Waffenexporte Goldgräberstimmung bei slowakischen Rüstungsfirmen
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13. November 2024, 20:39 Uhr
Offiziell lehnt die linkspopulistische Regierung von Premier Robert Fico weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ab – dies war sogar eines der wichtigen Versprechen, mit denen Fico die letzte Wahl gewann. Trotzdem wird ein Großteil der in der Slowakei produzierten Waffen und Rüstungsgüter mit hoher Wahrscheinlich früher oder später im Kriegsgebiet landen. Und die oft in Staatshand befindlichen Rüstungsunternehmen verdienen kräftig daran.
Der Krieg in der Ukraine hat in vielen Ländern Europas zu einer starken Wiederbelebung der Rüstungsindustrie geführt. Im besonderen Ausmaß trifft das auf die Slowakei zu, die an die Ukraine direkt angrenzt und von Anfang an zu ihren wichtigsten Unterstützern gehörte. Doch seit Herbst vergangenen Jahres ist in der Slowakei eine russlandfreundliche Regierung an der Macht. Der jetzige Premier Robert Fico gewann die Wahlen u.a. mit dem Versprechen, "keine einzige Patrone an die Ukraine zu liefern".
Slowakische Rüstungsindustrie boomt
Trotzdem haben die slowakischen Rüstungsfirmen gegenwärtig volle Auftragsbücher. Der Industriezweig floriert wie noch nie seit den frühen 1990er Jahren. Damals, nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft, wurde die Herstellung von Waffen auf ein Minimum reduziert. Zahlreiche slowakische Waffenschmieden wurden regelrecht abgewickelt, wodurch Hunderte von Arbeitsplätzen verloren gingen. Insbesondere im Westen und in der Zentralslowakei entstanden Krisenregionen mit einer hohen Arbeitslosigkeit.
Dabei reichte die Tradition der Waffenherstellung in die Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik zurück (1918-1938). Nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere infolge der Machtübernahme durch die Kommunisten erhielt die Produktion von Rüstungsgütern in der Slowakei einen neuen Schub. Es entstanden neue Waffenfabriken, in denen neben Munition auch Radpanzer, Haubitzen und ähnlich schweres Gerät fertiggestellt wurde – oft unter sowjetischer Lizenz. Es gab aber auch Eigenentwicklungen, die im Rahmen des gesamten kommunistischen Warschauer Pakts zum Einsatz kamen.
Den gegenwärtigen Boom bei den ungefähr 40 slowakischen Rüstungsunternehmen bezeichnen manche Experten sogar als eine "Goldgräberstimmung". In erster Linie geht es um die Herstellung von Munition, aber auch von Haubitzen und Komponenten für andere Waffensysteme.
Löchriges Waffen-Embargo
Es kann angenommen werden, dass viele dieser Erzeugnisse früher oder später auf Umwegen in die Ukraine gelangen, trotz der Vorbehalte der linkspopulistischen Regierung. Das glaubt jedenfalls der Journalist Vladimír Šnídl von der slowakischen Tageszeitung Denník N, wie er im Gespräch mit dem MDR ausführt: "Hier muss man korrekterweise sagen, dass die Regierung nach wie vor zu ihrem früheren Wahlversprechen steht und es nicht verletzt hat. Es war nämlich stets die Rede davon, dass sich dieses Waffen-Embargo gegenüber der Ukraine ausschließlich auf Lieferungen aus staatlichen Beständen beziehen wird, die Ausfuhren von privaten Firmen davon jedoch nicht betroffen sein sollen."
Laut Šnídl war das Ziel von Fico und Co., sich mit ihrer Haltung in erster Linie von der Vorgängerregierung abzugrenzen und sich an ihr abzuarbeiten. Das vorherige Kabinett hat nämlich schon in den ersten Kriegsmonaten zahlreiche Waffensysteme an die Ukraine geliefert, u.a. veraltete sowjetische MiG-Kampfflugzeuge, die allerdings in der Slowakei selbst aufgrund fehlender Ersatzteile in Wahrheit seit Jahren nicht mehr einsatzfähig waren. Dennoch nahm der Populist Fico das zum Anlass, seinem Vorgänger Eduard Heger vorzuwerfen, er hätte die Sicherheit des Landes aufs Spiel gesetzt, das auf einmal ohne eine funktionsfähige Luftabwehr dastünde.
