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Markus Wichmann (ITF Inspektor aus Hamburg) 1 min
Video: Markus Wichmann ist ITF-Inspektor in Hamburg. Er berichtet über die langen und schwierigen Arbeitstage vieler Seeleute. Bildrechte: Jakob Steiner
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Markus Wichmann über Arbeit von internationalen Seefahrern für die Familie in der Heimat

Di 28.05.2024 18:38Uhr 00:39 min

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Arbeiten auf hoher See Wie Seemänner in der internationalen Schifffahrt ausgebeutet werden

03. Juni 2024, 08:30 Uhr

In der internationalen Seefahrt arbeiten viele Filipinos. Immer wieder berichten sie von einem Leben auf See, das finanzielle Vorteile verspricht, für das sie aber einen hohen persönlichen Preis zahlen. Überstunden und die Angst vor "Black Lists", die jede Beschwerde zum beruflichen Risiko machen, sind Teil der Realität. Internationale Organisationen kämpfen für die Rechte der Seeleute. Selbst das EU-Lieferkettengesetz wird sie nicht ausreichend schützen.

Ein Industriegebiet in der Nähe des Hamburger Frachthafens. Es riecht nach Meer und Benzin. Hier öffnen zwei philippinische Seemänner das Tor, die nach einem Heimaturlaub in einer Unterkunft, genauer gesagt einer Wellblechhütte, auf ihr nächstes Schiff warten.

Die Arbeit als Seemann gilt als einer der forderndsten Berufe der Welt. Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International berichten über zu lange Arbeitszeiten pro Tag, eine hohe Verletzungsgefahr und zu niedrige Löhne. Hinzu kommen außerdem psychische Herausforderungen, denn Seeleute sind monatelang von ihren Familien getrennt, auf See isoliert und sprechen oft nicht einmal dieselbe Sprache wie der Rest der Crew.

Immer mehr Seeleute aus Drittstaaten

Andrea Albertazzi ist Referent für Fischereipolitik der European Transport Workers‘ Federation (ETF). Er sagt, wegen der Arbeitsbedingungen wollen nur noch wenige Europäer der Arbeit auf See nachgehen. "Du investierst dein Leben in einen Job, der gefährlich ist und dich von deiner Familie fernhält. Warum solltest du das tun?"

International Transport Workers' Federation Die ETF ist ein Ableger der International Transport Workers Federation (ITF). Das ist eine Nichtregierungsorganisation, die für die Rechte von Seeleuten kämpft. Sie arbeitet weltweit mit Gewerkschaften zusammen, die regelmäßig Schiffe kontrollieren und als Anlaufstelle für Seeleute dienen.

Deshalb greifen Reedereien auf Arbeitskräfte aus Drittstaaten zurück, welche durch spezielle Arbeitsagenturen vermittelt werden. Besonders häufig vertreten sind dabei Seeleute von den Philippinen, aus dem Senegal und aus Indonesien. So wie Teniel* und Jomel* aus der Unterkunft am Hamburger Frachthafen. Jomel ist in seinem zweiten Ausbildungsjahr und verdient dabei 400 Euro im Monat. Teniel ist 37 und arbeitet bereits seit 2010 als Seemann. Obwohl er mit 1.750 Euro im Monat für philippinische Verhältnisse gut verdient, will er irgendwann auf die Philippinen zurück und sein eigenes kleines Business gründen. Für seine Familie sei es hart, dass er so selten zu Hause ist: "Meine Tochter ist 6 Jahre alt, sie will, dass ich zu Hause bei ihr bin."

Markus Wichmann, ITF Inspektor in Hamburg.
Markus Wichmann, ITF Inspektor in Hamburg. Bildrechte: Jakob Steiner

Um Seeleuten bei Problemen zu helfen, gibt es Menschen wie Markus Wichmann. Er ist Inspektor für die International Transport Workers Federation (ITF). Wenn Seeleute nicht bezahlt oder schlecht behandelt wurden, können sie sich an ihn oder seine Kollegen wenden. Die ITF kann gegebenenfalls auch rechtlich gegen Reedereien oder Agenturen vorgehen. Allerdings nur, wenn das von den Seeleuten ausdrücklich erwünscht ist. Doch oftmals fehlt das Vertrauen, sich offen zu äußern – aus Angst vor negativen Folgen.

Handel auf dem Seeweg Beim Handel mit nicht EU-Ländern sind Schiffe für Deutschland das wichtigste Transportmittel. Circa 90 Prozent des grenzüberschreitenden deutschen Warenhandels wird auf dem Seeweg transportiert. Die Seefracht wird nach Angaben der International Chamber of Shipping von mehr als 150.000 Schiffen aus 150 Nationen und einer Million Besatzungsmitgliedern aus allen Ländern der Welt transportiert. Unternehmen aus nur fünf Staaten kontrollierten 2015 circa 50,4 Prozent des Seefrachtaufkommens – darunter auch Deutschland.

