Chef der Krankenhausgesellschaft "Offenbar Kalkül der Politik, die Reform mit weniger Krankenhäusern zu starten"
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27. Juli 2023, 19:18 Uhr
Den Krankenhäusern in Deutschland geht es schlecht. Corona- und Ukraine-Krise haben bei vielen Kliniken finanzielle Löcher gerissen. Mit der geplanten Krankenhausreform will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den "ökonomischen Druck" reduzieren. Doch das am 10. Juli vorgestellten Eckpunktepapier hat viele Krankenhaus-Experten enttäuscht. Dazu zählt auch Rainer Poniewaß, der Chef der Thüringer Krankenhausgesellschaft. Im Interview erklärt er, was die Reform für Thüringen bedeuten könnte.
MDR: Herr Poniewaß, Ihr Dachverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, zeigte sich enttäuscht von dem Eckpunktepapier, das Karl Lauterbach als eine "Art Revolution" bezeichnet hat. Warum ist die Krankenhausreform keine Revolution?
Poniewaß: Zunächst begrüßen wir grundsätzlich, dass sich Herr Lauterbach dem Thema der Vorhaltefinanzierung angenommen hat und damit einer unserer Kernforderungen nachgekommen ist: der Einführung einer teilweise belegungsunabhängigen Vergütung. Allerdings sind wir enttäuscht, weil wir die klare Erwartungshaltung hatten, dass mit einer Reform - und dem damit verbundenen Transformationsprozess - auch eine Refinanzierung erfolgen muss. Dem ist nicht so. Es fehlt ein klares, schlüssiges Konzept, wie man Krankenhäuser bei den gestiegenen Kosten unterstützen will.
Herr Lauterbach hatte im Rahmen einer Pressekonferenz sogar davon gesprochen, dass bundesweit nicht alle Krankenhäuser die Reform erleben werden. Das ist eine sehr drastische Aussage eines Bundesgesundheitsministers. Wir als Verband der Krankenhäuser erwarten, dass den Krankenhäusern durch die mannigfaltigen Krisen - die Corona-Pandemie mit einem Belegungsrückgang und die Preisexplosionen infolge der Ukraine-Krise - geholfen wird und sie entsprechend wirtschaftlich unterstützt werden.
MDR: Die Reform ist ein Nullsummenspiel. Es kommt also nicht mehr Geld ins System als zuvor. Eine Umfrage der Unternehmungsberatung Roland Berger hat herausgefunden, dass von den 600 größten Krankenhäusern in Deutschland die Hälfte in den roten Zahlen ist und auch der Chef des Diakoniekrankenhauses in Freiburg warnte im "Spiegel" vor einer Welle von Schließungen. Wie ist es aber in Thüringen? Wie schlimm steht es um die 45 Krankenhäuser im Freistaat?
Poniewaß: Also die Krankenhäuser in Thüringen stehen bislang vergleichsweise gut da. Das ist auch der Situation geschuldet, dass wir nach der Wende bereits eine große Krankenhaus-Strukturreform hatten. Zu Beginn der 1990er-Jahre wurden die Krankenhäuser baulich ertüchtigt. Wir haben im Vergleich zu anderen Bundesländern also noch eine gute bauliche Infrastruktur.
Mittlerweile sind aber 30 Jahre ins Land gezogen und wie das bei jedem Häuslebauer auch ist - nach 30 Jahren sind da Anschluss-Investitionen erforderlich. Die bauliche Infrastruktur muss erneuert werden. Der Freistaat Thüringen ist seinen Verpflichtungen nicht in dem Umfang nachgekommen, wie es in den letzten Jahren erforderlich gewesen wäre. Das ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal in Thüringen, sondern das betrifft alle Bundesländer.
Hinzu kommt: Das jetzige Gesetz sieht nur eine sehr unzureichende Finanzierung der Personalkosten durch den Gesetzgeber vor. In Krankenhäusern machen rund 70 Prozent der Kosten die Personalkosten aus. Wir haben von Anfang an gesagt: Ja zur Reform, aber es darf eben kein Nullsummenspiel sein, es müssen die entsprechenden Kosten auch bezahlt werden!
