Der Redakteur | 04.05.2023 ChatGPT: Wenn Künstliche Intelligenz neue Beatles-Songs schreibt und singt
Hauptinhalt
04. Mai 2023, 21:33 Uhr
Die Geister die ich rief ... Der Mensch arbeitet traditionell an Werkzeugen, die ihm in der ersten Ausbaustufe die Arbeit erleichtern und ihn später weitgehend ersetzen. Und wenn es dann endlich funktioniert, ist das Geschrei groß. Auch in der Musik.
Die Maschinenstürmer von England waren die ersten, die so richtig auffällig geworden sind mit ihren Unmutsäußerungen. An ihren Arbeitsplätzen wurde ohne Absprache ein neues Betriebssystem aufgespielt, das letztlich dafür sorgte, dass weniger Arbeiter benötigt wurden.
Marx und Engels unterstellten noch eine gewisse Feindseligkeit der Technik gegenüber, aber am Ende fürchteten ganze Berufsgruppen schlicht um ihren Fortbestand und in der Folge einen sozialen Abstieg. Nun weiß man bei der Künstlichen Intelligenz (KI) gar nicht so richtig, an welcher Stelle man den Hammer der Zerstörung ansetzen sollte, aber die aktuelle Aufregung und die Forderungen nach Regulierungen zeigen, dass es da gewaltig knirscht. Man hätte es ahnen können. Wie hatte einst der alte Grieche Herodot formuliert: "Was du auch tust, tu es klug und bedenke das Ende!"
Quidquid agis, prudenter agas et respice finem.
So gehen aktuell diverse Appelle an die Entwickler, die aber mindestens dann, wenn sie in China oder Russland sitzen, immun sind gegen rechtsstaatliche Regulierungsversuche. So berichtete kürzlich die "Financial Times" von der Aufforderung des weltgrößten Musikkonzerns Universal Music Group an die Streamingdienste wie Spotify, KI-Anbietern den Zugriff auf ihre Songs zu untersagen.
Denn Künstliche Intelligenz wird durch Training besser und die Vorstellung, dass die KI fröhlich mit echten Beatles-Songs trainiert, um dann eigene neue herauszubringen, wirft viele Fragen auf. Wer singt da eigentlich und wessen Melodien und Texte?
Die rechtliche Diskussion ist auch noch nicht abgeschlossen. Ziemlich einig sind sich alle, dass Maschinen oder Algorithmen wie die KI aktuell keine Rechte haben, also auch keine Urheberrechte. Sie können schließlich auch keine Verträge abschließen, Straftaten begehen und deshalb verklagt werden. Sie sind schlicht nicht rechtsfähig, so wie ein Mensch als natürliche oder eine GmbH als juristische Person. Zumindest noch nicht. Niemand weiß aber so genau, was da noch auf uns zukommt.
Der schmale Grat zwischen Schöpfung und Betrug
Das Spielzeug, das aktuell Hausaufgaben erledigt, Texte schreibt oder programmiert, hat noch eine ganze Reihe von Geschwistern. So entstehen Bilder oder eben Töne, die - das steht zu befürchten - immer realistischer werden. Rechtsanwalt Professor Dr. Hanno Fierdag, der sich auf Musikrechte spezialisiert hat, hat schon 2004 seine Doktorarbeit über das Thema Künstliche Intelligenz geschrieben beziehungsweise die rechtlichen Folgen.
Schon damals gab es ein Programm, erzählt er, das in der Lage war, aus einer Melodie einen Bachchoral zu machen. Das ist 20 Jahre her! Hätte dieses Musikstück ein Mensch geschaffen, dann wäre die sogenannte Schöpfungshöhe erreicht. Das heißt: die Kriterien wären erfüllt, dass man von einem neuen, eigenen Werk sprechen kann, das unter das Urheberrecht fällt und entsprechend geschützt ist. Nur, wenn der eigene Anteil dank KI quasi auf null fällt und man behauptet das Gegenteil, dann ist es strafrechtlich relevant, so Anwalt Fierdag.
Das wäre Betrug, wenn ich das Werk z.B. als mein Werk bei der Gema anmelde und Tantiemen erziele.
Und wenn jemand einen neuen Song veröffentlicht, der vorgibt, von Helene Fischer oder den Beatles gesungen worden zu sein, dann werden keine Urheber- sondern Persönlichkeitsrechte und Leistungsschutzrechte verletzt. Bei solchen "Fake-Songs" könnte der Übeltäter sehr schnell Post vom Anwalt der Künstler beziehungsweise des Verlags bekommen.
Denn immerhin kann man davon ausgehen, dass er über seine Monetisierungsstrecke greifbar ist - zum Beispiel über den Streamingdienst, wo der Song läuft oder eben über die Gema und andere Gesellschaften, wo das Werk zwecks Gewinnerzielung angemeldet wurde.
