Interview Fürsorge auf See: Wie die Seemannsmission Unterstützung bietet
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02. Juni 2024, 05:00 Uhr
Die Seemannsmission Cuxhaven ist ein sicherer Hafen für Seeleute aus aller Welt. Martin Struwe berichtet im Interview von den prekären Arbeitsbedingungen der Seemänner – und wie er und seine Mitarbeitenden sich für deren Wohl einsetzen.
- Über die Seemannsmission suchen viele Seeleute Kontakt nach Hause.
- An Bord findet eine Entpersonalisierung statt, sagt Seemannsdiakon Martin Struwe.
- Viele Seeleute hätten Angst, auf eine sogenannte "schwarze Liste" zu kommen.
MDR AKTUELL: Wie kümmert ihr euch tagtäglich um das Wohlergehen von Seeleuten?
Martin Struwe: Unser Alltag besteht aus verschiedenen Arbeitsbereichen. Das eine ist, dass wir täglich auf die Schiffe im Hafen gehen, zu den Menschen, die da leben und arbeiten. Und in einem zweiten Teil begrüßen wir Seeleute auch hier im Seemannsclub. Manchmal werden wir von Seeleuten vorher kontaktiert mit der Bitte, an Bord zu kommen, manchmal auch schon mit sehr konkreten Anliegen. Zum Beispiel: Wir brauchen Telefonkarten, um ins Internet zu gehen. Oder: Ich brauche medizinische Unterstützung und traue mich nicht, das an Bord zu thematisieren. Aber vielleicht könnt ihr mir Medikamente besorgen oder wir können zusammen zu einem Arzt gehen.
Diese Schiffe sind geschlossene Systeme. Je nach Schiffsgröße sind da zwischen drei und 25 Menschen drauf, aus verschiedenen Nationalitäten. In unterschiedlicher Hierarchie, wo es fast immer einen gibt, der über einem oder unter einem ist. Dann sind wir oft willkommener Gesprächspartner, weil wir außerhalb dieser Hierarchie sind. Man kann mit uns über was auch immer reden. Das müssen gar nicht unbedingt die großen Themen sein, das können die Fußballergebnisse sein.
Martin Struwe Martin Struwe ist Seemannsdiakon in der Seemannsmission Cuxhaven. Die Seemannsmission ist ein Sozialwerk für Seeleute und war ursprünglich ein kirchliches Werk. Die Aufgaben beziehen sich auf das Wohlergehen von Seeleuten aus aller Welt – von Bordbesuchen und kleinen Einkäufen bis hin zu gemeinsamen Grillabenden in der Seemannsmission. Die Mitarbeitenden besuchen fast alle Schiffe, die in den Hafen einlaufen, unabhängig davon, unter welcher Flagge sie fahren.
Spielt Heimweh eine große Rolle für die ausländischen Seeleute?
Heimweh spielt immer wieder eine Rolle. Also es ist selten, dass jemand sagt: "Ich habe Heimweh.” Aber es gibt irgendwelche Anlässe, wenn etwas gerade zu Hause schwierig ist. Jemand ist krank, jemand ist gestorben. Es ist die Einschulung von einem Kind – dann kann man nicht da sein und dann vermisst man das. Wenn wir Seeleute abends zu uns einladen, dann ist oftmals das erste, was sie möchten auch wieder Internet, weil das die Brücke nach Hause ist.
Was sind Herausforderungen, mit denen vor allem migrantische Seearbeiter konfrontiert sind?
In der Seefahrt haben wir verschiedene Stufen. Wir haben zum Beispiel eine Schiffsleitung westeuropäischer oder nordamerikanischer Herkunft, die haben relativ kurze Verweildauern an Bord, also das heißt häufig ein bis zwei Monate. Und je tiefer wir im Rang kommen oder je geringer der Lohn ist, umso länger sind diese Vertragszeiten. Für Filipinos sind die selten unter sechs Monaten und gehen dann in der Spitze bis auf elf Monate.
Wir, die an Land arbeiten, können halt jederzeit nach Hause und dann können wir in andere Rollen gehen. Das ist für Seeleute natürlich nicht so, die sind immer in der Position, die sie an Bord besetzen. An Bord bin ich eben immer in dem gefangen, was ich bin. Also egal ob als Kapitän, als Mechaniker, als Koch oder als Decksmann. Oftmals werden die nur mit ihren Bezeichnungen gerufen. Die kennen zum Teil nicht ihre Namen untereinander. Also der Koch ist immer der Cook. Das ist schon eine Entindividualisierung, eine Entpersonalisierung.