Das ist der Bundesgesundheitsminister schuldig geblieben und wir haben die Befürchtung, dass Krankenhäuser aufgrund der Unterfinanzierung, die auch in den nächsten Jahren weiter zu erwarten ist, im Extremfall gar nicht mehr für die Reform zur Verfügung stehen, weil sie vor 2027 insolvent gegangen sind. Herr Lauterbach nimmt gerade Insolvenzen von Kliniken im Bundesgebiet in Kauf.
MDR: Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) hatte zuletzt noch mal erklärt, dass in Thüringen keine Krankenhäuser geschlossen werden. Ist das politisches Wunschdenken?
Poniewaß: Wir unterstützen diese Aussage der Ministerin, weil in der Aussage auch deutlich wird, dass wir eine wohnortnahe stationäre und ambulante Versorgung brauchen. Das gilt insbesondere in einem Flächenland wie Thüringen, wo wir 80 bis 90 Prozent sehr stark ausgeprägten ländlichen Raum haben. Hier sind Krankenhäuser ein unverzichtbares Bindeglied.
Dem Wunsch, die Krankenhäuser zu erhalten, dem muss aber auch der klare Wille folgen, die entsprechende Finanzierung sicherzustellen. Hier hätten wir uns gewünscht, dass die Länder insgesamt, im Rahmen der Verhandlungen zum Eckpunktepapier, viel stärker gegenüber dem Bund interveniert hätten. Wenn ich mich für eine Standortsicherung ausspreche, dann muss ich eben auch die entsprechenden Mittel für Betriebs-, beziehungsweise Personalkosten beim Bund einfordern. Zugleich muss auch das Land dafür sorgen, dass bei der baulichen Infrastruktur entsprechende Geldmittel bereitstehen.
MDR: Was heißt das denn in Thüringen bei den Investitionen - wie viel Geld fehlt denn im Freistaat?
Poniewaß: Die Finanzierung durch den Freistaat Thüringen für die bauliche Infrastruktur liegt aktuell bei 65 bis 70 Millionen Euro. Benötigt würden aber - wenn die Baupreisentwicklung und die weiteren gestiegenen Kosten im Bau berücksichtigt werden - rund 200 Millionen pro Jahr. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass diese Investitionen nicht nur der Sicherung der Behandlung der Patientinnen und Patienten dienen würde. Es wären auch Investitionen in gute und sichere Arbeitsplätze. Krankenhäuser sind insbesondere im ländlichen Raum ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor und gehören in manchen Regionen zu den größten Arbeitgebern.
MDR: Schauen wir auch noch mal auf den anderen Aspekt - nämlich die Personalkosten, bei denen sie vor allem vom Bund Nachbesserungen erwarten. 2019 hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Vergütung der Pflegekräfte aus dem Fallpauschalensystem herausgenommen. Seither werden Pflegekräfte unabhängig von der Bettenbelegung durch die Kassen finanziert. Wo ist also das Problem?
Poniewaß: Es ist richtig, dass die Kosten für die Pflege am Bett durch die Krankenkassen vollumfänglich zu finanzieren ist. Dafür hat Minister Spahn damals die Weichen gestellt. Das war eine nachvollziehbare und gute Entscheidung. Der Punkt ist allerdings, dass die Versorgung in den Kliniken aus einer interdisziplinären Zusammenarbeit mehrerer Berufsgruppen und Beschäftigten besteht.
Wir haben neben den Ärztinnen und Ärzten und den Pflegekräften auch medizinische Fachangestellte oder Reinigungspersonal. Auch bei denen gibt es - Stichwort Inflation - berechtigte Gehaltsforderungen, die über Gewerkschaften auch adressiert werden. Deswegen ist unser klarer Appell auch an den Bund, dass Mehrkosten durch eine Nachbesserung in der Krankenhausfinanzierung ausgeglichen werden.
MDR: In den letzten Monaten haben wir uns sehr intensiv mit dem Helios-Klinikum Erfurt auseinandergesetzt. Da ist es zum Beispiel so, dass das Helios-Klinikum in den letzten drei Jahren jeweils einen Nachsteuergewinn von mindestens 40 Millionen Euro erwirtschaftet hat. Wie erklären sie sich, dass einige Krankenhäuser kaum über die Runden kommen und andere, wie das Helios-Klinikum den Aktionären noch Gewinne ausschütten?