Wichmann steht regelmäßig mit Seeleuten in Kontakt: "Die Sorgen der Seeleute sind meist sehr groß. Weil es doch immer wieder Befürchtungen gibt, dass wenn man sich an die ITF wendet, man danach keinen Arbeitsplatz mehr bekommt."

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Markus Wichmann (ITF Inspektor aus Hamburg) 1 min
Markus Wichmann (ITF Inspektor aus Hamburg) Bildrechte: Jakob Steiner
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Markus Wichmann zu Überarbeitung und Todesfällen bei Seefahrern

Di 28.05.2024 18:38Uhr 00:27 min

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Vermittlung über Agenturen

Wichmann zufolge gibt es Unterschiede bei den Reedereien. "Es gibt Reedereien, die sich eine günstige Vermittlungsagentur suchen und die gehen dementsprechend auch nicht immer gut mit ihren Seeleuten um." Wichmann zufolge sollen manche Agenturen ihren Arbeitern mehr Geld abnehmen als zulässig. Die Rede ist auch von nicht ausreichenden Ruhezeiten. Oft seien Seeleute aus Drittstaaten Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt. Europäer bekommen für dieselbe Arbeit nicht selten einen höheren Lohn.

An Deck der King Fisher - die Kajüte der Seemänner.
Die Koje der Seemänner. Bildrechte: Jakob Steiner

Der philippinische Besitzer der Agentur, über die Teniel und Jomel nach Deutschland gekommen sind, rekrutiert fast ausschließlich Menschen aus seinem Heimatland. Auf den Philippinen würden sie nur einen Bruchteil dessen bekommen, was sie in Deutschland verdienen. Oft versorgen sie ihre ganze Familie mit dem Gehalt. Immer wieder gibt es bei der Seemannsmission und der ITF Berichte von Seeleuten, die sich beschweren, der Besitzer der Agentur beute sie aus.

Das bestätigt auch Martin Struwe. Er arbeitet bei einer weiteren Anlaufstelle für Seeleute, der Seemannsmission in Cuxhaven. "Seeleute haben mir erzählt, dass er an Bord kommt und Geld verlangt. Das steht ihm aber nicht zu, weil er ja durch die Vermittlung schon seinen Anteil von der Reederei bekommen hat." Die betroffene Agentur äußerte sich auf Nachfrage nicht zu den Vorwürfen.

Es fehlen Beweise

Die Maritime Labour Convention legt grundlegende Rechte der Seeleute fest. Demnach dürfen Seemänner nur elf Monate auf einem Schiff bleiben. Danach müssen sie eigentlich für ein paar Monate wieder zurück in ihre Heimat. Markus Wichmann von der ITF erzählt, dass manche Agenturen versuchen würden, das zu umgehen, wie der Besitzer der Agentur aus Hamburg. Dafür soll er die Seeleute zur Überbrückung in die Unterkunft bringen, in der auch Teniel und Jomel einige Tage verbracht haben.

Die Vermittlungsagenturen brauchen in Deutschland eine Zulassung, dafür ist die Dienststelle Schiffsicherheit verantwortlich. In der Liste der zugelassenen Agenturen befindet sich auch die Agentur aus Hamburg. Christian Bubenzer ist Mitarbeiter der Dienststelle Schiffssicherheit und auch er erklärt, er habe negative Berichte über die Agentur gehört. Aber: Es fehlen die Beweise. "Gerade philippinische Seeleute wollen häufig nicht als Zeugen aussagen, weil sie befürchten, dann nie mehr vermittelt zu werden. Dabei würde eine offizielle Aussage schon weiterhelfen."

Gerade philippinische Seeleute wollen häufig nicht als Zeugen aussagen, weil sie befürchten, dann nie mehr vermittelt zu werden. Dabei würde eine offizielle Aussage schon weiterhelfen.

Christian Bubenzer Mitarbeiter der Dienststelle Schiffssicherheit

Furcht vor schwarzen Listen

Seeleute berichten Markus Wichmann von der ITF und Martin Struwe von der Seemannsmission immer wieder von "schwarzen Listen". Darauf: Namen von Seemännern, die sich über Missstände am Arbeitsplatz beschweren. Einmal auf der "Blacklist", soll es schwer sein, danach wieder einen Job zu finden. Laut ITF-Inspektor Markus Wichmann sind diese Listen eigentlich nicht erlaubt: "Es ist eigentlich ein offenes Geheimnis, dass es sie gibt. Letztendlich sind sie dazu da, um den Seeleuten zu drohen."

