Medizinerin hält Stethoskop mit dänischer Flagge.
Die Arbeitsbedingungen in Dänemark machen das Nachbarland für einige deutsche Ärzte attraktiv. Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Krankenhausreform Experte: Dänisches Gesundheitssystem ist viel digitalisierter als deutsches

23. September 2023, 05:00 Uhr

Dänemark gilt als Vorreiter im Bereich digitale Gesundheit. Durch stetige Reformen ist das Gesundheitssystem dort verbessert worden. Reformbedarf gibt es auch in Deutschland, das Bundesgesundheitsministerium will 2024 eine Krankenhausreform auf den Weg bringen. Doch schon jetzt regen sich Proteste, zum Beispiel gegen drohende Klinikschließungen. Fakt ist: Das deutsche Gesundheitssystem ist teuer und ineffizient. Was macht Dänemark besser? Dr. Johannes Uhrenholt-Heindl beantwortet einige Fragen.

Wir haben mit dem deutschen Arzt Dr. Johannes Uhrenholt-Heindl gesprochen. Er ist nach Dänemark ausgewandert und arbeitet als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in einem Krankenhaus in Kopenhagen. Er kennt beide Gesundheitssysteme.

Frage: Wo sehen Sie den gravierendsten Unterschied zwischen dänischem und deutschem Gesundheitssystem?

Dr. Johannes Uhrenholt-Heindl: Es geht wirklich als erstes los beim Thema Digitalisierung. Es ist ehrlich gestanden fast unglaublich, wenn ich von Dänemark zurück nach Deutschland komme, dass es hier immer noch diese Papierakten gibt, wo die Krankenschwestern viele Stunden damit verbringen, Medikamente einzutragen. Die müssen sie dann nach einer Woche wieder mit einem Bleistift oder Kugelschreiber übertragen. Da können Schreibfehler passieren, oder Dosierungsfehler. In Dänemark läuft all das digital. Auch wenn der Patient neu aufgenommen wird, sind Hausarzt und Krankenhaus viel besser vernetzt: Der Patient hat online seine Medizinakte, auf die Hausarzt und Krankenhaus gleichermaßen zugreifen können. Da weiß jeder Arzt sofort: welche Allergien hat der Patient, welche Medikamente nimmt er ein und man kann aktive als auch vergangene Rezepte einsehen um eventuell Arztshopping zu vermeiden. Der Patient kann selber seine Visiten-Einträge, Bildgebungsbefunde und die Zusammenfassung von seinen Sprechstundenbesuchen einsehen. Das heißt, die Patienten sind viel besser informiert. Und es fällt natürlich viel weniger Schreibarbeit an, dadurch weniger Kosten für Ärzte und natürlich auch Krankenschwestern.

In Dänemark läuft alles digital. Auch wenn ein Patient neu aufgenommen wird, sind Hausarzt und Krankenhaus viel besser vernetzt.

Dr. Uhrenholt-Heindl, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in Kopenhagen

Als ich noch in Deutschland gearbeitet habe, habe ich Stunden damit verbracht, Arztbriefe zu schreiben. In Deutschland läuft das so: Da liest sich ein Assistenzarzt die handschriftlichen Notizen durch, welche bei den Visiten gemacht wurden und der Arzt muss dann daraus in ein Dokument, einen zwei- bis dreiseitigen Arztbrief schreiben. In Dänemark dauert eine Entlassung fünf bis zehn Minuten und in Deutschland gehen alleine da Stunden drauf, wenn man das mal zusammenrechnet. Hier werden die Vitalparameter eines Patienten automatisch ins Computersystem übertragen, zum Beispiel der Blutdruck. In Deutschland passiert das teilweise noch per Hand, da werden noch Kurven gezeichnet. Und der Computer erkennt dann auch sofort Tendenzen, warnt zum Beispiel automatisch, wenn ein Wert nicht stimmt. Da geht es dann ja auch um das Leben der Patienten. Das ist für mich fast schon ein Kulturschock, wenn ich aus Dänemark, dem digitalisierten Land, mal zurück nach Deutschland komme.