Poniewaß: Ich kann jetzt nicht in die Bilanzierungs-Details des Helios einsteigen, weil ich die Bilanz hier nicht genau kenne. Was ich aber sagen kann, ist, dass das Helios als Klinik-Verbund der größte private Klinikträger in Deutschland ist und über sogenannte Skalen-Effekte Möglichkeiten hat, die kleinere Krankenhäuser nicht haben.
Fakt ist: In allen Trägerschaften finden Sie gute und schlechte Beispiele. Die Frage ist vielmehr, ob die Krankenhäuser ihre Kosten refinanziert bekommen oder nicht. Wir haben die große Sorge, dass mit der Reform eine Unterfinanzierung der Krankenhäuser in Kauf genommen wird. Das führt dazu, dass Krankenhäuser zunehmend in wirtschaftliche Bedrängnis kommen.
Und es ist offenbar ein Kalkül der Bundespolitik, die Reform mit deutlich weniger Krankenhäusern zu starten, als wir jetzt haben. Weniger Krankenhäuser bedeuten logischerweise weniger Investitionsmittel und der Bund versucht über diesen Weg eine Einsparung zu generieren. Diese Einsparungen generiert er aber auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten.
MDR: Schauen wir uns nochmal die "Abkehr von der Fallpauschale" an, wie es Karl Lauterbach formulierte. Die Fallpauschale wird dabei um 60 Prozent reduziert. Diese 60 Prozent sollen künftig als eine Vorhaltevergütung an die Krankenhäuser ausgeschüttet werden. Krankenhäuser bekommen ihr Geld also nicht mehr nur für erbrachte Leistungen, sondern auch dafür, dass sie die Strukturen bereitstellen, um Leistungen überhaupt erbringen zu können. Eine gute Entscheidung?
Poniewaß: Wie ich eingangs sagte, der Grundgedanke dieser sogenannten Vorhalte-Finanzierung ist richtig und den begrüßen wir ausdrücklich, weil wir immer auch darauf hingewiesen haben, dass eine Vergütung abhängig von der Belegung - wie sie die Fallpauschale vorsieht - nicht zielführend ist. Es würde auch niemand auf die Idee kommen, die Feuerwehr in Thüringen nach Einsätzen zu bezahlen. Da ist eine Vorhalte-Finanzierung üblich und insofern haben wir nie verstanden, warum das in der Krankenhausfinanzierung jahrelang nicht passiert ist.
Zu der Ausgestaltung der Vorhalte-Finanzierung ist zu sagen, dass die Reform durch eine reine Umverteilung einer bestehenden Unterfinanzierung erfolgt. Das kann also kein Erfolg werden. Die Umsetzung wird scheitern, weil - wie wir bereits herausgearbeitet haben - die Krankenhäuser schon jetzt unterfinanziert sind. Eine reine Umverteilung wird das Problem nicht lösen, auch wenn man es als Vorhalte-Finanzierung etikettiert.
MDR: Dass Krankenhäuser Ihrer Meinung nach chronisch unterfinanziert sind, hat inzwischen auch der Letzte verstanden. Lassen wir diesen Aspekt also mal außen vor. Wie wird sich dieses 60/40-Modell - also 60 Prozent Vorhaltevergütung und nur noch 40 Prozent der Einnahmen durch Fallpauschalen auf die Krankenhäuser auswirken? Gibt es in Thüringen Kliniken, die besonders profitieren oder verlieren werden?
Poniewaß: Das lässt sich seriös noch nicht abschätzen, weil das Eckpunktepapier noch sehr unspezifisch ist. Das hängt auch mit den sogenannten Leistungsgruppen zusammen, die ja noch definiert werden müssen. An diese soll die Vorhalte-Finanzierung gekoppelt sein. Das müssen Bund und Länder jetzt erstmal ausformulieren. Sobald das in einem Gesetzentwurf schärfere Konturen hat, lassen sich hier Prognosen anstellen.