Struwe, von der Seemannsmission berichtet Ähnliches: "Wenn der Kapitän sagen würde: 'Putz hier alle Messingteile auf dem Schiff mit deiner Zahnbürste', dann gibt es glaube ich eine Menge, die das tun würden. Einfach weil sie nicht wissen, was es für Konsequenzen geben könnte, wenn sie es nicht tun." Viele Seemänner werden als "Able Body" bezeichnet, also als "verfügbarer Körper".

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Seemannsdiakon Martin Struwe sitzt in einem dunklen aber gemütlich beleuchteten Wohnzimmer. 1 min
Seemannsdiakon Martin Struwe über Regelungen zu Arbeit in der Seefahrt. Bildrechte: Jakob Steiner
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Martin Struwe zu gleichen Löhnen für internationale Seefahrer

Di 28.05.2024 18:38Uhr 00:44 min

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"Du wirst die Hälfte deines Lebens verpassen"

In Cuxhaven treffen wir Emerson und Jose von den Philippinen, die auf dem Forschungsschiff "Kingfisher" arbeiten. Emerson ist klein, hat schwarze Haare und einen Bart. Normalerweise ist er glattrasiert, auf dem Schiff lässt er ihn wachsen. Immer wenn er nach Hause fliegt, kommt der Bart ab. Emerson ist verantwortlich für die Wartung des Schiffs. Er übernimmt verschiedenste Aufgaben, von der Müllentsorgung bis hin zum Streichen. Jose kümmert sich um den Motor. Beide haben auf den Philippinen "Marine Engineering" studiert. Sie sind dankbar für den Job, denn auf den Philippinen ist die Berufswahl begrenzt. Dennoch: Noch einmal würden Sie den Job nicht wählen. "Mein Bruder will Seefahrer werden", erzählt Jose. "Aber ich habe ihm gesagt, er soll es nicht machen. Du wirst die Hälfte deines Lebens verpassen." Heimweh spiele eine große Rolle, erzählt auch der 36-jährige Emerson. Er hat einen acht Jahre alten Sohn und eine sechs Monate alter Tochter: "Ich bekomme nicht mit, wie mein Sohn und meine Tochter erwachsen werden".

Filipino an Bord der "Kingfisher"
Jose arbeitet auf dem Forschungsschiff "Kingfisher". Bildrechte: Jakob Steiner

Es gibt kein Zurück – das ist beiden klar. Für Sie gibt es keine andere Option als die Seefahrt. Und selbst, wenn sie nur ein Drittel des Lohnes eines europäischen Seemanns kriegen, sei es drei Mal so viel wie auf den Philippinen.

Lieferketten verfolgen – und Menschen vor Ausbeutung schützen

Die Seefahrt ist ein globaler Markt mit langen Lieferketten. Die ITF hofft auf Verbesserungen der Arbeitsbedingungen durch das EU-Lieferkettengesetz. Das Problem: Das Gesetz soll erst ab 2032 vollumfänglich gelten – und auch nur für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten mit einem Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro. Damit gilt das Lieferkettengesetz nur noch für ein Drittel der Unternehmen, die ursprünglich erfasst werden sollten. Kleinere Unternehmen und Agenturen fallen damit raus.

Lieferkettengesetz Das kürzlich beschlossene Gesetz verpflichtet Unternehmen dazu, Menschenrechte und Umweltstandards entlang ihrer gesamten Lieferkette sicherzustellen und transparent zu machen. Unter anderem soll auch eine gleiche Bezahlung geregelt werden.

Die rechtliche Lage in der Seeschifffahrt ist undurchsichtig, da zwar Mindestanforderungen für Arbeitsbedingungen festgelegt wurden, jedoch kein verpflichtender Mindestlohn existiert. Tarifliche Mindestlöhne, die von der ITF ausgehandelt werden, sind nicht bindend. Zusätzlich erschweren die sogenannten "Flags of Convenience" die Kontrolle. Diese erlauben es Schiffseignern und Reedereien, ihre Schiffe unter der Flagge eines Landes zu registrieren, das geringere rechtliche Auflagen und niedrigere Steuern hat.

Es bleibt die Frage, inwiefern das EU-Lieferkettengesetz die Rechte der Seeleute schützen kann. Die EU-Kommission erklärte auf Nachfrage, sich vor der Europawahl aus zeitlichen Gründen nicht zu dem Thema äußern zu können. Bislang entscheidet der gute Willen von Reedereien und Agenturen über Sicherheitsbestimmungen, Lohn und Arbeitsrecht.

*Namen geändert

Dieser Beitrag entstand im Rahmen von "Crossborder Journalism Campus", einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Stijn Bakker, Sally Börjesson, Thomas van Caenegem, Saimah Jiwa, Matej Kyjovský, Helle Lyrstrand Larssen, Victoria Lavelle, Alex Talandier.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 24. Mai 2024 | 20:00 Uhr

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https://www.mdr.de/nachrichten/welt/politik/video-fico-putin-russland-erdgas-slowakei-100.html

Rechte: Reuters

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