Schwieriger wird der Nachweis, wenn man sich einfach nur der KI als Instrument bedient. Denn das Prinzip der neuronalen Netze führt dazu, dass die Ergebnisse immer wieder anders sein können. Also könnte der Nachweis nur in Zusammenarbeit mit den KI-Betreibern geführt werden, zum Beispiel, indem Nutzereingaben und KI-Ausgaben beweissichernd gespeichert werden. Damit sind wir bei der Frage, wie KI-Anbieter reglementiert und haftbar gemacht werden sollten. "Meine Hand für mein Produkt" in moderner Form also.
Das ist aber sehr dünnes Eis, denn mit einem Brotmesser kann man Brot schneiden oder jemanden erstechen - doch niemand käme auf die Idee, nach einem Mord den Hersteller in Solingen zu verklagen. Das heißt: Es ist bei rechtlichen Verstößen wichtig, wer quasi das Werkzeug geführt und es damit missbraucht hat.
Und am Ende wird man sich auch Gedanken machen müssen, inwiefern der Betreiber einer KI verwertbare Leistungsschutzrechte erwirbt, analog einem Tonträgerhersteller. Sprich: Ob der auch noch etwas vom Kuchen abbekommt, wenn mit seiner Hilfe ein Welthit entstanden ist. Gegenfrage: Bekommt eigentlich der Gitarrenhersteller etwas?
Ist das Kunst oder kann das KI?
Rein von Künstlicher Intelligenz erzeugte Kunst ist vom geltenden Urheberrecht nicht geschützt, sagt Professor Hanno Fierdag und vergleicht das mit einem Ast, den man sich im Wald holt und einfach 1:1 als Kunstobjekt in eine Galerie hängt. Hier fehlt der menschliche Aspekt, den das Urheberrecht vorsieht. Urheber eines Musikstücks ist auch nicht die Gitarre. Urheber eines Bildes, das der Schimpanse entstehen lässt, ist auch nicht der Zoodirektor. Es sei denn, er führt die Pfoten des Affen und gestaltet mit.
Das Urheberrecht sieht vor, dass es eine persönliche geistige Schöpfung ist, das heißt, es muss ein Mensch gemacht haben.
In die Musikbranche übersetzt, heißt das: Es reicht nicht, der Künstlichen Intelligenz nur Vorgaben zu geben, man müsste ihr quasi den "Stift" führen und nicht nur das Ergebnis entgegennehmen. Also zum Beispiel konkrete Anweisungen geben, welche Töne, Akkorde, Rhythmen zu verwenden sind, letztlich so interagieren wie beim Komponieren mit der Gitarre in der Hand. Am Ende kommt es also auf den kreativen Beitrag des Menschen an, ob daraus sein "eigenes" Werk entsteht.
Der Versuch mit Helene und Dieter
Das Werkzeug, mit dem viele Internetnutzer bereits Kontakt hatten, ist ChatGPT. Die Anwendung hat die Eigenschaft, bei vielen Anfragen gleich mitzuteilen, dass sie nur textbasiert arbeitet und deshalb bedauerlicherweise nicht weiterhelfen kann. Stimmt meistens so nicht, man muss nur etwas hartnäckig bleiben. So endete der erste Versuch, die komplette Partitur eines Bohlen-Fischer-Musikstücks erstellen zu lassen, mit einer Ablehnung.
Leider ist es mir als rein textbasiertem System nicht möglich, eine grafische Darstellung von Noten und Notenlinien zu erstellen.
Nun kann man der KI Brücken bauen und ihr ziemlich exakt beschreiben, was man haben möchte und wie. Die Aufgabe lautete also: "Schreibe mir bitte einen Song (Musik und Text), der im Stile von Helene Fischer unter Verwendung der drei Akkorde von Dieter Bohlen den Frühling thematisiert. Die Noten und Akkorde bitte als Buchstaben, trenne die Takte mit senkrechten Strichen." Nach einiger Diskussion über die Darstellungsform, schaffte es die Künstliche Intelligenz, den Song in einer halbwegs übersichtlichen Tabelle darzustellen.
Die Akkorde G-Dur, C-Dur, F-Dur und A-Moll sind zwar einer zu viel für ein typisches Dieter-Werk, aber ob der Frühlingssong gelungen ist, kann nun jeder im heimischen Singekreis ausprobieren. Oder ChatGPT dazu bringen, vielleicht auch noch die Reime zu optimieren: "Der Himmel so blau, die Sonne so hell, das Gras so grün, es ist wirklich schnell." - das ist textlich jetzt noch nicht der ganz große Wurf. Aber die ersten Autos sahen auch noch aus wie eine Kutsche.
MDR (thk)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 04. Mai 2023 | 16:40 Uhr