Slowakei Warum der slowakische Premier seine Feinde braucht
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22. Januar 2025, 05:00 Uhr
Die Slowakei kommt in Robert Ficos vierter Amtszeit als Premierminister nicht zur Ruhe. Massendemonstrationen, gravierende Probleme im Gesundheitswesen, eine auseinanderdriftende Regierungskoalition. Fico setzt unterdessen darauf, die Nähe zu Moskau zu suchen und gegen die EU zu wettern.
Der slowakische Premier Robert Fico gibt nach außen gerne den starken Mann, Kraftausdrücke inklusive. Zu Höchstform läuft er immer dann auf, wenn er gegen seine politischen Gegner austeilen kann. In letzter Zeit meist in Videobotschaften auf dem eigenen Facebook-Kanal oder auf Veranstaltungen seiner linksnationalen Smer-Partei. Und Gegner sieht der linkspopulistische Regierungschef fast überall: im heimischen Parlament, bei den regierungskritischen Demonstrationen, die in zahlreichen slowakischen Städten wieder vermehrt stattfinden. Und nicht zu vergessen: Ganz besonders hat er es auf kritische Medien und auf "Brüssel" – sprich auf die Institutionen der EU – abgesehen.
Dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass Fico mit seinen verbalen Ausfällen lediglich versucht, seine eigene Schwäche zu kaschieren. Noch nie stand nämlich der slowakische Langzeitpremier, der im Oktober 2023 zum vierten Mal Regierungschef geworden ist, einer so instabilen Koalition vor. Seit Monaten schon hat er sein Drei-Parteien-Bündnis nicht mehr im Griff, die ursprüngliche Mehrheit im slowakischen Nationalrat besteht faktisch nicht mehr. Oft gelingt es den Abgeordneten der Regierung im Parlament nicht einmal, die Liste der Tagesordnungspunkte zu verabschieden, weil ihnen ein paar Stimmen fehlen.
Ficos instabile Regierungskoalition
Der Grund dafür liegt bei den beiden Koalitionspartnern, mit denen Ficos Smer-Partei regiert. Insbesondere bei der nationalpopulistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS), deren Fraktion auseinandergebrochen ist. Der Bruch gilt als Preis dafür, dass es bei der letzten Wahl einige rechte Influencer, Covid-Leugner und Querdenker als unabhängige Bewerber auf dem Partei-Ticket der SNS den Sprung ins Parlament geschafft haben. Sie sind auch im politischen Betrieb Einzelkämpfer geblieben, die sich keiner Parteidisziplin unterordnen. Umso stärker sind ihre Forderungen direkt an den Premier, von dem sie unter anderem einen Platz in der Regierung verlangen.
Abweichler, allerdings in die politisch andere Richtung, gibt es auch beim zweiten Koalitionspartner des slowakischen Regierungschefs, der sozialdemokratischen Hlas. In der Partei, die einst vom heutigen Präsidenten Peter Pellegrini ins Leben gerufen wurde, hat sich wiederum eine Gruppe aus vier Personen etabliert, die etwa mit den außenpolitischen Alleingängen des Premiers nicht einverstanden ist und seine Pauschal-Kritik am Westen ablehnt.
Obwohl Fico zweifelsohne der erfahrenste slowakische Politiker überhaupt ist, schafft er es nicht, diese auseinanderstrebenden Kräfte zu disziplinieren. Selbst das im Mai vergangenen Jahres auf ihn verübte Attentat, welches das ganze Land vorübergehend in einen Schockzustand versetzt hatte, vermochte es nur zeitweise, die Reihen der Koalition zu schließen.
Fico weicht mit provokativer Außenpolitik aus
Um dem innenpolitischen Klein-Klein auszuweichen, hat der slowakische Premier den Außenpolitiker in sich entdeckt. Im Einklang mit seiner Doktrin "in alle Richtungen der Welt offen zu sein", besuchte er in kurzen Abständen Aserbaidschan, China und Brasilien. Ficos größter "Coup" war allerdings seine Reise nach Moskau Ende vergangenen Jahres, wo er sich im Kreml mit Russlands Präsident Wladimir Putin traf.
