nationalsozialismus habe auch seine guten Seiten gehabt. Jeweils rund 15 Prozent der weiteren Befragten können diesen Aussagen wenigstens "teils, teils" zustimmen.
Eine Partei, die die "Volksgemeinschaft insgesamt" vertritt
Explizit nach dem Wert der Demokratie gefragt, halten fast 90 Prozent der Befragten die Idee der Demokratie für gut. Nur die Realität, wie Demokratie in der Bundesrepublik funktioniere, fällt da ab. Nur zwischen 34 Prozent (in Sachsen-Anhalt) und 46 Prozent (in Sachsen) sind zufrieden damit, wie Demokratie in der BRD funktioniert. Etwa 46 Prozent der Befragten aus Sachsen glauben, die politische Realität werde von Verschwörungen gelenkt, in Thüringen glauben das 43 Prozent. Jeweils zwischen 70 und 80 Prozent der Befragten glauben hingegen, sie selbst hätten "sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut".
Die befragten Ostdeutschen wollen die Demokratie also nicht abschaffen. Aber sie haben ein spezielles Verständnis davon, wie sie aussehen soll. "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert." 26,3 Prozent der Befragten stimmen dieser Position "überwiegend" oder "voll und ganz" zu. Weitere 24,9 Prozent meinen immerhin, sie sei "teils, teils" war. Fast die Hälfte glaubt also daran, ihre Volksgemeinschaft könne von einer Partei verkörpert werden. Wer Demokratie dagegen als Aushandlungsprozess unterschiedlicher Interessen versteht und wer harten, aber konstruktiv ausgetragenen Streit als notwendig begreift, zu echten Lösungen zu finden, dem sollten solche Aussagen echte Sorgen machen.
Am Geld scheint es übrigens nicht zu liegen. Zwar korrelieren die von den Forschenden gefundenen rechtsextremen Einstellungen mit der objektiven Verteilung von Einkommen in Deutschland, nicht jedoch mit subjektiv empfundenen wirtschaftlichen Lage. In den ostdeutschen Ländern machen sich zwischen 29 und 39 Prozent Sorgen um die deutsche Gesamtwirtschaft. Die eigene Situation wird aber nur von jeweils rund 15 Prozent als schlecht eingestuft, die übrigen scheinen zufrieden oder zumindest nicht unzufrieden damit zu sein. Folglich finden die Forschenden bei der statistischen Analyse hier auch keinen Zusammenhang zu rechtsextremen Positionen.
Mehr Reichtum dürfte die Lust auf den Streit der Meinungen und Ideen also nicht vergrößern.
Links/Studien
- Link zur Studie: Else-Frenkel-Brundwik-Institut (Hrsg.) - Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie - EFBI Policy Paper 2023-2
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