Rechtsexpertin erklärt Änderungen im Kindesunterhalt – Was Sie jetzt wissen sollten
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20. Januar 2023, 13:40 Uhr
Mit der Anhebung des Kindesunterhalts soll der Inflation der letzten Monate Rechnung getragen werden. Ob Alleinerziehende wirklich mehr Geld bekommen, hängt vom Einzelfall ab, da auch die Selbstbehalte von Unterhaltspflichtigen angehoben werden. In ungünstigen Konstellationen kann es sein, dass einem Elternteil mehr Geld zusteht, er aber unterm Strich weniger bekommt. Rechtsexpertin Katrin Haller, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dresden, erklärt für wen was genau zutrifft.
Inhalt des Artikels:
- Welche Änderungen gibt es seit Anfang 2023 beim Kindesunterhalt?
- Welche praktischen Auswirkungen hat die Erhöhung des Selbstbehalts für Unterhaltspflichtige?
- Stimmt es, dass bei einer Betreuung der Kinder im Wechselmodell gar kein Unterhalt bezahlt werden muss?
- Fällt die Unterhaltspflicht automatisch weg, wenn das Kind volljährig wird?
- Welche Konsequenzen hat es, wenn der Unterhaltsverpflichtete einfach keinen Unterhalt zahlt, obwohl er gerichtlich verpflichtet wurde und auch genügend verdient?
Wie kann man ermitteln, in welcher Höhe Unterhalt für die beim anderen Elternteil lebenden Kinder geschuldet wird?
Für die Frage, wieviel Unterhalt Eltern nach Trennung oder Scheidung für ihre Kinder zahlen müssen, ist die so genannte Düsseldorfer Tabelle ein wichtiges Hilfsmittel. Sie hat zwar keine Gesetzeskraft, dient aber der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und wird von den Gerichten in aller Regel angewendet. Aus ihr kann der jeweilige Bedarf des Kindes – abhängig vom Alter des Kindes und verfügbarem Einkommen des Unterhaltspflichtigen – abgelesen werden.
Zu beachten ist, dass die in der Tabelle angegebenen Zahlen noch nicht die Beträge abbilden, die tatsächlich zu zahlen sind. Es muss jeweils noch das hälftige Kindergeld in Abzug gebracht werden, denn Kindergeld soll beiden Elternteilen zugutekommen: dem einen bei der Betreuung des Kindes, dem anderen bei der Zahlung von Barunterhalt.
Hilfestellung bei der Anwendung der Tabelle bieten die Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte. Diese können – ebenso wie die Unterhaltstabelle – auf der Homepage des jeweils zuständigen Oberlandesgerichts abgerufen werden.
Welche Änderungen gibt es seit Anfang 2023 beim Kindesunterhalt?
Die Tabellenbeträge weisen u.a. den Mindestbedarf minderjähriger Kinder aus. Dieser Mindestbedarf, der dem Existenzminimum entspricht, wird regelmäßig neu festgelegt. Auf der Grundlage des Existenzminimumberichts vom Oktober 2022 wurde beispielsweise zum 01.01.2023 der Mindestunterhalt für ein Kind in der ersten Altersstufe von 396 € auf 437 € angehoben. Dementsprechend sind auch die Sätze für ältere Kinder und höhere Einkommensgruppen gestiegen. Erhöht wurde allerdings auch der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen. Hierunter versteht man den Betrag, der dem Zahlungspflichtigen monatlich für die Sicherstellung seines eigenen Lebensbedarfs mindestens verbleiben muss. So ist der Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern 2023 auf 1.370 € angehoben worden; vorher betrug er nur 1.160 €.
Dreistellige Erhöhung ist selten Dreistellige Erhöhungsbeträge werden nur in den höchsten Einkommensgruppen erreicht, bspw. steigt für 12-17-Jährige der Unterhaltsanspruch in Einkommensgruppe 15 von 1.066 € (2022) auf 1.176 € im Jahr 2023.
Welche praktischen Auswirkungen hat die Erhöhung des Selbstbehalts für Unterhaltspflichtige?
Die Festlegung eines Selbstbehalts ist erforderlich, weil nach höchstrichterlicher Rechtsprechung niemand zu mehr Unterhaltszahlungen verpflichtet werden darf, als er selbst ohne Gefährdung des eigenen Existenzminimums zu leisten in der Lage ist. Da die massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten, insbesondere die deutlich höheren Kosten für Lebensmittel und Energie, nicht nur auf der Seite der Bedürftigen, sondern auch bei den Zahlungspflichtigen zu Buche schlagen, kann es passieren, dass das Einkommen nicht mehr ausreicht, um den Unterhaltsbedarf zu decken. Das heißt, dass ein Kind möglicherweise zwar seit Januar 2023 einen höheren Anspruch hat, tatsächlich aber weniger ausgezahlt bekommt.