Dieser Behauptung widerspricht vehement der frühere stellvertretende Generalstabschef der Slowakei, General Pavol Macko: "Das ist absoluter Schwachsinn. Es waren doch die vorherigen Regierungen von Robert Fico, die die Verteidigungsbasis des Landes dezimierten und immer wieder behaupteten, dass es ausreiche, wenn uns die Partner in der NATO beschützen. Zudem hat Fico schon vor 16 Jahren versprochen, für das Bündnis eine mechanisierte Brigade aufzustellen, was aber bis heute nicht geschah", sagte er dem MDR.
Staatsfirmen leben von Rüstungsexporten
Die gleiche Ambivalenz sieht Macko, der während seiner militärischen Karriere auch in der Brüsseler NATO-Zentrale wirkte, auch bei der Haltung der gegenwärtigen slowakischen Führungsriege gegenüber Waffenexporten: "Natürlich ist es in Wahrheit so, dass die Ausfuhr jeglichen Kriegsmaterials von der Regierung genehmigt werden muss. Es kommt dann zu einem offiziellen Lizenzverfahren, welches heute in den Händen von Verteidigungsminister Robert Kaliňák liegt. Zur Wahrheit gehört genauso, dass die allermeisten slowakischen Rüstungsfirmen zu hundert Prozent in staatlichem Besitz sind. Und auch bei denjenigen mit teilweise privaten Eigentümern redet der Staat immer mit."
Ministerpräsident Fico stelle das, so Macko, stets so dar, dass es ihm um Arbeitsplätze und um Einnahmen für den Staatshaushalt gehe. Und der Staat hat laut dem früheren stellvertretenden Generalstabschef auch viel Geld in die Hand genommen, nämlich 100 Millionen Euro, um das Grundkapital der slowakischen Rüstungsunternehmen aufzustocken. Weiteres Geld erhofft sich die Regierung aus dem geplanten Verteidigungsfonds der Europäischen Union.
Verteidigungsminister mischt kräftig mit
Robert Kaliňák, der von Macko erwähnt wurde, ist überhaupt die Schlüsselfigur in der slowakischen Rüstungsindustrie, wie der Journalist Vladimír Šnídl erläutert: "Kaliňák ist ein Geschäftsmann durch und durch. Schon bevor er Verteidigungsminister wurde, haben wir in unserer Zeitung geschrieben, dass er enge Kontakte zum wichtigsten Player im heimischen Rüstungsbetrieb hat, dem Unternehmen Czechoslovak Group (CSG), welches auch im benachbarten Tschechien eine wichtige Rolle spielt und entsprechende Firmen betreibt."
Der gegenwärtige Verteidigungsminister gilt als die Nummer Zwei hinter Premier Fico im Kabinett wie auch in der Regierungspartei, der sozialdemokratischen Smer. Er hat seinen Chef zum Beispiel faktisch vertreten, während dieser sich von den Folgen des Attentats erholte, das gegen ihn Mitte Mai verübt wurde.
Schon als Innenminister hat sich Kaliňák laut Šnídl oft so verhalten, als ob er insgeheim Aktionär der Firma CSG wäre. Es überrasche daher nicht, dass er bereits kurz nachdem er die Leitung des Verteidigungsministeriums übernommen hatte, an wichtigen Stellen seine Vertrauten mit gutem Draht nicht nur zu den heimischen Rüstungsfirmen, sondern auch den US-amerikanischen Unternehmen platzierte.
In Diplomatenkreisen wird daher laut Vladimír Šnídl schon seit langem spekuliert, ob es zwischen den beiden wichtigsten Persönlichkeiten der Regierung nicht eine Art stiller Arbeitsteilung gebe: Während Premier Robert Fico mit seiner immer offener zum Ausdruck gebrachten prorussischen Haltung die Slowakei politisch in Richtung Osten führt und die Isolierung des Landes riskiert, sorgt der vermeintlich USA-freundliche Verteidigungsminister Robert Kaliňák für den Ausgleich und garantiert, dass das Land nicht aus dem westlichen Bündnissystem ausschert. Und zwar gerade auch mittels der von ihm so geförderten Investitionsoffensive im slowakischen Rüstungssektor.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 16. November 2024 | 07:18 Uhr