MDR: Die Leistungsgruppen sollen von den Ländern an die einzelnen Krankenhäuser vergeben werden. Bekommen die Bundesländer damit nicht mehr Gestaltungsspielraum bei der Gesundheitsversorgung durch die Krankenhäuser, indem die Landespolitik definiert, welche Leistungsgruppen in welcher Region und an welchem Standort in Thüringen gebraucht wird?
Poniewaß: Die Länder erweitern ihren Gestaltungsspielraum nicht, aber sie behalten ihn. Krankenhausplanung ist Ländersache und daran ändert auch die Reform nichts. Der Unterschied ist in der Tat: Durch die Definition der Leistungsgruppen gibt es jetzt eine schematische Vorgabe durchs Land.
Aber die Strukturkriterien, die in Leistungsgruppen inhaltlich hinterlegt sind, die gibt der Bund vor. Die sind nach unserem jetzigen Verständnis und in der Ausgestaltung des Eckpunktepapiers durch die Länder nicht zu ändern. Das Land kann ausschließlich entscheiden, welches Krankenhaus welcher Leistungsgruppen zugewiesen wird, und da kann es auch zu Auswahl-Entscheidungen kommen, wenn sich mehrere Krankenhäuser um dieselben Leistungsgruppen bewerben.
MDR: Was hat es mit den sogenannten Level 1-Krankenhäusern auf sich, die im Eckpunktepapier beschrieben werden? Was kann man sich darunter vorstellen?
Poniewaß: Perspektivisch ist angedacht, dass Krankenhäuser, die bislang einen Grundversorgungsauftrag innehaben - also über die Leistungsbereiche Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie verfügen -, dass diesen eine Option an die Hand gegeben wird, wie sie künftig ihren Versorgungsauftrag anders erfüllen können. Insbesondere im ländlichen Raum, wo wir auch heute schon Versorgung anders organisieren, sollen sie die Sektorengrenzen (von der stationären zur ambulanten Versorgung, Anm. d. Red.) überwinden und auch verstärkt im ambulanten Bereich tätig werden können. Da gibt es in Thüringen auch gute Modellprojekte.
Das kann man sich konkret so vorstellen, dass dort zu gewissen Zeiten eine pflegerische und ärztliche Versorgung weiter sichergestellt wird, aber dass die Rund-um-die-Uhr-Versorgung nicht stattfindet. Die 24-stündige Notfallbehandlung erfolgt dann an anderen Standorten. Das führt dazu, dass diese Kliniken nur ein stationäres, eingeschränktes Leistungsspektrum erbringen. Es werden also nur noch leichte Grundversorgungseingriffe stationär durchgeführt, dafür können diese Häuser aber ein umfangreiches ambulantes Leistungsspektrum anbieten. Für diese Krankenhäuser soll die Fallpauschalen-Finanzierung nicht mehr gelten, sondern eine hybride Finanzierung, die sich aus stationären und ambulanten Erlösen zusammensetzt.
MDR: Heißt das dann nicht, dass besonders Krankenhäuser im ländlichen Raum massiv umgebaut werden? Da fallen dann doch sicher Stationen weg und wenn nicht mehr 24 Stunden gearbeitet wird, sicher auch Stellen.
Poniewaß: Nein, das lässt sich so pauschal nicht sagen. Das hängt von der Versorgungssituation vor Ort ab und muss nicht allein im ländlichen Raum zutreffen. Wie ich eingangs sagte, ist diese Neugestaltung des Versorgungsauftrages eine Option für die Krankenhäuser. Durch Spezialisierung und durch Kooperationen in den jeweiligen Versorgungsgebieten soll eine Neuordnung der Versorgung stattfinden.
Bestimmte Standorte, die nicht genügend Fälle haben oder die in der Peripherie eben einen Standortnachteil haben, bekommen hier eine innovative Versorgungsoption und sollen sowohl ambulant als auch stationär tätig werden können. Das ist grundsätzlich zu begrüßen und ist eine wesentliche Forderung der Krankenhäuser schon seit jeher. Und nochmal: Das ist eine Option und kein Automatismus.
MDR (ask)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 11. Juli 2023 | 19:14 Uhr
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