Ein Unterschied besteht ja auch im Versicherungssystem …

Das stimmt. Im dänischen Gesundheitssystem gibt es die private und gesetzliche Versicherung nicht. In Dänemark hat jeder eine Personennummer (CPR), darüber ist man staatlich versichert. Als Privatversicherter in Deutschland, da komme ich viel schneller an einen Termin, zum Beispiel für ein MRT. Aber auf wen fällt das dann zurück? Natürlich auf die gesetzlich Versicherten. Da werden Zeiten dann für die privat Versicherten geblockt, weil man damit natürlich mehr Geld generiert. Und wer gesetzlich versichert ist, muss ewig auf einen Termin warten. Andererseits werden Privatversicherte oft genug gemolken und Untersuchungen gemacht, die überflüssig sind. In Dänemark gibt es das nicht, alle sind gleich.

Und es gibt eine Behandlungsgarantie. Das heißt, wenn ich als Arzt einen Patienten überwiesen bekomme mit einer Diagnose, dann muss ich ihn innerhalb von einem festgelegten Zeitraum, beispielsweise 30 Tage, auch dementsprechend behandeln. Jeder ist gleich versichert, jeder hat das gleiche Recht und wird dementsprechend auch gleich behandelt.

Es gibt eine Behandlungsgarantie. Das heißt, wenn ich als Arzt einen Patienten überwiesen bekomme mit einer Diagnose, dann muss ich ihn innerhalb von einem festgelegten Zeitraum behandeln.

Dr. Uhrenholt-Heindl, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in Kopenhagen

Die Krankenhausreform in Deutschland sieht vor, dass es in Zukunft mehr spezialisierte Zentren geben soll und dann Grundversorger, welche die Patienten an die Spezialisten weiterleiten. Funktioniert das in Dänemark schon lange so?

Dänemark hat 5,5 Millionen Einwohner, das darf man nicht vergessen. Wenige spezialisierte Zentren, das hat hier schon immer Sinn ergeben. Was in Deutschland angestrebt wird, gibt es in Dänemark also schon lange. Wir haben spezialisierte Zentren und eine Flächenversorgung.

Beispiel: Ich bin in einem größeren Krankenhaus, aber auch wir machen nicht alles. Wenn jemand nach einem Unfall, mit zum Beispiel einem Bruch des Fersenbeins, zu uns kommt, machen wir die operative Versorgung nicht. Sondern der Patient wird in ein größeres Haus verlegt, zum Beispiel in ein spezialisiertes Traumazentrum, wo eben genau diese etwas selteneren Fälle gesammelt und von Spezialisten in diesem Bereich operiert werden. Viele Spezial- und Fachgebiete sind zentralisiert. Das hat auch den Vorteil, dass man dort Expertise und Forschung unter einem Dach sammelt.  

Stichwort Forschung: Was kann man da von Dänemark lernen?

Die Digitalisierung hat vor allem auch für die Forschung und das Qualitätsmanagement einen Riesenvorteil. Alle Eingriffe werden bei uns auch registriert. Und die Register ermöglichen viel einfacher Forschung durchzuführen und wirklich valide Daten zu sammeln. Um zum Beispiel bei einem Eingriff festzustellen: Wie viele Komplikationen gab es denn da? Was können wir in Zukunft besser machen? Das ist natürlich viel einfacher mit einem digitalen Register, als 20.000 Patientenakten durchzublättern mit hunderten Seiten, das ergibt kaum Sinn. Risikofaktoren, Infektionen? Ein Klick und dann druckt mir das der PC aus. Das ist ein Riesenvorteil, was die Forschung angeht. Und natürlich auch, was das Qualitätsmanagement der Patienten angeht. Auch die Frage: Gibt es vielleicht Diagnosen und Eingriffe, die man in Zukunft zentralisieren müsste? Das kann man ohne valide Daten ja kaum entscheiden. Außerdem können wir durch die Register landesweit überprüfen: Welche Methode funktioniert gut? Wo gibt es Komplikationen? Das alles kommt den Patienten zugute.

Warum gelten auch die Arbeitsbedingungen in Dänemark für Ärzte als besser?

Es gibt geregelte Arbeitszeiten: 37 Stunden pro Woche – inklusive Dienste. Und man weiß, wann man nach Hause kommt. Es gibt geregelte Dienste und vor allem Ruhezeiten. In Deutschland kannte ich das nicht. Und daher ist auch nicht verwunderlich, dass wir fast täglich Anfragen von deutschen Studenten, und vielen deutschen Fachärzten haben, die gerne ihre Ausbildung in Dänemark fortsetzen wollen oder auswandern möchten.

MDR (jvo)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 20. September 2023 | 09:30 Uhr

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