Welche Möglichkeiten haben Alleinerziehende, die nicht den Mindestunterhalt für die von ihnen betreuten Kinder erhalten, weil der andere Elternteil nicht genug verdient?
Ist der barunterhaltspflichtige Elternteil nicht oder nicht vollumfänglich leistungsfähig, kommt ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) in Betracht. Hierzu sollten sich Alleinerziehende an das zuständige Jugendamt wenden. Zu beachten ist, dass vom Unterhaltsbetrag nach Tabelle hier das gesamte Kindergeld und nicht nur das hälftige, wie bei der Unterhaltszahlung durch den anderen Elternteil, abgezogen wird.
Beträgt der Bedarf für ein Kind nach Tabelle beispielsweise 437 €, so werden 187 € (437 € minus 250 €) Unterhaltsvorschuss gezahlt. Voraussetzung für die Zahlung von Unterhalt nach dem UVG ist, dass der betreuende Elternteil nicht neu verheiratet ist und dass sich das Kind deutlich überwiegend in seinem Haushalt aufhält. Leben die Eltern ein Wechselmodell, gibt es keinen Unterhaltsvorschuss.
Sind eigentlich die Kosten für Kindergarten oder Hort mit den Tabellenbeträgen abgedeckt?
Nein, Kosten für die Kinderbetreuung, die auch eine Förder- und Bildungskomponente beinhaltet (wie Gebühren für Kindertagesstätten, Tagesmutter oder Hort) müssen zusätzlich zu den Unterhaltsbeträgen nach Tabelle aufgebracht werden. Diese Kosten trägt allerdings nicht der Barunterhaltsverpflichtete allein, sondern sie werden prozentual nach dem Einkommen beider Eltern zwischen ihnen verteilt.
Wie sieht es mit Kosten für Klassenfahrten aus, gibt es hierfür extra Unterhalt?
Jedenfalls solche Klassenfahrten, die besonders hohe Kosten verursachen, wie etwa Abschlussfahrten ins Ausland, stellen unterhaltsrechtlich einen Mehrbedarf dar, der zusätzlich zum monatlichen Regelunterhalt zu zahlen ist. Auch hier gilt, dass er von beiden Eltern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen aufgebracht werden muss.
Stimmt es, dass bei einer Betreuung der Kinder im Wechselmodell gar kein Unterhalt bezahlt werden muss?
Entgegen verbreiteter Auffassung entfällt bei einer Betreuung der Kinder im paritätischen Wechselmodell nicht automatisch die Zahlung von Barunterhalt von einem Elternteil an den anderen. Barunterhalt wird von beiden Eltern geschuldet, und zwar im Verhältnis der jeweils verfügbaren monatlichen Einkommen. Das heißt, derjenige Elternteil, der mehr verdient, muss sich auch mit einem höheren Anteil an den Unterhaltskosten des Kindes beteiligen und ggf. einen bestimmten Betrag an den anderen Elternteil zahlen, obwohl er sich hälftig an der Kinderbetreuung beteiligt. Die Berechnung kann im Einzelfall kompliziert werden, betroffene Eltern sollten hier gegebenenfalls Rechtsrat beim Jugendamt oder beim Anwalt einholen.
Fällt die Unterhaltspflicht automatisch weg, wenn das Kind volljährig wird?
Nein, denn Unterhalt ist grundsätzlich zu leisten, bis das Kind eine eigene Lebensstellung erreicht hat, also bis zum Abschluss einer ersten Berufsausbildung bzw. eines Studiums. Allerdings ändert sich mit dem Ende der Schulausbildung häufig die Höhe der zu leistenden Zahlungen, da einerseits der Bedarf mit zunehmendem Alter wächst, andererseits etwaige eigene Einkünfte des Kindes, z.B. Lehrlingsentgelt, auf den Unterhaltsbedarf angerechnet werden. Das Kindergeld steht ab Vollendung des 18. Lebensjahrs dem Kind vollumfänglich allein zu, ist daher von dem Kindergeld empfangenden Elternteil an das Kind auszukehren und wird von dessen Barbedarf vorweg abgezogen.
