Vom Krieg zerstörte Hochhäuser; Porträt Denis Trubetskoy
Es gibt keinen Ukrainer, dem es nach zwei Jahren Krieg gut gehen würde, glaubt Denis Trubetskoy, der als Ostblogger für den MDR aus Kiew berichtet. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire; Denis Trubetskoy/MDR

Ukraine Zwischen Angst und Hoffnung – Mein Leben nach zwei Jahren Krieg

24. Februar 2024, 09:25 Uhr

Es gibt keinen Ukrainer, dem es jetzt gut gehen würde, glaubt Denis Trubetskoy, der als Ostblogger für den MDR aus Kiew berichtet. Fast jeder hat gefallene Frontsoldaten oder durch Bomben getötete Zivilisten in seinem Bekanntenkreis. Kaum jemand macht sich Illusionen, dass der Krieg bald endet. Dennoch findet unser Ostblogger die Lage nicht so hoffnungslos, wie sie manchmal in westlichen Medien präsentiert wird. Denn auch die Ressourcen Russlands seien nicht endlos.

Porträt Denis Trubetskoy
Bildrechte: Denis Trubetskoy/MDR

Die Frage, die für mich nach zwei Jahren des russischen Überfalls auf die Ukraine am Schwierigsten zu beantworten ist, klingt banal und simpel: "Wie geht es dir?" Die ehrliche Antwort darauf besteht aus nur einem Wort: schlecht. Wenn es aber ausländische Bekannte sind, die ihre Mails mit "Hoffentlich geht es dir gut" beginnen, weiß ich nie so richtig, ob es eine höfliche Floskel ist oder es die Fragenden wirklich interessiert. Wie soll man es denn an ihrer Stelle überhaupt anders formulieren? Jedenfalls versuche ich, die Menschen in ihren Berliner und Leipziger Büros nicht zu überfordern und so schnell wie möglich zur Sache zu kommen.

Porträt Denis Trubetskoy
Denis Trubetskoy berichtet für den MDR aus Kiew. Wie nahezu jeder in der Ukraine hat er in seinem Bekanntenkreis Menschen, die im Krieg gestorben oder verletzt worden sind. Bildrechte: Denis Trubetskoy/MDR

Kriegsalltag: Bomben und Tote im Bekanntenkreis

Wenn ich aber mit ukrainischen Mitbürgern rede, ist es anders. Es gibt keinen Ukrainer, dem es jetzt gut gehen würde. Und dennoch ist mein Leben nicht nur offensichtlich besser als das der Soldaten in den Schützengräben, die im Winter sowohl gegen die Russen als auch gegen Tausende Mäuse und Ratten kämpfen, die deren Ausrüstung buchstäblich auffressen. Auch ich als 30-jähriger ukrainischer Mann kann zur Armee eingezogen werden – und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte keine Angst davor. Ansonsten geht es mir im Vergleich recht passabel. Anders als viele habe ich ein stabiles, gutes Einkommen. Kiew ist eine Stadt, die zwar sehr oft zum Ziel der russischen Luftangriffe wird, jedoch und genau deswegen besser durch Flugabwehr geschützt ist als andere Städte.

Der frühere NATO-General und Generalleutnant a.D. Erhard Bühler 65 min
Bildrechte: MDR / Erhard Bühler

Natürlich weiß man trotzdem nicht, wo die Trümmer der abgefangenen Drohnen und Raketen fallen. Im vergangenen Mai habe ich sie ein paar Stunden nach Beschuss im Nachbarhof gefunden. Und am 2. Januar dieses Jahres gab es Einschläge nur einen Kilometer Luftlinie von meiner Wohnung entfernt – da war ich nur noch froh, dass das Fensterglas der Druckwelle standhielt. Trotzdem ist es hier angenehmer als in den frontnahen Städten Charkiw und Cherson. Außerdem kannte ich auch, wie jeder Ukrainer, persönlich Leute, die in diesem Krieg entweder gestorben sind oder schwer verletzt wurden. Zumindest traf es bisher aber niemanden, der mir wirklich nahe war.

