Gemeindeangestellte helfen Rentnern bei der Vorbereitung von Brennholz während eines Stromausfalls in Tiraspol
Die Menschen in Transnistrien frieren, weil russisches Gas die abtrünnige Provinz Moldaus nicht mehr erreicht. Wo es geht, behelfen sie sich mit Öfen – die Stadtwerke von Tiraspol besorgen das Brennmaterial. Bildrechte: IMAGO / SNA

Abtrünnige Provinz Transnistriens ungewisse Zukunft: Was ändert die Gaskrise?

04. Februar 2025, 20:02 Uhr

Seit Wochen müssen die Menschen in Transnistrien frieren, weil kein russisches Gas mehr in der abtrünnigen Provinz der Republik Moldau ankommt. Kalte Heizkörper, eisiges Wasser im Bad und ständige Stromausfälle sind inzwischen Alltag für die knapp halbe Million Transnistrier. Nun schickt die EU 20 Millionen Euro, damit Transnistrien aus westlichen Quellen mit Gas versorgt werden kann. Die Krise zeigt klar, wie tief die Gräben zwischen Transnistrien und seinem Mutterland Moldau inzwischen sind.

Porträt Mila Corlateanu
Bildrechte: Mila Corlateanu/MDR

Gas, Geld und Geopolitik

1990 erklärte sich Transnistrien nach dem Zerfall der Sowjetunion für unabhängig, wurde international jedoch nicht anerkannt und gilt völkerrechtlich bis heute als Teil der Republik Moldau. De facto ist der schmale Landstreifen am rechten Dnestr-Ufer aber unabhängig und wird von pro-russischen Eliten kontrolliert, mit wirtschaftlicher und militärischer Hilfe Moskaus. Teil davon waren billige russische Gaslieferungen, gemessen an Weltmarktpreisen beinahe zum Nulltarif. Doch die bleiben seit Anfang Januar aus, nachdem der Gastransit über die Ukraine beendet wurde.

Die Region muss dringend eine Alternative finden – die Reserven reichen nur noch für maximal zwei Wochen. In den sozialen Medien beklagen die Einwohner stundenlange Stromausfälle. Die Produktionsbetriebe stehen still oder arbeiten mit reduzierter Kapazität. Zu Hause tragen die Menschen mehrere Schichten Kleidung übereinander. Kerzen und Taschenlampen sind unverzichtbar. Viele behelfen sich mit Powerbanks und kleinen Stromgeneratoren, doch die sind teuer und nicht überall verfügbar. In den Schulen fällt der Unterricht aus oder wird auf wenige Stunden reduziert, und in den Apotheken fehlen Medikamente, weil Lieferketten unterbrochen sind. Die Unzufriedenheit wächst.

Tourismus in der Kälte

Auch für Kleinunternehmer wie Dmitri Gavrilov ist die Situation äußerst beklagenswert. Seit 2017 betreibt er ein Gästehaus für Touristen, die Transnistrien intensiver erleben möchten und nicht nur einen oberflächlichen Tagesausflug mit der "obligatorischen" Fotosession an der Lenin-Büste planen. Er ist heilfroh, dass er sich beim Bau des Gästehauses entschied, nicht nur auf die Fernwärme zu setzen, sondern zusätzlich für den Notfall einen Ofen einzubauen. Nun sei der Tag X gekommen, sagt Dimitri. Auch wenn die meisten Buchungen storniert worden seien – wenigstens könnten seine Freunde nun herkommen, um sich zu waschen und aufzuwärmen.

Pensionsbesitzer Dmitri Gavrilov beim Abnnheizen seines Ofens
Pensionsbesitzer Dmitri Gavrilov ist froh, dass er in seinem Gästehaus einen Ofen eingabaut hat. Bildrechte: Mila Corlateanu/MDR

Hassrede gegen Transnistrien?

Lena ist eine der wenigen Glücklichen in Transnistrien. Der alte Wohnblock, in dem sie mit ihren Eltern lebt, kühlt nicht so schnell aus, auch wenn die Heizung nicht funktioniert. Von Stromausfällen ist er auch nicht betroffen – Lena kann problemlos als Freiberuflerin online arbeiten. Was sie jedoch frustriert, sind die negativen Kommentare, die allem Anschein nach von Internetusern aus Moldau, dem "Mutterland" Transnistriens, stammen: "Wenn man sich ein TikTok-Video ansieht, in dem Leute zeigen, wie sie mit der Situation hier zurechtkommen, dann sind darunter viele Hasskommentare. Manche wünschen den Leuten sogar den Tod."

Die Kluft zwischen dem "Mutterland" Moldau und Transnistrien wird dieser Tage nirgendwo so deutlich wie auf Facebook, Instagram und Telegram. Unmengen von Kommentaren wie "Kuschelt doch mit Putins Porträt, dann wird es wärmer", "Sollen sie doch frieren!" und "Warum so viel Aufhebens um diese russische Enklave" prägen den öffentlichen Diskurs.

 Moldau, Proteste wegen Energie-Krise an der Grenze zu Transnistrien
Proteste wegen ausbleibender Gaslieferungen: Die pro-russischen Demonstranten schlagen scharfe Töne an und sprechen von einem "Genozid am transnistrischen Volk". Bildrechte: IMAGO/SNA

Gegenseitige Entfremdung

Lokale transnistrische Medien kritisieren die Hilfe Moldaus wiederum als unzureichend und werfen der moldauischen Regierung vor, dass sie eine politische Agenda verfolgt, statt für die Bedürfnisse Transnistriens zu sorgen – ein Vorwurf, der bei den Menschen in Moldau wiederum für Kopfschütteln sorgt, denn die Bevölkerung Transnistriens ist mehrheitlich pro-russisch orientiert, lehnt laut Umfragen mehrheitlich eine Wiedervereinigung mit Moldau ab und hat sich bei einem Referendum 2006 sogar für einen Anschluss an Russland ausgesprochen.