Es empfiehlt sich deshalb, dass die Eltern rechtzeitig vor dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts des Kindes, der nicht zwingend erst mit dem 18. Geburtstag eintreten muss, miteinander ins Gespräch kommen und einander die maßgeblichen Änderungen mitteilen, damit im günstigsten Falle einvernehmlich der zu zahlende Unterhaltsbetrag angepasst werden kann.
Wer entscheidet über die Höhe des zu zahlenden Unterhalts? Muss in jedem Falle eine Gerichtsentscheidung eingeholt werden?
Die Eltern können sich nach Erteilung von Auskünften über die maßgeblichen Einkommensverhältnisse über den zu zahlenden Unterhalt einigen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass nicht wirksam auf Kindesunterhalt verzichtet werden kann, denn es handelt sich insoweit ja um einen Anspruch des Kindes und nicht der Eltern.
Zum anderen kann aus einer solchen Einigung nicht vollstreckt werden. Bleiben Zahlungen aus oder gibt es Streitigkeiten, braucht der betreuende Elternteil einen vollstreckbaren Titel, mit dem beispielsweise das Arbeitseinkommen des Unterhaltsschuldners gepfändet werden kann. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Es kann ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden. Das Gericht erlässt dann einen Beschluss, aus dem vollstreckt werden kann.
Ein einfacherer und kostengünstigerer Weg, einen vollstreckbaren Titel zu schaffen, ist es aber, beim Jugendamt eine Urkunde über die Unterhaltspflicht erstellen zu lassen. Ebenso wie im gerichtlichen Verfahren muss der Unterhaltsschuldner seine Einkommensverhältnisse einschließlich bestimmter Abzugsposten offenbaren und belegen; das Jugendamt errechnet dann hieraus die Höhe des zu zahlenden Unterhalts und erstellt eine vollstreckbare Urkunde.
Was kann der alleinerziehende Elternteil tun, wenn er den Eindruck hat, der andere Elternteil verschleiere sein Einkommen, um sich vor Unterhaltszahlungen für die gemeinsamen Kinder zu drücken?
Wer zum Unterhalt gegenüber seinen minderjährigen Kindern verpflichtet ist, muss auf Verlangen Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilen und entsprechende Belege vorlegen. Diese Auskunft, die auch eingeklagt werden kann, muss selbstverständlich der Wahrheit entsprechen und vollständig sein.
Wenig Probleme ergeben sich in der Praxis, wenn der Unterhaltsschuldner im Angestelltenverhältnis steht. Es sind dann die Einkommensabrechnungen des Arbeitgebers für die letzten 12 Monate vorzulegen. Aus diesen gehen Brutto- und Nettoeinkommen einschließlich Jahressonderzahlungen in der Regel eindeutig hervor. Schwieriger kann es bei Selbständigen sein, deren Einkünfte häufig schwanken. Daher sind hier auch die Steuererklärungen bzw. -bescheide der letzten drei Jahre vorzulegen, aus denen dann das durchschnittliche Einkommen errechnet wird.
Welche Konsequenzen hat es, wenn der Unterhaltsverpflichtete einfach keinen Unterhalt zahlt, obwohl er gerichtlich verpflichtet wurde und auch genügend verdient?
Zunächst kann aus einem Gerichtsbeschluss vollstreckt werden. Dies geschieht meist durch die Pfändung von Einkommen oder Bankguthaben. Die Verletzung von Unterhaltspflichten kann aber auch strafrechtliche Folgen haben. Nach § 170 StGB droht Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, wenn der (leistungsfähige) Unterhaltsverpflichtete nicht zahlt und hierdurch der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne Hilfe Dritter gefährdet wäre.
Unsere Expertin
Katrin Haller ist seit zehn Jahren Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dresden. Geboren wurde sie in Großenhain in Sachsen. Ihre richterliche Laufbahn begann 1994 am Amtsgericht Dresden. Nach Stationen beim Landgericht und der Staatsanwaltschaft Dresden erfolgte 1999 die Ernennung zur Richterin am Landgericht Dresden.
1999 bis 2003 arbeitete Katrin Haller am Oberlandesgericht Dresden als Beisitzerin in einem Straf- und später in einem Zivilsenat. Anschließend wurde sie zur Richterin am Oberlandesgericht ernannt, wo sie auch viele Jahre zugleich als Pressesprecherin tätig war. Von Januar 2011 an war sie an das Sächsische Staatsministerium der Justiz abgeordnet und leitete dort das Referat für Zivilverfahrensrecht, Rechtshilfe in Zivilsachen, Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare. Seit 2013 ist sie zurück am Oberlandesgericht Dresden.
MDR (jba,lk)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 19. Januar 2023 | 17:00 Uhr