Deswegen lautet meine Standardantwort auf die Frage nach meiner Befindlichkeit an andere Ukrainer: "Es geht mir besser als vielen anderen." Was auch stimmt. Trotzdem bliebe die wirklich ehrliche Antwort bei "schlecht". Zum einen gibt es doch rein persönliche Aspekte, die dies beeinflussen. Schon seit 2017 habe ich meine Heimathalbinsel Krim wegen Sicherheitsbedenken nicht mehr besucht. Nach dem 24. Februar 2022 wurde aber absolut unklar, wann und wo ich meine Eltern wiedersehen kann. Ich darf die Ukraine als Mann im wehrpflichtigen Alter nicht verlassen - und sie können nicht nach Kiew kommen.

Ein Soldat steht inmitten von zerstörten Gebäuden und Fahrzeugen
Zerstörte Gebäude und Fahrzeuge in Kiew Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Wie lange dauert der Krieg noch?

Zum anderen glaube ich, dass es in der Ukraine keine Menschen gibt, die noch Illusionen bezüglich der Kriegslänge haben. Durch meinen Job, durch das ständige Leben im Nachrichtenstrom, verstehe ich es wohl aber klarer als manch anderer: Dieser Krieg könnte noch mindestens genauso lange dauern wie bisher. Allein für 2024 hat Russland sein Militärbudget um 70 Prozent erhöht – und zwar gemessen am vorigen Jahr, in dem die Kriegsausgaben bereits enorm waren. Doch die russischen Haushaltsplanungen gehen weiter und beinhalten Kriegsausgaben für den Zeitraum bis 2026. Wie auch immer sich die russische Rhetorik manchmal anhört: Moskau wird es mit der Brechstange versuchen und es wird weiter darauf hoffen, dass die internationale Unterstützung für die Ukraine nachlässt. Nichts kommt dem Kreml gelegener als die aktuelle Krise im US-Kongress.

Menschen stehen vor einem Haus in Kiew
Kriegsalltag in Kiew: Weinende Bewohner eines durch russische Bomben zerstörten Hauses geben Journalisten ein kurzes Interview. Bildrechte: IMAGO/Le Pictorium

Kann die Ukraine den Krieg noch gewinnen?

Die Lage ist bei weitem nicht so hoffnungslos, wie das manche Schlagzeilen aus der schwarzmalerischen Welt der westlichen Medien vermuten lassen. Die ukrainische Offensive von 2023 war kein Erfolg, doch auch den Russen ist trotz unermüdlicher Angriffsversuche kein bedeutender Durchbruch gelungen. Die Einnahme der Kleinstadt Awdijiwka vor Kurzem ist es jedenfalls nicht. Zudem feierte die Ukraine, ein Land ohne Flotte, einen fulminanten Sieg im Schwarzen Meer. Die Ukrainer konnten ein Fünftel der auf dem Papier so mächtigen russischen Schwarzmeerflotte zerstören. Dank dieses Erfolges kann das Land sein Getreide nun wieder übers Schwarze Meer exportieren.

Außerdem gilt: Auch Russlands Ressourcen sind nicht unendlich. Wladimir Putin gibt sich stark, doch wer weiß, ob die Zahlen aus seinem Militärbudget wirklich der Wahrheit entsprechen. So wie ich Russland kenne, wäre es jedenfalls keine große Überraschung, wenn das nicht ganz der Fall wäre. Trotzdem habe ich an diesem Tag vor einem Jahr, am ersten Jahrestag der Vollinvasion, gehofft, dass ich ein Jahr später zumindest ein bisschen werde einschätzen können, wann es zu Ende geht. Das Gegenteil ist der Fall.

Menschen in einer U-Bahn-Station in Kiew
Ausharren in der Metrostation, die während russischer Angriffe als Luftschutzraum dient – auch das gehört zum Kriegsalltag in Kiew. Bildrechte: IMAGO/Avalon.red

Kriegsende dank Diplomatie? – Nicht mit Moskau!

Unverändert gilt jedoch auch: Während Russland weiterhin die ukrainische Staatlichkeit auslöschen will, existiert keine Alternative zur Fortsetzung des Verteidigungskampfes. Moskau versteht nur die Sprache der Stärke, und wir müssen Putin sehr deutlich zeigen: Hier geht es nicht weiter! Dafür müssen wir in den nächsten schwierigen Jahren durchhalten. Und das müssen wir nicht zuletzt für die Menschen tun, die die banale Frage "Wie geht es dir?" gar nicht mehr beantworten können – die Gefallenen und Toten dieses Krieges. Sonst war ihr Opfer umsonst.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcast | 24. Februar 2024 | 05:00 Uhr

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