Mit diesem Besuch sorgte er nicht nur innerhalb der EU, sondern insbesondere in der Ukraine für Entsetzen. Bis heute ist über den Inhalt der Gespräche im Kreml erstaunlich wenig bekannt, außer dass es um die russischen Gaslieferungen in die Slowakei ging. Der bisherige Transitweg über die Ukraine ist nämlich seit Beginn dieses Jahres geschlossen. Für die Slowakei bedeutet das vor allem, dass Einnahmen aus Transitgebühren wegfallen, da bis dato russisches Gas über slowakisches Territorium nach Österreich und Tschechien weitergeleitet wurde.
Aus Moskau zurückgekehrt, schoss sich der slowakische Premier verbal umgehend auf die Ukraine ein und stilisierte sie zum Sündenbock. Er drohte dem Nachbarland, dass seit fast drei Jahren der militärischen Aggression Russlands ausgesetzt ist, die Lieferung von Strom einzustellen. Ebenso kündigte er an, den ukrainischen Flüchtlingen im Land die finanzielle Unterstützung streichen zu wollen.
Ressentiments gegenüber Ukrainern zum Teil anschlussfähig
Damit kann Fico gleich auch bestehende Ressentiments bedienen, die gegenüber dem östlichen Nachbarn bei Teilen der slowakischen Bevölkerung bestehen und an denen auch der von Russland geführte Angriffskrieg nichts zu ändern vermochte.
Ein Teil der slowakischen Öffentlichkeit ist nämlich sehr zugänglich für jegliche antiwestliche und offen prorussische Propaganda. Diese wird insbesondere von verschiedenen "alternativen Medien" verbreitet. Die Reichweite solcher Online-Portale ist in der Slowakei beachtlich, womit deren Thesen – etwa, dass die USA den Krieg in der Ukraine angezettelt hätten – längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Fico weiß das, denn nicht zuletzt der Breitenwirkung dieser Medien hat er nach Einschätzung slowakischer Politikexperten seinen letzten Wahlsieg vom September 2023 zu verdanken.
Aus der Sicht dieser "alternativen Medien" ist Fico jemand, "der dem Westen Paroli bietet". In dieses Schema passt auch die jüngste Ankündigung des slowakischen Premiers, im Mai nach Moskau zu fahren, um dort an den offiziellen Feiern zum Jahrestag des Sieges über den Faschismus teilzunehmen.
Innenpolitische Probleme der Slowakei
Fest steht, dass die Suche nach dem "äußeren Feind" dem slowakischen Regierungschef ermöglicht, von den großen innenpolitischen Problemen abzulenken, mit denen er seit Monaten konfrontiert ist. Neben der Brüchigkeit seiner Koalition ist es insbesondere die Notwendigkeit den Staatshaushalt zu sanieren, um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden. Das geht nicht ohne Einschnitte, obwohl er ja mit dem gegenteiligen Versprechen in die Wahlen ging, nämlich die Sozialleistungen auszubauen.
Ein noch akuterer Krisenherd scheint jedoch die dramatische Situation im slowakischen Gesundheitswesen zu sein. Ende des vergangenen Jahres manifestierte diese sich in einer großen Kündigungswelle von Ärzten, wodurch ganze Krankenhäuser vor dem Kollaps standen. Damals fühlte sich Fico übrigens nicht zuständig und meinte, der "Ärzte-Streik ist keine Chefsache". Die mehr als 3.000 Ärzte haben zwischenzeitlich ihre Kündigungen vorübergehend zurückgezogen und einer Art "Weihnachstfrieden" mit dem Gesundheitsminister zugestimmt. Eine endgültige Lösung der Probleme im Gesundheitsressort wurde dadurch lediglich bis zum Frühjahr aufgeschoben. Aber da steht ja die nächste Moskau-Reise des slowakischen Premiers vor der Tür.
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 10. Januar 2025 | 17:45 Uhr