Nur jüngere Menschen wie Lena zeigen sich dem De-jure-Mutterland Moldau gegenüber etwas aufgeschlossener – allerdings resultiert das nicht so sehr aus einem nationalen Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern vielmehr aus den Vorteilen, die ein moldauischer Pass bietet, sei es bei Reisen in die EU, sei es bei der Vergabe von Studienplätzen oder bei der medizinischen Versorgung im Mutterland.

Städtische Angestellte helfen Rentnern bei der Vorbereitung von Brennholz während eines Stromausfalls in Tiraspol
Städtische Angestellte im transnistrischen Tiraspol helfen Rentnern bei der Vorbereitung von Brennholz. Bildrechte: IMAGO / SNA

Wiedervereinigung bleibt Lippenbekenntnis

Eine Wiedervereinigung Moldaus und Transnistriens steht aber auch in der moldauischen Hauptstadt Chişinău nicht auf der politischen Tagesordnung. Zwar bleibt sie offiziell ein langfristiges Ziel der moldauischen Regierung, doch dabei handelt es sich um ein Lippenbekenntnis, dem keine konkreten Schritte folgen.

Auch bei den Bürgern hat dieses Ziel keine besondere Priorität, auch wenn der eine oder andere Verwandte "drüben" hat. Ähnlich wie die Menschen jenseits des Dnestr denkt der moldauische Normalverbraucher vor allem daran, wie er in diesen schwierigen Zeiten seine Rechnungen für Gas und Strom bezahlen wird – und nicht an die "Landsleute" in Transnistrien.

Ein Ölradiator steht in einem Kindergartenzimmer auf einem Tisch
Kitas und Schulen in Transnistrien müssen sich mit Ölradiatoren und Heizlüftern behelfen – oder mancherorts sogar ganz schließen. Bildrechte: IMAGO / SNA

NGOs leisten Hilfe trotz widriger Umstände

Lediglich Nichtregierungsorganisationen wie "Moldau für den Frieden" ("Moldova pentru Pace") versuchen, die Verbindung zur abtrünnigen Provinz zu halten. Sie sammeln Spenden und organisieren in Transnistrien Notunterkünfte mit Heizung, Essen und Medikamenten. Dies zeigt, dass trotz vieler Negativkommentare im Internet nicht alle Moldauer Transnistriern gegenüber gleich ablehnend gegenüberstehen.

NGOs in Transnistrien sind über die Hilfe aus dem Mutterland froh – so zum Beispiel die Organisation "Resonance", die sich auf die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt spezialisiert. Jede Krise verschärft Konflikte, auch Familienkonflikte, sagt Geschäftsführer Alexandr Gonchar. Lebten vor dem Jahreswechsel, also vor Beginn der Energiekrise, vier Personen in der Unterkunft der Organisation, so kamen nach Neujahr fünf weitere hinzu.  "Jetzt haben wir sie alle nach Chişinău geschickt, in das Zentrum für die Unterstützung von Opfern und Menschenhandel. Wir danken unseren Kollegen, dass sie uns diese Möglichkeit gegeben haben, denn leider können wir hier im Moment keine adäquate Unterkunft zur Verfügung stellen", sagt er.

Das Thermometer am Sitz der Nichtregierungsorganisation "Resonance" zeigt, welche Temperaturen nach Unterbrechung der russischen Gaslieferungen in den meisten Wohnungen in Transnistrien herrschen - etwa 12 bis 13 Grad Celsius.
Das Thermometer am Sitz der Nichtregierungsorganisation "Resonance" zeigt, welche Temperaturen in den meisten Wohnungen in Transnistrien herrschen – etwa 12 bis 13 Grad Celsius. Bildrechte: MDR/Mila Corlateanu

Katalysator für Reintegration oder Trennung?

Die nun angekündigten EU-Hilfen lassen hoffen, dass sich eine größere humanitäre Katastrophe abwenden lässt. Doch der Teufel steckt wie so oft im Detail. Zwar hat die Führung der nicht anerkannten Republik Transnistrien das Hilfsangebot angenommen, aber die Verhandlungen zur konkreten Umsetzung sind voller Widersprüche und Anschuldigungen. Das stellt eine rasche, transparente und verantwortungsvolle Umsetzung der Hilfe in Frage.

Die moldauische Präsidentin Maia Sandu hat zudem wiederholt betont, dass die russischen Streitkräfte, die derzeit in Transnistrien stationiert sind, durch eine internationale Friedensmission unter der Schirmherrschaft der UN oder der EU ersetzt werden müssen. Sie bezeichnet den Abzug der russischen Streitkräfte als Bedingung für die Unterstützung der Region durch Chişinău bei der Bewältigung der Folgen der Energiekrise. Die transnistrische Führung sieht es allerdings anders – für sie sind die russischen Truppen "ein Garant des Friedens und der Stabilität in der Region".

Viele hatten zu Beginn der Energiekrise die Hoffnung geäußert, dass sie die Wiedervereinigung der beiden Landesteile beschleunigen wird. Das scheint angesichts der Einstellung der Menschen dies- und jenseits des Dnestr jedoch fraglich. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass die jetzige Krise zum Katalysator der endgültigen Trennung wird.

MDR (baz)

Osteuropa

Staatswappen von Transnistrien mit Hammer und Sichel auf einem Aufsteller in Tiraspol. 3 min
Bildrechte: imago/ecomedia/robert fishman

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 29. Januar 2025 | 19:15 Uhr

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