Dann kommt noch dazu, dass die Bezahlung sehr unterschiedlich ist. Dass Menschen auf einem Schiff selbst für die gleiche Arbeit unterschiedlich viel verdienen. Die Begründung dahinter ist, dass die Lebenshaltungskosten auf den Philippinen geringer sind als zum Beispiel in Polen. Aber dass die Arbeit also tatsächlich nicht den gleichen Wert hat, das fühlt sich nicht gerecht an.
Welche Rolle spielen Arbeitsvermittlungsagenturen?
In der Seeschifffahrt, bewegen wir uns auf einem total globalisierten Markt. Auf einem Schiff mit zehn Besatzungsmitgliedern ist es keine Ausnahme, dass da sechs, sieben verschiedene Nationalitäten sind. Und diese Menschen werden bis auf die ganz leitenden Offiziere in der Regel nicht direkt von der Reederei angestellt, sondern sie werden über Agenturen angestellt. Die Reederei hat einen Vertrag mit einer Agentur und sagt: Wir hätten gerne einen neuen Decksmann.
Es gibt eine ganze Menge guter und anständiger Agenturen, die tatsächlich die Leute dann vermitteln. Die werden dafür bezahlt von den Reedereien. Es gibt aber auch immer wieder Agenturen, die das nicht so genau nehmen, die dann noch nach ihrem Vorteil suchen, indem sie den Seeleuten noch für bestimmte Dinge Gebühren berechnen. Ich habe Verträge gesehen, wo die Gehälter nachträglich retuschiert worden sind.
Über dem Ganzen schwebt immer die Sorge auf eine schwarze Liste zu kommen, wenn man auf einem Schiff als "Troublemaker", also jemand, der Ärger gemacht hat, bekannt wird. Dann ist die Gefahr groß, dass man nicht wieder vermittelt wird. Und zwar nicht nur von dieser Agentur, sondern eben auch von anderen Agenturen. Das ist natürlich nicht zulässig, aber wir wissen alle, dass das passiert.
Was muss man tun, um auf eine "schwarze Liste" zu kommen?
Das Problem ist eben die Willkür, die dahinter steht. Wir wissen von Seeleuten, die auf ihr Recht gepocht haben, dass ihr Gehalt regelmäßig kommt. Das ist dann aber Stress für so eine Reederei. Und dann kann es durchaus sein, dass die dann weggebucht werden als "Troublemaker".
Wenn der Kapitän sagen würde: Putz hier auf der Brücke alle Messingteile mit einer Zahnbürste. Dann gibt es einen großen Anteil an Seeleuten, die das machen würden. Weil die Sorge, was passiert, wenn ich das nicht mache, ist ganz schön groß. Ich glaube nicht, dass so eine Aufforderung kommt. Aber die würden es tun, weil sie einfach die Sorge haben: Ich will keine Widerworte geben, weil ich nicht weiß, was hat das für Konsequenzen für mich?
Wenn ihr dann solche Fälle habt, wie geht ihr dagegen vor?
Also die wichtigste Regel ist: Wir tun Dinge nur, wenn die Seeleute das wirklich wollen. Denn wir sind ja nicht die, die die Folgen möglicherweise ausbaden. Ich kann natürlich der Gewerkschaft oder anderen Behörden sagen: Kontrolliert das mal. Aber in dem Moment, wo das auf eine Person zurückfällt an Bord, muss nicht ich das ausbaden, sondern möglicherweise die Person, die mich auch gefragt hat.
Und ganz oft, das muss man leider so sagen, ist es so, dass die uns das zwar erzählen, aber uns darum bitten, das nicht weiter zu sagen. Dann geht es tatsächlich erst mal nur darum, sich zu entlasten und das loszuwerden. Und wir sagen immer: Wenn du das möchtest, können wir das Problem angehen. Aber in der großen Mehrzahl der Fälle möchten es Seeleute nicht. Das muss man einfach so sehen.
Was müsste sich für die Seeleute ändern, damit die Situation besser wird?
Ich glaube eine Lösung ist, dass erstmal alle für ihre Arbeit das Gleiche kriegen. Das ist aber vermutlich eine Utopie in dieser globalisierten Welt, in der sich Seeleute bewegen, wo man sich immer auf nationales Recht berufen kann, trotz des internationalen Seearbeitsrechts. Aber die Frage ist dann auch: Wer setzt es durch? Am Ende glaube ich, hängt es an Kontrollen, also auch was Arbeitszeiten angeht. Überstunden, die bezahlt oder nicht bezahlt werden.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen von "Crossborder Journalism Campus", einem Erasmus+-Projekt der Universität Leipzig, der Universität Göteborg und des Centre de Formation des Journalistes in Paris. Unter Mitarbeit von: Stijn Bakker, Sally Börjesson, Thomas van Caenegem, Saimah Jiwa, Matej Kyjovský, Helle Lyrstrand Larssen, Victoria Lavelle, Alex Talandier.